Der Mensch ist, im Sinne Schillers, Hegels oder Marx´, ein universelles Wesen, zur Gänze frei nur in der Selbstbetrachtung in einer vom ihm geschaffenen Welt. Dieses trifft jedoch in den modernen Gesellschaften nicht mehr zu - falls es dies überhaupt je tat -, durch die Reduktion des universellen menschlichen Potentials auf einzelne Prozesse im Arbeitsablauf und Gesellschaftsleben wird das Individuum sich selbst entfremdet. Eine Aufsplitterung seiner Umwelt und hierarchische Arbeitsprozesse lassen den Menschen seine Fähigkeiten selbst nicht mehr als Ganzes verstehen, sondern diese in Einzelbereiche, z.B. Liebe, Arbeit, Muße, Kultur, aufteilen, zusammengehalten von einem unverstandenen, von außen her operierenden Mechanismus. Die ihm entfremdete Arbeit entfremdet dem Menschen nicht nur die Natur und seine eigene Funktion, sondern die Beziehungen zu sich selbst und seinen Mitmenschen, welche verdinglicht und versachlicht werden. Für Marx, Schiller oder Hegel ist daher der Mensch dieser Gesellschaften ein verstümmelter Mensch.
Neumann hält diese Theorie trotz ihres wichtigen Ansatzes für ergänzungswürdig. Deren Problem liegt demnach darin, daß es keine Gegenüberstellung universeller Mensch/verstümmelter Mensch geben kann, da ein universelles Wesen in keiner historischen Gesellschaftsform je existierte, es also eine utopische Größe darstellt, mit der man keine gesellschaftlich faßbare Daseinsform des Menschen vergleichen kann. Klarer wird dieser Einwand durch eine Differenzierung der Entfremdung in drei Schichten: die der Psychologie, die der Gesellschaft und die der Politik. Nur eine zunächst saubere Scheidung und spätere Zusammenführung dieser drei Schichten ermöglicht eine zufriedenstellende Behandlung des Problems der Entfremdung und damit der Angst in der Politik. Denn weder Entfremdung noch Angst sind Phänomene der modernen Gesellschaften, vielmehr waren sie in jeder staatlichen und gesellschaftlichen Struktur anzutreffen, von diesen lediglich in ihren Äußerungsformen modifiziert.
Ein wichtiger Punkt in dieser Argumentationsreihe ist die Entfremdung des Menschen von sich selbst durch einen jeder Gesellschaft innewohnenden Triebverzicht. Das Erreichen eines totalen Glückszustandes ist dabei ohnehin schon unmöglich durch Einflüsse der Natur, der Vorahnung des Todes und auch gesellschaftlicher Institutionen. Daß diese somit repressiv wirkenden sozial-politischen Institutionen nicht zur Kulturfeindlichkeit führen, wird begründet durch unentrinnbare Konflikte im Menschen, hervorgerufen durch eben jene Beschränkungen der libidinösen und zerstörerischen Triebe. Es ist, nach Freud, daher nicht leicht zu verstehen, wie es also möglich gemacht werden kann, einem Trieb die Befriedigung zu entziehen. Wird dieser Verzicht nicht ökonomisch kompensiert, kann es zu ernsten Störungen im Individuum kommen. Nun gibt es auch hier keine ideale, alles befriedigende Gesellschaftsform, der Triebverzicht ist in allen Stufen einer Gesellschaft zu finden und wird als psychologische Entfremdung des Menschen, besser noch als Entfremdung des Ich von der Dynamik der Triebe bezeichnet.
Wo aber ist nun der logische Zusammenhang zwischen den Formen der Entfremdung und der Angst herzustellen? Problematisch ist dabei, daß eine Angst als solche noch nicht fest genug definiert ist, um klare Vergleiche und Bezüge zu anderen Begriffen machen zu können. Aus den zahlreichen Theorien dazu, z.B. Freuds Analyse der Angst als Repression libidinöser Impulse oder Ranks Geburtstraumatheorie, kann man wohl zwei Angsttypen deutlich voneinander unterscheiden: die Realangst als Reaktion auf konkrete, äußere Gefahrensituationen, und die neurotische, vom Ich produzierte Angst zur präventiven Vermeidung auch der entferntesten Drohung einer nicht zwingend unrealen Gefahr. Die Differenzierung dieser beiden Angstformen ist für das politische Verständnis der Bedeutung der Angst sehr wichtig. Die neurotische Angst resultiert dabei häufig aus der psychologischen Entfremdung, dem immerwährenden Kampf des Ich, der triebhemmenden Ratio, gegen das Es, die Struktur der Triebe. Triebverzicht bedeutet Schuldgefühle, Selbstrepression, Bedürfnis nach Selbststrafe, die innere Angst wird zu einem Dauerzustand. Trifft sie dabei auf äußere Gefahren und damit verbundene Realängste, können sich beide Angstformen summieren und in depressive oder Verfolgungs-Ängste ausarten.
Dabei muß Angst nicht unbedingt destruktiv wirken, den Menschen lähmen oder zu panischer Angst ausarten und freie Entscheidungen unmöglich machen. Sie kann ebenso eine heilsame, protektive Rolle spielen, die dem Menschen erlaubt, kommende Gefahren wahrzunehmen und abzuwenden. Gleichfalls kann sie einen kathartischen (d.h. \"die Seele läuternden\") Effekt haben, kann den Menschen innerlich stärken durch das erfolgreiche Bewältigen einer Gefahr aufgrund eines Überwindens der eigenen Ängste und ihn somit in zukünftigen Entscheidungsprozessen freier werden lassen. Diese Unterscheidungen der Angst helfen uns, die politische Funktion der Angst besser bewerten zu können.
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