Auf Gefühle wird keine Rücksicht genommen, das einzige, was zählt, ist die Stellung zum Fürsten. Je näher, desto besser. Da Lady Milford die Geliebte des Herzogs ist, zwingt der Präsident seinen Sohn Ferdinand, diese zu heiraten. Mit dieser Heirat käme die Familie des Präsidenten dem Fürsten ein ganzes Stück näher. Als sich aber im Gespräch zwischen Vater und Sohn Ferdinand unwillig zeigt, wird die Wichtigkeit der Stellung zum Fürsten besonders deutlich: Weil der Hofmarschall die Heirat bereits in der "ganze[n] Stadt" (S. 20) kundgemacht hat, will der Präsident keinesfalls als Lügner vor dem Fürsten dastehen und droht somit, wegen seines enormen Egoismus, sogar seinem Sohn: "Wenn du mich zum Lügner machst, Junge - vor dem Fürsten [...] Höre, Junge [...]." (S. 24/25). Hieraus wird klar: Die Stellung zum Fürsten bedeutet alles, Gefühle nichts.
Ein weiterer Aspekt verdeutlicht den Egoismus: Um seine Stellung zum Fürsten zu verbessern, plant der Präsident wahrscheinlich schon lange im voraus die Heirat seines Sohnes mit der Mätresse des Fürsten, Lady Milford. Als er nun von der Liebe seines Sohnes zu einer Bürgerlichen erfährt, missbraucht er sein Amt als Mittel zur Verfolgung eigener Interessen. Der ihm gegenüber immer noch vorhandene Respekt des Bürgertums lässt sich daran erkennen, dass sich zwar Vater Miller gegen den Adeligen wehrt, aber immer noch ein "Halten zu Gnaden" (S. 45) einfügt. Der Präsident betritt das Haus des Musikus, um dort die Hindernisse für die Heirat seines Sohnes mit Lady Milford aus dem Weg zu räumen. Nach einem kurzen Gespräch ordnet der Präsident an, dass der "Vater ins Zuchthaus [soll] - an den Pranger Mutter und Metze von Tochter [gestellt werden sollen]!" (S. 45).
Eng damit verbunden, welche Methoden der Präsident zur Verfolgung seiner Interessen benutzt, ist die Frage, wie er überhaupt zu der Stellung gekommen ist. Ferdinand macht im Haus von Miller eine Andeutung, die darauf schließen lässt:
"[...] unterdessen erzähl ich der Residenz eine Geschichte, wie man Präsident wird" (S. 48). Es lässt sich also leicht erschließen, dass der Vater nicht mit rechten Dingen an sein Amt gekommen ist. Wie er an die Macht kam, verrät uns ein Gespräch zwischen dem Präsidenten und seinem Sekretär Wurm: Bei der Überlegung, wie man Ferdinand und Luise trennen könne, spricht Wurm das Verbrechen an, welches der Präsident an seinem Vorgänger beging, um selbst das Amt zu übernehmen: "[In der Nacht, in der] die große Mine losgehen und den guten Mann in die Luft blasen sollte [spielte der Präsident noch mit seinem Vorgänger Piquet]" (S. 50). Wurm spricht hier bildlich, aber er meint und weiß es selbst, dass es Mord war, durch welchen Wurm, der Präsident und der quittungsfälschende Hofmarschall "gestiegen sind" (vgl. S. 54).
|