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deutsch artikel (Interpretation und charakterisierung)

Erzähler und leser als hauptperson


1. Drama
2. Liebe

a) Besonders in der 7. Vigilie wird deutlich, wie sehr es dem Erzähler wichtig ist, die Fiktivität des von ihm Erzählten in Richtung auf die nicht-fiktive, \'\'reale\'\' Realität zu überspielen. Hier ist es nicht die lebensgeschichtliche Wirklichkeit des Autors, sondern - auf der anderen Seite der literarischen Kommunikation - die Alltagswirklichkeit des realen Lesers, in die das fiktive Geschehen über zwei Seiten lang transponiert wird oder die - umgekehrt - in die fiktive Handlung herübergeholt wird (72, 12ff. - 74,27). \'\'Ich wollte, daß du, günstiger Leser, am 23. September auf der Reise nach Dresden begriffen gewesen wärest\'\': Konj. II; \'\'vergebens suchte man, als der späte Abend hereinbrach, dich auf der letzten Station aufzuhalten\'\': Erzähl-Präteritum; \'\'indem du ganz richtig annahmst: ich zahle dem Postillon einen ganzen Taler Trinkgeld usw.\'\': Präsens in der Gedankenrede; \'\'Wie du nun in der Einsamkeit so dahinfährst, siehst du plötzlich in der Ferne ein ganz seltsames flackerndes Leuchten\'\': da bin ich als angeredeter Leser in meiner erlebten Gegenwart angelangt und werde nun in spielerischem Ernst unmittelbarer Augenzeuge, ja, schließlich sogar eine die Pistole ziehende dramatis persona, die als \'\'Schutzengel\'\' und damit als Stellvertreter, als Spiegelung des Anselmus agiert, der ja der eigentliche \"Schutzheilige\'\' der Julia alias Veronika ist.
Dieser Gipfel kunstvoll-künstlichen Erzählens zeigt: Auch der Leser wird vom Erzähler in die Wirklichkeit der mythischen Welt einbezogen. Wenn er - der Leser - nach kurzer Zeit wieder daraus herausfällt, hinein in die desillusionierende Realität, wird ihn die einmal in ihm angelegte Sehnsucht nach der mythischen Rolle nicht mehr loslassen.
Das ist möglich, weil nach E.T.A. Hoffmanns Willen offensichtlich der Erzähler - als Agent des Autors im Text - neben Anselmus die zweite Hauptperson, wenn nicht sogar die eigentliche Hauptperson ist. Der Erzähler hält den Spiegel in der Hand, mit dem die außertextliche Wirklichkeit des individuellen Autors und des individuellen Lesers, einmal verborgen, einmal offenkundig, und die ebenfalls unabhängig von der Fiktion des Textes wahr-sein-sollende mythische Wirklichkeit der Kosmogonie und der Endzeit der Geschichte eingefangen wird. Anselmus steht zwar im Mittelpunkt der Handlung, aber alles läuft hinaus auf die Situation des Erzählers, der in einem Überraschungs-Coup in der 12. Vigilie in seine eigene Erzählung als handelnde Person einsteigt bzw. die Fiktion in seine Wirklichkeit herüberzieht.
b) Die Interpretation des \'\'Goldnen Topfs\'\' hängt von der Beurteilung des Schlusses, der 12. Vigilie, ab. Anselmus ist bereits nach der 10. Vigilie nach Atlantis entschwebt, auf seinem feudalen \'\'Rittergut\'\' dort hat er (130, 6/7) \'\'die Bürde des alltäglichen Lebens endgültig abgeworfen\'\'. Der Erzähler dagegen verharrt am Ende in der unauflösbaren Spannung zwischen bürgerlich-armseliger \'\'Dachstübchen\'\'-Existenz in der Außenwelt und ebenfalls bürgerlich-\'\'artigem Meierhof\'\' in dem im \'\'innern Sinn\'\' als Erinnerung an die \'\'Vision\'\' gegenwärtigen Atlantis - wobei sogar diese Erinnerung problematisch wird, weil ja schließlich - bittere Ironie! - der Alkohol mit im Spiele gewesen ist. In der gleichen Spannung findet sich von Anfang bis Ende der Handlung der Archivarius Lindhorst. Allerdings wird er letztlich, wie Anselmus, diese Spannung in eitel \'\'Seligkeit\'\' auflösen können, denn es kann sein - so beurteilt zum Schluß der Erzähler den Effekt einer Veröffentlichung seiner Erzählung - daß Lindhorst durch diese Veröffentlichung \'\'die Hoffnung schöpft, desto eher seine beiden noch übrigen Töchter an den Mann zu bringen [ - ironische Brechung der mythischen Erhabenheit in der bürgerlichen Normalität - ], denn vielleicht fällt [beim Lesen des Märchens] doch ein Funke in dieses oder jenes Jünglings Brust, der die Sehnsucht nach der grünen Schlange entzündet, welche er dann [wie Anselmus] in dem Holunderbusch am Himmelfahrtstage sucht und findet.\'\' (126,2ff.) Dann \'\'darf der Salamander seine lästige Bürde abwerfen und zu seinen Brüdern [den anderen Elementargeistern im Reich des Phosphorus und der Feuerlilie] gehen\'\' (88,15ff.).
Das letztere weiß der Leser bereits aus der Erzählung Serpentinas in der 8. Vigilie. Ja, vielleicht ist es ihm, diesem Leser, wirklich schon, seit er diese 8. Vigilie gelesen hat, so geschehen wie dem Anselmus, vielleicht ist der spirituelle \'\'Funke\'\', der elementare \'\'Feuerstoff des Salamanders\'\' (87,20), auf ihn übergesprungen, und er ist schon unterwegs nach Atlantis!
c) Offenbar ist also der Erzähler für die Konstituierung oder die Aktivierung des \'\'kindlichen poetischen Gemüts\'\' (89,11) im Leser verantwortlich, das als Voraussetzung für die atlantische \'\'Karriere\'\' gilt. Das weitere muß dann die Liebe tun und wohl auch ein in beiden Welten lebender Mentor, der nicht der Erzähler sein wird. Oder am Ende doch? Denn schließlich wird er ja nach dem \'\'Goldnen Topf\" dem Leser weitere Erzählungen, weiteren \"Feuerstoff\", liefern, ihn also weiterhin auf den Weg zum \'\'Holunderbaum am Himmelfahrtstage\'\' schicken. Ob dem Erzähler, diesem anderen \'\'Archivarius\'\', allerdings als Lohn dasselbe utopische Schicksal zuteil wird wie dem Archivarius Lindhorst, wenn dieser alle seine Töchter \'\'an den Mann gebracht\'\' hat, bleibt offen. Im Rahmen der Handlung des \'\'Goldnen Topfs\'\' jedenfalls kann der Erzähler nicht nach Atlantis gelangen, er ist nur für die anderen, sein Publikum, da, er hat die Aufgabe einer neuartigen, nicht mehr klassischen ästhetischen Erziehung.
Immerhin erreicht er zum Schluß mit seiner \'\'Vision\" vom Glück des Anselmus in Atlantis die gleiche Stufe der \"Himmelsleiter\" wie der Student in der 8. Vigilie: Was jeder der beiden, der eine in der 8., der andere in der 12. Vigilie, visionär-\"leibhaftig\" erschaut und gehört hat, das findet er anschließend \"auf dem Papier [...] recht sauber und augenscheinlich von mir selbst aufgeschrieben\" vor (130,3f., 90,28ff.). Für Augenblicke hat auch der Erzähler abgehoben vom Boden der \"Armseligkeiten des bedürftigen Lebens\'\', sein Erzählverhalten hat mit dem eines puren \"Registrators\" nichts mehr zu tun, er ist in der Lage, Poesie hervorzubringen, die nicht mehr Mimesis von Vorhandenem ist, sondern ausschließlich Produkt der surrealistischen Einbildungskraft, des \"innern Sinns\" (130,22f.), einer Schau, wie sie Hoffmann am eindrucksvollsten beim wahnsinnigen Einsiedler beschrieben hat, der als der heilige Serapion von Antiochien mit den inneren Augen des Geistes in der Wüste das reale unendlich ferne Alexandrien sehen kann - besser, als wenn er dort an Ort und Stelle wäre. Die literarische Produktion am Boden der \"Himmelsleiter\" ist dann nichts anderes als ein irrelevantes, automatenhaftes Kopieren, zu dem der Poet immerhin die mechanischen Voraussetzungen haben muß (s. 6. Vigilie). \'\'Ganz oben\'\' und \'\'ganz unten\'\' auf der \'\'Himmelsleiter\'\' gehören zusammen: der eigentliche Poet ist Seher und Automat: Ambivalenz und Doppelgängertum auch hier.

 
 

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