Hesse sagte einst, er habe sich diese "indische Dichtung" nicht einfach ausgedacht und niedergeschrieben, sondern habe sie selbst durchlebt. Er meint, es sei unsinnig etwas schreiben zu wollen, was man nicht selbst durchlebt habe.
Also kann man die ganze Dichtung "Siddharta" als eine reich verzierte und verkleidete Autobiographie Hesses verstehen.
Eine Autobiographie, in der alles anders ist als sie in einer "normalen" Autobiographie Hesses zu lesen wäre. Nur der Kern der Geschichte, das Fortziehen, suchen, abkommen, zurückfinden und weitersuchen Siddhartas bleibt erhalten, ist wirklich Hesse.
Das Bedürfnis Siddhartas, das Leben durch sich selbst zu erfahren, sich selbst zur Erleuchtung zu führen, also nicht durch Lehren, Religion und den damit verbundenen Dogmen, scheint uns die Hauptaussage des Buches zu sein.
Siddharta weiss, dass er die Erleuchtung nicht durch Lehren und Worte erreichen kann, obwohl sie ihm dabei behilflich sein können. Wie sollte er sonst auf die Idee gekommen sein die Erlösung zu suchen, wenn er nicht zuerst durch Worte davon erfahren hätte. Auch hier in der westlichen Welt, wird sich auch nur ganz selten jemand bewusst auf den Weg machen die Erleuchtung zu finden, da dies einfach nicht zum westlichen Gedankengut gehört. Das westliche Denken ist viel materialistischer und der westliche Mensch versucht durch Arbeit, Macht und Geld und nicht durch Freude am Leben "erfüllt" zu Leben.
Falls es ein Buch geben würde, in dem der Weg zur Erleuchtung beschrieben wäre und nehmen wir an alles was in diesem Buch steht würde stimmen, so wäre auch das Lesen dieses Buches keine Garantie die Erleuchtung zu finden. Auch nicht, wenn man alles was in diesem Buch steht verstanden hätte, so müsste man zuerst all die Aussagen dieses Buches emotional, gefühlsmässig begreifen, da reine Geistigkeit noch kein Leben ist und nur Lebendes die Erleuchtung finden kann.
Dieses Buch müsste auch auf jede einzelne Person individuell zugeschnitten sein, da sich jede Person in irgendeiner Hinsicht zu allen anderen Menschen anders entwickelt und so auch anders zu begreifen lernen muss.
Daher ist es für Siddharta wichtig, selbst Erfahrungen zu sammeln, da er sie anders wahrnimmt als andere sie wahrnehmen würden. Darum ist es auch schwierig für jemanden der schon wichtige Erfahrungen gesammelt hat, sie jemand anderem mitzuteilen, da man Gefühle schwer in Worten übermitteln kann.
Siddharta wird in seinem Leben oft sehr einseitig, verirrt sich in von ihm selbst überbewerteten Lebenshaltungen. Bei den Samanas vernachlässigt er seinen Körper, lässt ihn absterben, vergeistigt völlig und handelt nicht mehr. In Sansara hat er plötzlich kein anderes Anliegen mehr als seine Sinne zu befriedigen mit essen, trinken, Glücksspiel und Sex. Doch bemerkt Siddharta jedesmal, wenn er sich wieder in einem zu einseitigen Leben befindet, dass er den falschen Weg eingeschlagen hat, ändert sein Verhalten und sein Leben und lernt so daraus. Ohne all diese Fehler, hätte Siddharta die Erleuchtung wohl nicht gefunden, wie sollte er denn auch bemerken, wie man die Erlösung findet, wenn er nicht weiss, wie man sie nicht findet. Der richtige Weg ist versteckt zwischen unzählbar vielen anderen, den man, vorausgesetzt man verliert sich nicht oder hört auf zu suchen, irgendwann zwangsläufig finden muss.
Man kann Siddhartas Leben mit einem Pendel vergleichen, das von Extrem zu Extrem schwingt und schlussendlich ruhig in der Mitte stehenbleibt.
Siddharta stellt nicht die Erkenntnis, sondern die Liebe oben an, lehnt das Dogma ab und macht das Erlebnis der Einheit zum Mittelpunkt
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