Ferdinand Raimund und Johann Nestroy schrieben (bis auf "Freiheit in Krähwinkel, das ein Revolutionsstück ist) alle ihre Stücke während Metternichs Zensur.
Das heißt, dass sie ihre Texte, bevor sie aufgeführt wurden, von einem Zensor überprüfen lassen mussten, ob sie vielleicht etwas Erotisches, etwas gegen die Religion oder Regierungsform und gegen das höchste Staatsoberhaupt oder dergleichen enthalten. Wenn so etwas in einem Stück vorkam strich es der Zensor aus dem Text, oder er erklärte das Stück als zu anrüchig und es durfte nicht aufgeführt werden.
Doch den Bindungen der Zensur wusste sich Nestroy auf eine originelle Weise zu entziehen. War ein Stück fertig, so ringelte er mit roter Tinte alle Stellen ein, von denen er annahm, sie könnten den Zensor reizen. Er ging dabei sehr weit, und die Zensoren dürften sich oft über seine harmlosen Texte, in denen sie nicht viel zu streichen fanden, gewundert haben. Der Kopist Nestroys wusste, dass er bei der Herstellung des Manuskriptes, das für die Zensur bestimmt war, die rot markierten Stellen wegzulassen hatte. Doch damit ist noch nicht gesagt, dass sie dann nicht doch auf der Bühne gesprochen wurden. Da sich der Regierungsbeamte, der auftragsgemäß nur festzustellen hatte, ob die von der Zensur gestrichenen Stellen auch tatsächlich wegblieben, und sich kaum noch Mühe nahm, den Dialog Wort für Wort mit dem Manuskript zu vergleichen, so war Nestroys Methode ziemlich gefahrlos.
Sprache und Witz
Die Sprache ist der Schlüssel zu Nestroys Größe und Besonderheit.
Nestroy war kein Dialektdichter. Er war ein gebildeter, belesener Sohn des Bürgertums. Er ging zum Theater aus Passion für das Spielen, und er begann zu schreiben, weil Mangel an Stücken herrschte.
Dem Autor war es nicht sehr wesentlich, worum es in seinen Komödien ging. Was eigentlich gesagt wurde, ergab sich nicht so sehr aus der Handlung, sondern vor allem aus den Monologen und Dialogen der Hauptgestalten.
Ein Hauptmerkmal des Nestroyschen Dialogs ist das Wortspiel in den verschiedensten Formen.
Nestroy liebt die Sprache. Sein bildhaftes Denken und seine Hellhörigkeit machten es ihm unmöglich dem Spiel mit Worten zu entgehen.
Die vielleicht wichtigsten Elemente das Nestroyschen Dialogs sind der gesprochene Witz und das an die Zuschauer gerichtete Selbstgespräch.
In Nestroys besten Stücken ist aber sein Witz nicht etwas, was seinen Figuren als Aufputz mitgegeben wird, sondern er soll ihre Anliegen, ihre Konflikte mit der Welt, ihr Wesen ausdrücken.
Wo der Witz auf die gegenwärtige Situation in der Komödie und auf die Enthüllungen des Gegenspielers zielt, treibt er die Handlung in Rede und Gegenrede weiter, so wird er dramatischer Witz.
Es wird von Nestroy auch behauptet, dass er nichts ernst nahm, nur den Witz, und dass ihm nichts heilig war, nur die Sprache
Das Sprechen seiner Figuren vollzieht sich auf drei verschiedenen Ebenen, denen drei Sprachtypen entsprechen: Der österreichische Dialekt, hochdeutsche Umgangssprache oder "Schriftdeutsch" und hochdeutsche Theatersprache.
Im meisterhaft beherrschten Dialekt sprechen meist die Hauptträger der lustigen Handlung, hochdeutsch im allgemeinen die farblosen Figuren, die uninteressant sind, auch wenn ihre Rollen noch so umfangreich sind.
Gewiss ist Kenntnis des österreichischen Dialekts für das Verständnis von Nestroy Stücken wichtig.
Wo Hochdeutsch in den Reden seiner österreichisch sprechenden Figuren auftaucht, ist das ein Signal, dass sie als einfache Bühnenfiguren oder als unwahrhaftige Charaktere aufzufassen sind.
Oft auch verbirgt der Träger der Nestroy-Rolle seine wirklichen Gefühle hinter einem ins leicht Parodistische gesteigerten Hochdeutsch und isoliert sich dadurch von seiner Umgebung.
Doch so reizvoll die Lektüre Nestroys auch sein mag, ihre unmittelbare Wirkung entfalten sie erst auf der Bühne.
Nestroys Enthüllungsdrama
Nestroys Theater ist Desillusionstheater, nicht, indem es die Realität des Bühnengeschehens aufhebt, sondern indem es sie in Anführungszeichen setzt.
Der Rahmen wird deutlich gekennzeichnet, die Figuren bleiben nicht "in der Figur", sie treten durch Anspielungen aus der Handlung heraus.
Bei Nestroy kann man auch Parallelen zu Brechts Stücken finden, doch Brecht durchleuchtet die Bürgerliche Gesellschaft durch die sozialistische Sehweise, Nestroy hingegen wollte, dass die Menschen die Welt durch die linguistische Hörweise durchschauen.
"An ihren Worten sollt ihr sie erkennen."
Ödön von Horvath versuchte sich auch in Volksstücken, aber seinem bitteren Werk fehlt das befreiende Lachen.
Nach Aufführung eines Nestroy-Stücks kann das Publikum beruhigt nach Hause gehen, denn am Schluss ist, wie es sich gehört, äußerlich die Ordnung wiederhergestellt.
Aber auf dem Weg zu diesem Schluss hat es Erkenntnisse und Betrachtungen von großer Bedeutung vorgesetzt bekommen, Blicke auf den Menschen und die Welt, wie sie im unterhaltenden Theater sonst kaum denkbar sind.
Nestroy stört den Glanz oberflächlicher Biedermeier-Ruhe empfindlich, da er, wie später Hofmannsthal, Schnitzler oder Altenberg, der Lust am Unechten den Kampf ansagt.
Nestroy schreibt im Dienste der Wahrheit und der Echtheit in Kunst und Leben seine Werke.
Er will, dass man die Welt so nimmt wie sie ist, und nicht so, wie sie sein könnte.
Zur Entlarvung seiner Zeitgenossen verfolgt Nestroy immer denselben Weg. Er stellt sich zunächst scheinbar auf den Standpunkt der Allgemeinheit, zeigt dann aber anhand seines Helden, dass die Verhältnisse nicht so sind, wie sie sich der Normalbürger einredet.
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