Gedichtvergleich zwischen den Gedichten "Tränen des Vaterlandes" von Andreas Gryphius anno 1636 und
"Der Krieg" von Georg Heym aus dem Jahre 1911
In dem Gedicht "Tränen des Vaterlandes" von Andreas Gryphius anno 1636 beschreibt Gryphius unmittelbar die Kriegswirren und Schlachtengreul des dreißigjährigen Krieges. Dies bestimmt im weiteren Verlauf des Gedichtes die gesamte Bildebene. Doch dieses dient dem Dichter für den Zweck, vor dem Gottesverlust zu warnen.
Das Gedicht ist in vier Strophen zu je 2 Quartetten und je 2 Terzetten gegliedert. Die beiden ersten Strophen besitzen das Reimschema "abba abba" , einen umschließenden Reim, das charakterisiert sie als Quartette. Die Terzette haben das Reimschema "ccd eed". Das Metrums ist ein Alexandriner, eine Versform aus einem sechshebigen Jambus und einer Zäsur nach dem 3. Versfuß. Die Form ist bei Gryphius "epochenkonform", das heißt er benutzt und beachtet die damaligen Regeln.
Das Gedicht wird durch die erste und letzte Zeile (Zeile 1: "Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret", und Zeile14: "Das auch der Seelen Schatz so vielen abgerungen.") umklammert und in den Bedeutungszusammenhang gerückt.
Die Beobachtung der totalen physischen Zerstörung, "mehr denn ganz verheeret", wird erst deutlich durch den in Zeile14 beschrieben Glaubensverslust. Der "Seelen Schatz" steht sinnbildlich für den Glauben an Gott, der Verlust dieses Glaubens durch Krieg führt zum physischen Ende.
Die erste Zeile stellt das Motto des Gedichts heraus. Sie weist durch das "wir" auf den betroffenen Umkreis, der Dichter ist mittendrin, der Betroffenen, so wie auch auf die Zerstörung hin. Die geschieht durch die paradoxe Steigerung von "ganz" zu "ja mehr denn ganz". Die Verbform "verheeret" und die paradoxe Steigerung machen eigentlich deutlich, dass die Situation sich nicht mehr verschlimmern kann.
Das Heer, abgeleitet von dem Verb "verheeret", steht als Urheber der Zerstörung fest. Die Bilder, in Zeile 3/4:
"Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Kartaun, Hat allen Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret.",
werden durch das Sprechtempo verstärkt. Während das Tempo in Zeile 3 beschleunigt wird, durch zwei halbe Verse, und somit die Gefahr verdeutlicht wird, vermindert sich das Tempo in Zeile 4 durch den Langvers, welcher die Aussichtslosigkeit wiederspiegelt.
Die Bilder "rasende Posaun", "donnernde Kartaun" und "Das vom Blut fette Schwert" verdeutlichen wie sich der Krieg verselbständigt hat: Durch die Personifikation werden die Objekte des Krieges, Posaunen, Geschützte und Schwerter zu handelnden Figuren, der Mensch aber wird im Gegensatz dazu zum Objekt des Krieges degradiert. Auch fehlt ihm die Möglichkeit sich dem entgegenzustellen. (Zeile 4)
In der zweiten Strophe ändert sich das Darstellungsmoment: Der Krieg als solcher steht nicht mehr im Vordergrund der Betrachtung sondern Gryphius beschreibt hier die direkten Auswirkungen auf den Menschen.
Die umgekehrte Kirche kann als Glaubensverlust gesehen werden. Die resümeeartige Bündelung "und wo wir hin nur schaun" ist hier auffällig, die einer Aufreihung einzelner Aspekte folgt. Das resümee geht jedoch im nachfolgenden Vers in eine weitere Aussageverstärkung über. Wieder zielt die Häufigkeit der Bilder und ihre Bedeutung auf einen totalitäre Aussage: "ist Feuer, Pest und Tod, der Herz und Geist durchfähret."
In dieser Strophe werden die verschiedenen Bereiche angesprochen, welche vom Krieg betroffen sind:
Das Militär in erster Linie symbolisiert durch die Türme der Mauern, dann auch die Kirche, welche durch das Gebäude Kirche symbolisiert wird, und dann auch die Politik, welche durch das Rathaus symbolisiert wird.
Dieses Totalität wird auch im folgenden eine Gegenüberstellung von stark, "starken" (Zeile 6), und schwach, Symbol der Jungfrau (Zeile7).Denn durch Gegenüberstellung dieser beiden Extrema, Schutzbedürftige Schwäche und unbändige Automie, zeigt sich, dass wirklich jeder Lebensbereich vom Krieg betroffen ist.
Und darüber hinaus auch, dass jeder Mensch, verdeutlicht durch Herz und Geist, durch den Krieg, hier verbildlicht durch Feuer, Pest und Tod (Zeile 8), betroffen ist. Auch wird dadurch wieder das Unfassbare der Vernichtung verdeutlicht. Sie gilt dem Körper wie dem Gefühl, dem Verstand und dem Glauben an Gott.
Die Zeitangaben wie das Zeitadverb "allzeit" (Zeile 9), die Zeitangabe "dreimal sechs Jahr" (Zeile 10) unterstützen den Eindruck des Nicht-enden-wollens des Kriegselend. Der Ausdruck "allzeit frisches Blut" in Zeile 9 bewirken die Ausdruckssteigerung und Eindringlichkeit, ebenso wie der Plural "unser Ströme Flut" in Zeile 10. Die temporale Konjunktion "als" , akzentuiert im Sinne von "seit" oder "seitdem" diesen Aspekt der Grausamkeit des Krieges.
Nach diesen Bildern des Grauens, welche den Höhepunkt darstellen zu scheinen, wechselt nun wieder die Blickrichtung im zweiten Terzett. Gryphius wechselt von den sichtbaren zu den innerlichen Schäden des Krieges. Dieser Perspektivwechsel wird markiert durch Wörter wie "doch" zum Versbeginn oder Komparative wie "ärger" (Zeile 12) und "grimmer" (Zeile 13)
Den Bildern aus den übrigen Strophen, wie "Tod", "Pest" und "Feuer", die zusammenfassen den Krieg bedeutend, das wichtigere Verhängnis gegenüber; das der Seele. Dieses Verhängnis ist, nach Gryphius, das höchste Gut der Menschen und im Gedicht als "Schatz" beschrieben. Es ist der Glaube an Gott, der vielen schon verloren gegangen ist.
Gryphius thematisiert zwar den äußeren Zwang, der den Menschen keine Wahl zu lassen scheint. Allerdings ist dieses letzte Terzett auch als Warnung zu verstehen. Denn der Mensch ist für sein Seelenheil selbst verantwortlich auch in einer solchen Situation. Darum ist es, aufgrund des Gewichts der rhetorischen Mittel ein Appell an die Menschen ihre Situation und Haltung zu überdenken.
Auffällig ist der Bezug zur Bibel. Er lässt Einflüsse mit einfließen um die Menschen auf ihre Situation aufmerksam zu machen. So den Krieg, den Tod und die Pest als apokalyptische Reiter. (Offenbarung des Johannes, Kapitel 6) Der Barocklyriker verarbeitete sie deshalb im Werk um den Menschen die Augen zu öffnen, damit sie, unwichtig der Konfession, an ihrem Glauben an Gott festhalten sollen.
Georg Heyms Gedicht, "Der Krieg" von 1911, gibt eine Voraussicht auf den 1. Weltkrieg. Er beschreibt auf erschütternder Weise die Brutalität des Krieges. Für Heym ist der Krieg allerdings nur ein Symbol für die eine überholte Ordnung beziehungsweise einer Gesellschaft, die an Machtgewinn Kolonialerweiterung und Industrialisierung orientiert ist.
Krieg ist somit für ihn eine Metapher für die Zerstörung des Alten, hier als "Gomorrh" (Zeile 44) bezeichnet. Hierbei bezieht sich der Autor auf die Bildsprache der Apokalyptik. Heym baut bestimmte Elemente eines Bibelzitats zu Beginn des Gedichtes ein: "Aufgestanden ist er (...) Aufgestanden aus Gewölben tief." (Zeile 1-2).
Es soll die Aussagekraft des Gedichts nachdrücklich verstärken; auch in dem Heym sich hier einer Anapher, die den Überraschungseffekt zusätzlich verstärken soll, bedient. Hierbei ist ebenfalls zu beachten, dass der Krieg aus dem Untergrund aufsteigt, d.h. der Untergrund wird hier als Bild für das Böse (vergleiche Bibel: der Teufel lebt im Untergrund, der Hölle) verwandt. Dieser Kriegsdämon wird personifiziert und zu einem handeldem Subjekt überdimensionaler Größe, wie es auch die Attribute "groß und unbekannt" (Zeile 3) und "riesig" (Zeile 39) nahe legen.
Die erste Strophe bezieht sich vor allem auf die Herkunft des Krieges und mit seiner Erscheinungsform, anschließend zeigen die zweite und die dritte Strophe die Bedrohung der Stadt durch den Dämon Krieg auf: "In den Abendlärm der Städte fällt es weit." (Zeile 5). Die Strophen vier bis acht dagegen verdeutlichen sein Wirken besonders als Feuersturm, der über das Land jagt und totale Zerstörung hinterlässt: "In die Nacht er jagt das Feuer querfeldein." (Zeile 25). Die Schlussstrophen zehn und elf zeigen die bereits vernichtete Stadt: "Eine große Stadt versank in gelben Rauch." (Zeile 37).Durch diesen Aufbau wird eine Rahmenstruktur erkennbar: zunächst die Vorahnung und die Angst der Städte mit ihren Bewohnern, welchen dann in den mittleren Strophen die Darstellung der Zerstörung des gesamten Landes folgt und schließlich die Rückkehr zum räumlichen Ausgangspunkt, der inzwischen zerstörten Stadt.
Das Gedicht gliedert sich hierzu in vierzeilige Strophen, welche kreuzweise gereimt, einen erschütternden Eindruck von der Zerstörungswut des Krieges geben. Auffällig ist hierbei der sechshebige Trochäus: "Aufgestanden ist er, welcher lange schlief, Aufgestanden unten aus Gewölben tief." Zeile (1-2), welcher das Gefühl des Ausgeliefertseins verstärken und vertiefen soll. Ebenfalls erreicht Heym mit dem Zusammenlegen von Vers- und Satzenden, dass die einzelnen Zeilen so durch eine Pause am Versenende hervorgehoben werden. Dadurch ergibt sich, insbesondere durch den sechshebigen Trochäus, ein stampfender, drängender Rhythmus, der das grauenhafte Geschehen zusätzlich unterstreicht. Dem Krieg wird hierbei eine göttliche, furchtbar erscheinende Allgewalt zugesprochen. Diese Gewalt äußert sich sich in satanischen Zügen - z.B. Stößt der Dämon die aus Todesangst Fliehende in das Feuer. "Und was unten auf den Straßen wimmelt hin und her, Fegt er in die Feuerhaufen, dass die Flamme brenne mehr." (Zeile 33). Hauptmerkmal des Dämons ist das Feuer, welches mit unterschiedlichen, ausdrucksvollen Bildern dargestellt wird: So z.B. als "Einen roten Hund mit wilder Mäuler Schrein." (Zeile 26) oder "mit tausend hohen Zipfelmützen weit" (Zeile 29). Die Zipfelmützen stehen für die verheerenden Flammen, die der Krieg mit sich bringt.
Dieser Übermacht sind die Menschen hilflos und rettungslos ausgeliefert, welches der Vers: "Zahllos sind die Leichen schon im Schilf gestreckt" (Zeile 19) schockierend zum Ausdruck bringt. Zuerst werden die Vorahnung, das Nicht-Begreifen und das Entsetzen genannt: "der Märkte runder Wirbel stockt zu Eis" (Zeile 7). Die Kurzsätze "Es wird still. Sie sehen sich um. Und keiner weiß." (Zeile 8) unterstreichen die Fassungslosigkeit des Menschen, welche die Opfer der Menschen darstellen. Die Menschen begreifen nichts, finden "keine Antwort" (Zeile 10) auf die "Frage" (Zeile 10) Warum (?)
Das vollständige Zerstörungswerk kann mit dem Schlüsselwort "Gomorrh" (Zeile 44) erklärt werden: in der Bibel (Gen 19,24) sind Sodom und Gomorrha Städte des Bösen, von Gott aus diesem Grunde durch ein Feuer - und Schwefelregen vernichtet, gleichsam wie die letzte Strophe des Heym Gedichts zeigt: "Pech und Feuer träufet unten auf Gomorrh" (Zeile 44). Erkennbar wird der Standort der Zivilisationskritik: offentlichtlich erwachsen die zerstörerischen Gewalten aus dem verhängnisvollen Tun der Menschen, der seine moderne Welt zu beherrschen glaubt, aber die Abgründe nicht bemerkt, die zu verschlingen drohen. Der Krieg ist, wie einleitend gesagt, eine Metapher für die totale Vernichtung, ohne die Konturen des Neuen Lebens erkennen zu geben; es bleibt nur "Wüstenein" in Zeile 42 zurück. Ein Sprecher ist in diesem Gedicht nicht direkt nachweisbar, aber die Darstellung des Untergangs durch den personifizierte Krieg zeigt ein beobachtendes Ich, das aus großer Entfernung und unbeteiligt die Ratlosigkeit der Menschen und deren Vernichtung in bedrückenden Bildern der Gewalt darstellt: "wo der Tag flieht, sind die ströme schon voll Blut" (Zeile 18). Diese Bilder beschwören ein grauen, in dem auch deutlich Elemente der Faszination angesichts der Kraft der Vernichtung erkennbar sind: "Auf den Bergen hebt er schon zu tanzen an Und er schreit: Ihr Krieger alle, auf und an." (Zeile 13-14). Diese Dynamik des Dämons, die Lust, vielleicht auch die Gier zu vernichten und mit den Spielobjekten, den Kriegern, sein Werk blutig zu vollenden, wird hier sehr ausdrucksvoll beschrieben. Wie Rumpelstilzchen tanzt er und bringt ein unheilbares Unglück mit sich.
Diese Brutalität, mit der Heym versucht, seine Gesellschaftskritik anzubringen und die Gesellschaft zumindest visionär zu vernichten, zieht sich durch jede einzelne Strophe des Gedichtes. Der Text veranschaulicht durch seine Aussagekraft die Missstände der Zeit, indem er die Zerstörung der Welt und somit auch der Menschen detailliert beschreibt.
Die vorliegenden Gedichte beschäftigen sich beide mit dem Grauen des Krieges, gehen aber auf unterschiedlichste Art und Weise an die Thematik heran. Sowohl in der Intention wie auch on der Behandlung dieses Themas werden Unterschiede deutlich, die darauf schließen lassen, dass die Gedichte aus verschiedenen literarischen Strömungen stammen, was sich sowohl im Inhalt als auch in der Form der Texte wiederspiegelt. Wie man aus den voraus gegangene Analysen klar erkennen kann, handelt es sich vordergründig um Kriegsgedichte. Während Gryphius, der erstrangig den dreißigjährigen Krieg behandelt, auf das Lebensgefühl des Barock, welches durch die Spannung zwischen Diesseitsfreude und Bewusstsein der Vergänglichkeit geprägt ist, eingeht, verfolgt Heym die Intention, das Bestehende als verrottet und untergangsreif zu bezeichnen und durch eine Krieg zu zerstören zu müssen.
Heym kritisiert die Gesellschaft der wilhelminischen Zeit. Die historischen Ereignisse, wie z.B. die zweite Marokko-Krise, ließen einen Krieg erahnen. Der Expressionist nahm die politische Situation dieser Zeit zum Anlass, seine Intention mit einem Ausbruch des Krieges zu verbinden. Heym bediente sich schließlich dieses Mittels, um eine Möglichkeit zum Neuanfang, nach der Vernichtung der verschmähten Gesellschaft und Politik, aufzuführen. Dies waren die Ziele der Expressionisten.
Gryphius dagegen beschreibt die Kriegswirklichkeit und sieht diese als Gefahr an. Er möchte einerseits auf
die Vergänglichkeit hinweisen, andererseits den Glauben an Gott wahren, indem er an den Leser appelliert, der seine Situation erkennen soll. Gemäß der Barocklyrik ist das Grundthema eindeutig religiös bestimmt und die intellektuelle Abhandlung stellt die Vergänglichkeit alles Irdischen in den Mittelpunkt.
Ein weiterer Unterscheidungspunkt zwischen Gryphius und Heym liegt in dem "Erfahrungs"-wert. Gryphius lässt seine persönlichen Erfahrungen und Empfindungen völlig in den Hintergrund treten, lässt sie nur als beispielhafte Resonanz auf den barocken Ausspruch "Memento mori" verstehen, wogegen Heym, nach den Normen des Expressionismus, soweit es sie gab, als Subjekt seine Empfindungen in den Mittelpunkt stellt, um Normen zu zerbrechen, um seinen individuellen Weg zu finden, mit dem er seiner Intention folgen kann.
Jedoch muss man dabei die für den Expressionismus typische Ich-Dissonanz erkennen. Das lyrische Ich ist nicht mehr vorhanden. Heym überträgt seine eigene Befindlichkeit in die Sprache hinein. Bei Gryphius werde ich aber fündig. Das lyrische Ich wird als Erzähler erkennbar, wie es von der Barocklyrik gefordert wurde.
Mit den inhaltlichen und intentionalen Unterscheidungen der beiden Gedichte gehen auch formale Unterschiede einher. Das Gedicht "Tränen des Vaterlandes" entspricht der Sonettform. Im Barock spielen die Regeln der überlieferten Rhetorik und Poetik eine herausragende Rolle, sind verbindlich für Gryphius. Mit der Vorbildrolle dieser poetischen Muster und Regeln erklärt sich der hohe rhetorische Charakter, zumal auf diese Weise die Absicht am wirkungsvollsten zu erreichen ist.
Bei Heym kommt vor allem der Expressionismus zum Ausdruck. Seit dieser Epoche gibt es keine Norm mehr in der Lyrik, die man verletzen könnte, um auf neue Erfahrungen aufmerksam zu machen. Heym zerbricht alle vorangegangenen Normen und schafft damit eine neue Situation, Gryphius dagegen ist an das Sonett gebunden. Mit kühnen Metaphern versucht Heym ebenfalls die traditionelle Bilder-Sprache zu zerstören. Zwar ist das Gedicht in zehn Strophen aufgeteilt und verfügt darüber hinaus auch über das Paar-Reim-Schema, jedoch ist diese Form lediglich ein Ausdruck seiner selbst. Der junge Expressionist bedient sich dieser Form, nicht der Regeln der Epoche wegen, sondern um für sich selbst eine geeignete Darstellungsform zu finden. Gryphius nutzte das Sonett lediglich der Norm wegen, und diese verpflichtete ihn zu einer Gedichtform als Sonett mit dem traditionellen Alexandriner, dem sechshebigen Jambus mit Mittelzäsur. Auffällig ist an beiden Gedichten ebenfalls der Bezug zur Bibel. Sowohl Gryphius als auch Heym bedienten sich der Inhalte der Offenbarung des Johannes, in der die Zerstörung von Sodom und Gomorrha thematisiert wird.
Dies war vor allem in Barocklyrik ein übliches Verfahren. Die Themen wie die Stilfiguren entstammten oft den Vorlagen antiker Schriftsteller oder der Bibel. Diese Epoche war sehr religiös geprägt, so ist es nicht verwunderlich, dass Gryphius sich seines Wissens um die Thematiken der Bibel bediente, um auch die Menschen, die er mit seinem Gedicht erreichen wollte, zu fesseln und den Krieg als etwas von Gott gegebenes zu bewerten, damit die Leser nicht ihren Glauben an Gott verlieren, welches seine Intention ist.
Heyms Bibelzitat ist auf persönliche Ängste zurückzuführen. Die gegenwärtige Bedrohung durch die Gesellschaft vermag er nur mit Hilfe dieses Mittels zu bewältigen, indem er sein Gedicht aus der poetisch verdichteten und ausgeformten Dynamisierung der Apokalypse darstellt. Diese Idee einer befreienden Vernichtung, eines in Bild gesetzten Sieges elementarer Lebensgewalt über alle lebensfeindlichen Kräfte der Gegenwart ist jedoch keine Katastrophenvision, welche religiös als Ausdruck menschlicher Schuld diente, sondern als Strafe für zivilisatorische Verhaltensmuster anzusehen. In der faszinierenden Projektion vom Untergang gestaltet das Gedicht sein Bild einer lebensbefreienden Überwindung, deren Sieg die rauschhaften Schlussstrophen ausgestalten. Heym hat also keinen religiösen Hintergrund zum Gebrauch der Offenbarung des Johannes; diese Lyrik der Apokalypse hilft ihm lediglich, seine Vorstellungskraft einer Vernichtung zu unterstützen und das Gedicht somit für den Leser tiefsinniger und intensiver zu gestalten.
Beide Dichter beschreiben ebenfalls mit brutalen Worten den Krieg. Sie stellen ihn in seiner grauenhaften Realität dar. Nicht das Heldentum wird charakterisiert, sondern in Gryphius' Gedicht die Sinnlosigkeit und in Heyms Gedicht die Notwendigkeit, jedoch nicht im Sinne des Wunsches eines Kriegsbeginns, eher im Sinne der Bildlichkeit, welche einen Neubeginn zulassen würde, um die Gesellschaft zu reformieren.
Durch Zeitadverbien im Gedicht "Tränen des Vaterlandes" versucht der Barocklyriker ebenfalls das Unaufhörliche des Krieges zu veranschaulichen. Heym übersieht bewusst diesen Aspekt, da es für ihn in seiner Intention keine Rolle spielt, wie lange das Kriegselend andauert. Für ihn zählt allein die Tatsache, dass ein Krieg herrscht. Gryphius war selbst betroffen. Für ihn war es eine Qual, die immerwährend andauerte und nicht zu enden schien. Vor allem die Gewalt des Krieges und die Folgen, die er mit sich brachte, lassen die Ohnmacht des Dichters deutlich erkennen. Es ist für uns schwer nachzuvollziehen, wie die Lebensbedingungen zu dieser Zeit gewesen sein müssen, jedoch spiegeln die "Tränen des Vaterlandes" die damalige Situation in totaler Zerstörung wider. Heym konnte lediglich erahnen, welche Ausmaße ein solcher Krieg haben kann. Er greift nicht auf eigene Erfahrungen zurück. Dem Expressionisten gelingt es trotz alledem, den Leser mit Bildern des Grauens zu fesseln. Hier stelle ich eine Kongruenz zu Gryphius fest, der mit seinen erzählenden Bildern ebenfalls diese unheimliche Zerstörungswut des Krieges beschreibt. Diese Brutalität führe ich auf die in beiden Gedichten beschriebene Abschlachtung der Menschen zurück. Diese Abschlachtung äußert sich in der Darstellung von strömendem Blut oder umherliegenden Leichen. Hierdurch wird besonders das barocke Lebensgefühl "Memento mori" akzentuiert. Gryphius führt dem Leser bewusst diese Bilder vor Augen, um ihn an die Vergänglichkeit des Irdischen zu erinnern. Heym sieht es eher als Darstellung eines Wunsches, der jedoch so nicht real umgesetzt werden soll, sondern einen gesellschaftlichen Umschwung darstellt, bei dem, wie schon gesagt, die alte tradierte Form der Gesellschaft aufgelöst und eine neue erschaffen werden soll. Der Barocklyriker strebt ebenfalls einen Umbruch an, den Umbruch des Glaubens. Er spricht in seinem Gedicht von dem Glaubensverlust, der durch den Krieg hervorgerufen wurde. Gryphius appelliert nun an den Leser, dass er, obwohl es sehr schlimm für die Menschen ist, Morde zu sehen, zu leiden, Zerstörungen zu ertragen und Greueltaten auszuhalten, an seinem Glauben festhält, weil dieser ihn stärkt.
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