In der sechsten Erzählung geht es um nichts anderes als die Wahrheit.
Wahrheit, Gesetz, Sprache, das sind die Grundsätze des Vaters, mit denen er seinen Sohn erzieht.
"Ein Wildermuth wählt immer die Wahrheit." (Bachmann, S. 137). An diesen Satz, den er von seinem Vater, dem Lehrer Anton Wildermuth, so oft gehört hatte, dachte der Richter Anton Wildermuth, während er die schwarze Kutte ablegte.
Der Vater "war der Erfinder des Wortes ,wahr in allen seinen Bereitschaften, mit allen seinen Verbindungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten." (Bachmann, S. 150)
Somit ist sich auch der Richter seines eigenen Wollens bewusst: "Mit der Wahrheitsfindung bin ich befasst, und nicht nur von Berufs wegen bin ich mit ihr befasst, sondern weil ich mich mit nichts andrem befassen kann." (Bachmann, S.160)
In einem Prozess gegen den Vatermörder, der "zufälligerweise" Wildermuth heisst, obwohl kein Verwandtschaftsverhältnis vorliegt, kommt, in der Konfrontation mit dem eigenen Namen, eine weit tieferliegende Verwandtschaft mit dem Mörder des Vaters an den Tag. Beim Studium der Gerichtsakten, wo er wieder und wieder seinen eigenen Namen lesen musste, und erst recht beim Anblick des Angeklagten entsteht beim Richter ein merkwürdiges Gefühl.
Im krassen Gegensatz zu den beiden männlichen "Wahrheitsliebenden", stehen sowohl die Mutter des Richters, als auch seine eigene Geliebte Wanda. Die Mutter war, im Gegensatz zur protestantischen Tradition der väterlichen Seite, eine Katholikin, aber eine, die nie zur Kirche ging. Somit konnte sie sowieso nicht Wissen, was der Wahrheit entsprach und hielt in Bezug dessen auch gerne zurück. Auch seine Geliebte Wanda nimmt es mit der Wahrheit nicht so genau und erzählt eine Geschichte auch gerne mal in vier verschiedenen Versionen.
Erzähltechnisch gibt es einen Wechsel von objektiv auktorialem Erzähler (im ersten Teil der Erzählung) zur subjektiven Ich -Perspektive (im zweiten Teil).
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