GEDICHTINTERPRETATION
Eine Übersicht darüber, wie man eine vollständige, schulisch korrekte Gedichtinterpretation erstellt, habe ich für eine Schülerin entworfen. Ich muß aber vorwegnehmen, daß ich persönlich die Art der in der Schule praktizierten Auseinandernahme der Gedichte, insbesondere die Stilmittel betreffend, für wenig sinnvoll halte. Da aber mal wieder niemand auf mich hört, werden sich Schüler wohl noch eine Weile damit herumschlagen müssen, und dafür gebe ich nun diese ausführliche Anleitung.
Zuerst gebe ich eine kurze Übersicht, dann zu jedem Punkt eine längere Ausführung.
Vor dem Schreiben
Autor erkennen
Lesen
Inhalt kurz notieren
Formanalyse
Sprachanalyse
Das Schriftliche
Der Dichter / die Zeit
Gliederung
Gesamtaussage
Zusammenfassung
Bedeutung
1) Autor erkennen
Zuerst ist es natürlich sinnvoll, sich anzusehen, wer das Gedicht, das man gleich lesen wird, geschrieben hat. Dadurch ergeben sich verschiedene Lesarten. Ein Klassiker kann ein Gedicht schreiben wie ein Romantiker, um sich darüber lustig zu machen. Deswegen (und um der Allgemeinbildung Willen) macht es Sinn, sich die wichtigsten Dichter verschiedener Epochen zu merken. Hier eine unvollständige Übersicht (in zeitlicher Abfolge). Zu Beachten ist, daß viele Autoren sich nicht ohne weiteres einer Gruppe zuordnen lassen.
BRD-Literatur (einschl. Schweiz, Österreich):
Heinrich Böll, Wolfgang Borchert, Friedrich Dürrenmatt, Max Frisch, Rose Ausländer, Peter Huchel, Carl Zuckmayer, Siegfried Lenz, Peter Weiss, Paul Celan, Nelly Sachs, Günter Eich, Erich Fried, Wolf Wondratschek, Ingeborg Bachmann, Paul Zech, Ernst Meister, Brigitte Reimann, Hans Magnus Enzensberger, Günter Eich, Martin Walser, Erich Fried, Hilde Domin, Günter Grass
DDR-Literatur:
Peter Hacks, Gerhard Branstner, Heiner Müller, Anna Seghers, Günter Kunert, Christa Wolf, Volker Braun, Johannes R. Becher, Rainer Kirsch, Sarah Kirsch, Wolf Biermann, Franz Fühmann, Ludwig Renn, Bertolt Brecht, Friedrich Wolf, Arnold Zweig, Heinz Kahlau
Weimarer Republik / Exil:
Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky, Erich Kästner, Klaus Mann, Thomas Mann, Hermann Hesse, Robert Walser, Erich Maria Remarque, Stefan Zweig, Robert Musil, Karl Kraus, Egon Erwin Kisch, Jakob Wassermann, Lion Feuchtwanger, Ödön von Horwáth, Kurt Schwitters, Joseph Roth, Alfred Döblin, Heinrich Mann, Hans Fallada
Expressionismus:
Georg Trakl, Gottfried Benn, August Stramm, Ludwig Renn (Jugendzeit), Johannes R. Becher, Leonard Frank
Impressionismus / Symbolismus:
Rainer Maria Rilke, Heinrich Mann (Jugendzeit), Thomas Mann (Jugendzeit)
Naturalismus:
Gerhart Hauptmann, Hugo von Hofmannsthal
Dichter der Zeit:
(Wilhelm Klemm, Theobald Ziegler, Alfred Lichtenstein, Julius Hart, Stefan Zweig, Ernst Wilhelm Lotz, Arno Holz, Stefan Goerge, Georg Heym, Ernst Stadler, Oskar Loerke, Paul Boldt, Alfred Wolfenstein, Jakob van Hoddis, Else Lasker-Schüler, Kurt Heynicke, Franz Kafka, Wilhelm Busch, Christian Morgenstern, Joachim Ringelnatz, Frank Wedekind)
Bürgerlicher Realismus:
Theodor Storm, Theodor Fontane, Gottfried Keller, Wilhelm Raabe, Conrad Ferdinand Meyer, Heinrich Heine (hier wird man Heine nicht ganz gerecht, er ist am ehesten als Nachklassiker zu bezeichnen)
Vormärz:
Georg Büchner, Georg Herwegh, Ludwig Börne, Karl von Gutzow, Dietrich Grabbe, Ferdinand Freiligrath, Georg Weerth
Biedermeier:
Annette von Droste-Hülshoff, Eduard Mörike, Theodor Körner, Ludwig Uhland, Adalbert Chamisso, August von Kotzebue, Joseph von Eichendorff
Romantik:
Novalis, Clemens Brentano, Ludwig Tieck, Karoline von Günderode, Bettina von Arnim, Achim von Arnim, Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, Heinrich von Kleist, Wilhelm Heinrich Wackenroder, Friedrich Schlegel
Klassik:
Johann Wolfgang Goethe, Friedrich Schiller, Johann Gottfried Herder, Christoph Martin Wieland, Friedrich Hölderlin (teilweise), Jean Paul (teilweise)
Sturm und Drang / Empfindsamkeit:
Johann Wolfgang von Goethe (Jugendzeit), Friedrich Schiller (Jugendzeit), Reinhold Jakob Michael Lenz, Maximillian Klinger, Heinrich Leopold Wagner, Gottfried August Bürger, Friedrich Gottlieb Klopstock, Matthias Claudius, Sophie von La Roche
Aufklärung:
Gotthold Ephraim Lessing, Gottfried Benn, Gottlieb Konrad Pfeffel, Christoph Martin Wieland, Gottfried August Bürger, Matthias Clausius, Christian Friedrich Daniel Schubart, Jean de La Fontaine, Christian Fürchtegott Gellert, Georg Christoph Lichtenberg, Friedrich von Hagedorn, Johann Christoph Gottsched, Johann Christian Günther
Barock:
Andreas Gryphius, Paul Fleming, Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen, Friedrich von Logau, Johann Grob, Justus Georg Schottel, Catharina Regina von Greiffenberg, Christian Hofmann von Hofmannswaldau, Martin Opitz, Georg Philipp Harsdörffer, Angelus Silesius, Christian Reuter, Jakob Bidermann, Jakob Böhme
Deutsche Renaissance:
Hans Sachs, Erasmus von Rotterdam, Melanchton, (zahlreiche anonyme Autoren)
Mittelalterliche Literatur (AHD, MHD):
Wolfram von Eschenbach, Hartmann von Aue, Gottfried von Strassburg, Wernher der Gärtner, Der von Kürenberg, Dietmar von Aist, Albrecht von Johansdorf, Walther von der Vogelweide, Heinrich vonn Morungen, Rudolf von Fenis, Neidhart von Reuental, Hrotsvith von Gandersheim
2) Lesen
So unvermutet das kommen mag, aber das Lesen eines Gedichtes ist der wichtigste Teil, der oft zu schludrig vonstatten geht. Bei Lyrik ist es oft notwendig, langsam zu lesen, wenn möglich halblaut, um die häufig umgestellten Sätze zu verstehen. Ehe man einen Schritt weiter geht, sich Stilmittel oder ähnliches anguckt, ist es wichtig, den reinen Inhalt zu verstehen.
3) Inhalt notieren
Folgende Fragen sollte man sich stellen:
· Geschieht etwas in dem Gedicht? / Was geschieht in dem Gedicht?
· Was wird thematisiert?
· Wo liegt der Schwerpunkt?
· Gibt es einen Unterschied zwischen Handlungsebene und Bedeutungsebene?
· Ist es eventuell autobiographisch?
Es ist sinnvoll, sich die Antworten auf diese Fragen auf einem Notizblatt aufzuschreiben, ehe man an die Bearbeitung geht. Sie sind die Voraussetzung für die anschließende Interpretation.
4) Formanalyse
Kommen wir nun zum langweiligsten Teil einer Gedichtanalyse. Für den Schulunterricht ist es notwendig, gewisse Dinge eines Gedichtes zu erkennen. Das Folgende stellt man im Aufsatz am besten der Interpretation voran. Geklärt werden müssen:
· Strophenanzahl
· Versmaß
· Reimschema
· Kadenzen
Versmaß
Die Strophenanzahl ist leicht geklärt. Beim Versmaß ist es schon etwas komplizierter. Die gängigsten deutschen Versmaße sind Jambus, Trochäus, Daktylus und Anapäst. Man muß sie erkennen lernen, da führt kein Weg vorbei.
Jambus - Zweittakt (unbetont, betont)
- x - x - x - x
Erquicklich ist die Mittagsruh,
- x - x - x - x
nur kommt man oftmals nicht dazu.
(W. Busch)
Trochäus - Ersttakt (betont, unbetont)
x - x - x - x -
Menschen necken, Tiere quälen,
x - x - x - x -
Äpfel, Birnen, Zwetschgen stehlen.
(W. Busch)
Anapäst - Drittakt (unbetont, unbetont, betont)
- - x - - x -
Kommt ein Vogel geflogen
- - x - - - x
setzt sich nieder auf mein Fuß
(Volkslied)
Daktylus - Ersttakt (betont, unbetont, unbetont)
x - - x - - x - - x -
Mitten im Schimmer der spiegelnden Wellen
x - - x - - x - - x
gleitet, wie Schwäne, der wankende Kahn;
(F. L. v. Stolberg)
Wenn man richtig angeben möchte, lernt man auch noch den schwierigen Namen des folgenden Versmaßes.
Amphibrachys - Mitteltakt (unbetont, betont, unbetont)
- x - - x - - x - - x -
Der Sommer kein Kummer noch Trauernis leidet,
- x - - x - - x - - x -
der Schläfer, der Schäfer, der pfeifet und weidet,
- x - - x - - x - - x -
der Bauer, der Lauer, der erntet und schneidet.
(J. Kaij)
Für viele ist es schwierig, die jeweilgen Versmaße zu erkennen. Das einzige, was mal wieder hilft, ist Übung. Man spreche den Text langsam und in einem leiernden Ton, zur Not kann auch Klatschen bei den betonten Silben helfen.
Reimschema
Wie auch bei den Versmaßen werden auch die Reimschemata nicht immer strikt durchgehalten in Gedichten. Hier die grundlegenden Formen (es gibt noch sehr viele weitere):
Paarreim
a Es war einmal ein Papagei,
a der war beim Schöpfungsakt dabei
b und lernte gleich am rechten Ort
b des ersten Menschen erstes Wort.
(C. Morgenstern)
Kreuzreim
a Und immer wieder schickt ihr mir Briefe,
b in denen ihr, dick unterstrichen, schreibt:
a »Herr Kästner, wo bleibt das Positive?«
b Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt.
(E. Kästner)
Klammerreim / umarmender Reim
a Ein Werwolf eines Nachts ertwich
b von Weib und Kind und sich begab
b an eines Dorfschullehrers Grab
a und bat ihn: »Bitte, beuge mich!«
(C. Morgenstern)
Eine besondere Gedichtform, die gerne in der Schule behandelt wird, ist das Sonett.
Sonett
a Die Post geht langsam und das Leben schnell
b Ich schreib dir einen Eilbrief, und ich sag,
b Wie sehr ich dich erwäg, und an dem Tag,
a wo du ihn kriegst, wird mir der Morgen hell
c In deinem süßen Bett. Der alte Mann,
d Der ihn besorgt, ist atemlos, denn du
d Wohnst hoch, und er verdient sich was dazu.
c Der Brief, der stak im Postamt nebenan.
e Nun zur Verallgemeinerung. Erfahrung
f Ist solch ein Hinkfuß, der den Sachverhalt,
e Nach unvertretbar langer Aufbewahrung,
f Vor Eifer keuchend, in den Briefschlitz knallt.
g Der Text der Welt wird stets zu spät gelesen.
g Und nur im Vorgriff packt der Geist das Wesen.
(P. Hacks)
Kandenz
Der einfachste Teil. Reime werden unterschieden in weibliche (»klingende«) und männliche (»stumpfe«) Reime. Weibliche sind zweisilbig und ausklingend, männliche einsilbig und kurz.
Im düsteren Auge keine Träne, (weiblich)
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne: (weiblich)
Deutschland, wir weben dein Leichentuch, (männlich)
wir weben hinein den dreifachen Fluch - (männlich)
Wir weben, wir weben!
(H. Heine)
5) Sprachanalyse
Eine leidige Angelegenheit ist auch die Sprachanalyse, aber wahrscheinlich wird sie so bald nicht aussterben, also wagen wir uns daran. Dabei geht es hauptsächlich darum, zu untersuchen, ob bestimmte stilistische Mittel vom Dichter benutzt wurden. Die wichtigsten werden hier aufgeführt:
Allegorie:
Sinnbild, Gleichnis: Verbildlichung eines abstrakten Begriffs (Das Rad des Schicksals dreht sich.)
Alliteration:
auch Stabreim genannt: gleicher Anlaut der betonten Silben bei mehreren Wörtern (Milch macht müde Männer munter)
Allusion:
Anspielung
Anakoluth:
Satzbruch (\"Korf erfindet eine Mittagszeitung, welche, wenn man sie gelesen hat, ist man satt.\" - Morgenstern)
Anapher:
Wiederholung des gleichen Anfangswortes bei aufeinanderfolgenden Sätzen, Versen, Strophen (\"Ihr unsterblichen Seelen. Ihr, die ihr nicht von dieser Welt seit. Ihr Weltoffenen.\" - Handke)
Antithese:
Entgegenstellung (Alle reden vom Wetter. Wir nicht.)
Chiasmus:
Überkreuzstellung: syntakt. Überkreuzung zweier an sich parallel gebauter Satze (\"Die Kunst ist lang, und kurz ist unser Leben.\" - Goethe)
Chiffre:
Geheimzeichen, Verschlüsselung: zu Zeichen reduzierte Symbole od. Stimmungsträger, die das Gemeinte nur andeuten, das Wirkliche verfremden (\"Mit allen Augen sieht die Kreatur nur das Offene.\" - Rilke)
Ellipse:
Auslassung eines für die vollständige syntaktische Konstruktion notwendigen Satzgliedes (Je schneller, desto besser! Was nun?)
Emjambement - Zeilensprung:
Das Mondkalb
verriet es mir
im Stillen:
Das raffinier-
te Tier
tat´s um des Reimes willen.
(C. Morgenstern)
Euphemismus:
verhüllende oder beschönigende Umschreibung einer unangenehmen Sache (statt sterben: entschlafen, heimgehen)
Hyperbel:
Übertreibung (\"Ich fühle eine Armee in meiner Faust.\" - Schiller)
Hypotaxe:
Satzorganisation in Form der Über- und Unterordnung von Haupt- und Nebensatzen; komplizierter Satzbau, kunstvoll geschachteltes Gefüge von Sätzen
Ironie:
Form des uneigentlichen Sprechens: sagt das Gegenteil dessen, was eigentlich gemeint ist (eine schöne Bescherung)
Katachrese:
Bildbruch (Der Zahn der Zeit hat schon manche Träne getrocknet.)
Klimax:
kunstvolle Steigerung (Es dauerte Tage, Wochen, Monate, ja Jahre.)
Metapher:
Bildliche Bezeichnung
Motiv:
sich wiederholende, vorgeprägte typische Handlungsteile
Onomatopoesie:
Lautmalerei bei Wortbildungen (knistern, ächzen, girren)
Oxymoron:
Kopplung einander widersprechender Wörter (bittersüß, helldunkel)
Parataxe:
Satzreihe: Reihung von Hauptsätzen
Parenthese:
Einschub (Das war - kurz gesagt - seine Meinung)
Paradoxon:
Widersprüchlichkeit, Schein-widerspruch (Es ist merkwürdig, wie wenig im ganzen die Erziehung - verdirbt.)
Parallelismus:
Gleichbau mehrerer Sätze, Verse, Strophen (\"Gottes ist der Orient! Gottes ist der Okzident!\" - Goethe)
Personifikation:
Belebung eines Dinges oder Abstraktums (\"Es kam die Nacht und blätterte gleichgültig in den Bäumen.\" - Rilke)
Rhetorische Frage:
Frage, auf die keine Antwort erwartet wird (Was ist gewisser als des Menschen Ende?)
Symbol:
Wahrzeichen, Merkmal: bildhafter Ausdruck für einen auf etwas Höheres, Umfassenderes verweisenden Vorgang oder Zusammenhang (Kreuz, Adler, Flagge)
Synästhesie:
Zugleichempfindung: Mischung mehrerer Sinnesgebiete (Farbhören, die Musik des Herzens)
Pars pro toto:
Teil für\'s Ganze (In der Versammlung waren nur acht Nasen anwesend.)
Vergleich:
Verbindung eines gemeinsamen Gehalts zweier Bereiche (Er ist stark wie ein Löwe, groß wie ein Baum und reich wie das Meer.)
Zitat:
Übernahme und Verwendung wortlich wiedergegebener Äußerungen als Beleg für die eigene Auffassung (... wie Goethe seinerzeit schon sagte: \"Es irrt der Mensch, solang er strebt.\")
Das waren nicht alle, aber die wichtigsten Stilmittel
6) Der Dichter / Die Zeit
Aufsätze werden traditionell in Einleitung, Hauptteil und Schluß untergliedert. Punkt 6 und 7 gehören zur Einleitung. Es bietet sich an, in einem Aufsatz vorrausgehend etwas zur Zeit zu sagen, in der das Gedicht geschrieben wurde. Falls das Gedicht etwas mit der Biographie des Autors zu tun haben sollte, ist es ebenfalls sinnvoll, ihn kurz vorzustellen, sowie die Lebenssituation, in der das Gedicht verfaßt wurde, anzuschneiden. Dies sollte nicht allzu lang gefaßt werden.
7) Gliederung
Um den Eindruck eines geordneten Aufsatzes zu erwecken, sollte man kurz vorwegnehmen, was später genau erläutert wird: nämlich, worum es, grob gesagt, in dem Gedicht geht, was das Thema des Gedichtes ist. Auch, wenn es eine besondere Form hat, zum Beispiel ein Sonett ist oder sonstige Auffälligkeiten hat, die sofort ins Auge springen, kann das hier anklingen. Unter Umständen ist es möglich, vor neuen Abschnitten, wenn es paßt und sich sonst kein guter Übergang finden läßt, mit einem kleinen Satz vorrauszunehmen, was man vorhat. Das macht das Ganze übersichtlicher. Beispiel: »Das Gedicht greift ein typisches romantisches Thema auf, nämlich....«, »Der Dichter benutzt eine bildreiche Sprache.« etc. Noch besser ist es, eine Frage oder eine These aufzuwerfen, die dann im Hauptteil belegt oder widerlegt werden und im Schlußteil beantwortet werden können.
8) Gesamtaussage
Hauptteil. Unter »Gesamtaussage« fasse ich hier zusammen, was den eigentlichen Aufsatz ausmacht: Die Verbindung von Formanalyse, Sprachanalyse und Inhalt zur Interpretation des Gedichtes. Gemeinhin wird behauptet, es gäbe zwei gleichwertige Wege, das zu bewerkstelligen: Die Bearbeitung der Gebiete nacheinander und die verbundene Bearbeitung. Allerdings ist die wesentlich elegantere Lösung die verbundene Bearbeitung. Sie wird normalerweise auch besser bewertet. Deswegen gehe ich nur auf sie ein. (Die Bearbeitung nacheinander beinhaltet erst die Erläuterung des Inhalts / der Interpretation und anschließend der Form / der Sprache oder umgekehrt.)
Das Schwierigste ist nun also, gleich nach der Erfassung des Inhalts eines Gedichtes, einen einheitlichen Text zustande zu bringen, der die oben genannten Punkte, die man bestenfalls schon auf einem Notizzettel einzeln bearbeitet hat, verbindet. Außerdem müssen jedes Mal Belege aus dem Gedicht herangezogen werden. Die einfachste Vorgehensweise ist wie folgt:
Angefangen wird mit der Formdarstellung. »Das vierstrophige Gedicht ist im Kreuzreim geschrieben...« - »Der Dichter benutzt den Jambus, ein Versmaß, das beim Lesen einen beschwingten Rhythmus erzeugt...« - »Die überwiegend weiblichen Kadenzen geben jeder Zeile ein harmonisches Ende...« etc. Der Form werden also allgemein anerkannte Eigenschaften zugesprochen. Dieser Teil ist ebenfalls sehr kurz zu halten.
Jedes auffällige Stilmittel, das man erkannt hat, wird nun zur Unterstreichung der vorangegangenen Aussage zum Inhalt des Gedichtes genutzt. Es muß nicht auf alle Stilmittel eingegangen werden, aber auf die (für das gesetzte Thema) Wichtigsten. Hier ein Beispiel für ein Stilmittel an einem Gedicht.
Zeitgedicht
Gerecht zu sein, die Zeiten sind nicht schlecht.
Doch wer nur Dresche kriegt, ist manchmal nicht gerecht.
Sie haben so viel Steine in die Leier mir geschmissen,
Da ist mir die lobende Saite gerissen.
(P. Hacks)
Zuerst würde ich also kurz sagen, worum es geht. In etwa: »Der Künstler, der hier als lyrisches Ich auftritt, erklärt, warum seine Werke manchmal ungerecht sind, bzw. er wenig lobt.«
Nun das Beispiel an einem Stilmittel: Metapher. »In Zeile drei wird metaphorisch beschrieben, daß der Dichter bei der Arbeit behindert wird, sogar seine Möglichkeit, sich zu äußern, zerstört wird. Dafür benutzt er das Bild der Leier (\"Sie haben so viel Steine in die Leier mir geschmissen\"), die ein altes Instrument fahrender Dichter ist. Mit den geworfenen Steinen wird sie untauglich gemacht.«
Obwohl das sehr ermüdend ist, muß nun im Hauptteil ähnlich mit jedem wichtigen Stilmittel verfahren werden.
9) Zusammenfassung
Schluß. In wenigen Sätzen wird kurz vor dem Schluß zusammengefaßt, was die Hauptaussage des Gedichtes war. Hier ist es auch möglich, wieder auf die in der Einleitung gestellte These / Frage einzugehen.
10) Bedeutung
Ein gelungener Abschluß einer Gedichtinterpretation kann ganz verschieden aussehen. Zum Beispiel kann man bei einigen Gedichten sagen, daß sie eine besondere gesellschaftliche Bedeutung oder auch Wirkung hatten. Andererseits kann man seine eigene Sicht auf die im Gedicht behandelte Problematik hinzufügen. Wenn ein noch in der heutigen Zeit gegenwärtiges Thema Inhalt des Gedichtes ist, so kann man es auch im heutigen Kontext noch einmal kurz ansprechen. Und dann hilft nur Hoffen, daß der Lehrer versteht, was man versucht hat, im Aufsatz zu erklären...
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