Die Ukraine befindet sich in den letzen Jahren an der Wegscheide zwischen einem westlichen Weg der Integration in euro-atlantische Strukturen und einem östlichen Weg zu einer ,,autoritären Präsidialherrschaft\"1. Die Entwicklung von Meinungsfreiheit, Rechtssicherheit und die Mißachtung des Prinzips der demokratischen Gewaltenteilung legt die Schlußfolgerung nahe, daß sich die Ukraine momentan in Richtung einer autoritären Präsidialherrschaft entwickelt. Das Gewicht verlagert sich seit dem Verfassungsreferendum vom April 2000 zunehmend hin zur ausführenden Gewalt. Die bisherige Machtbalance zwischen Exekutive und Legislative droht dadurch aus dem Gleichgewicht zu geraten. ,,Es verstärken sich Tendenzen zum Autoritarismus; das Parlament verliert zunehmend an Bedeutung und die Präsidialadministration sowie der Rat für nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine konzentrieren immer mehr Macht in ihren Händen\" (Ott, 2000, 3).
Präsident Kutchma gilt im Ausland noch immer als liberaler Reformer. Alexander Otts pessimistischer Bericht zeichnet jedoch ein anderes Bild des amtierenden Präsidenten: Abzüglich der Reformrhetorik zeigen sich die tatsächlichen Motive und Leitlinien seiner Politik. Kutchmas wirkliches Interesse gilt dem Ausbau seiner Macht und der ,,Umverteilung von Eigentum und Ressourcen\" zugunsten einiger von ihm begünstigter Wirtschafts- und Politclans ( Ott, 2000, 3). Statt marktwirtschaftliche Freiheit zu schaffen, werden dadurch sowjetische Strukturmerkmale wie die Monopolstellung einzelner Unternehmen unverändert in eine private Marktwirtschaft übersetzt. Die Ver-quickung von politischer Sphäre und wirtschaftlichen Eigeninteressen hat während seiner Präsidentschaft stark an Einfluß gewonnen: Geschäftsleute engagieren sich politisch, um am Verteilungskampf um staatlich verwaltete Gelder und Ressourcen teilzuhaben. Sie haben ,,Politik als eine Art lukratives Geschäftsfeld entdeckt\"( Ott, 2000, 8). Entgegen einem weit verbreiteten Mißverständnis haben diese wirtschaftlich-politischen Gruppierungen kein Interesse an wirklichen Reformen. Sie profitieren am chaotischen Status quo und statt eines langsamen Übergangs zu einem demokratisch- marktwirtschaftlichen System ,,verhärten sich in der Ukraine die postsowjetischen Strukturen\"( Simon, 2000).
In der Ukraine und überraschenderweise auch in westlichen Debatten herrscht die Meinung vor, daß angesichts der Bedrohung durch den wirtschaftlichen Verfall und grassierende Armut das Land einer starken Hand bedarf, die die notwendigen Wirtschaftsreformen auch gegen den Widerstand der strukturkonservativen Linken im ukrainischen Parlament, der Verchovna Rada durchsetzt. Den ,,Luxus\" von Parlamentarismus und Pluralität könne man sich nicht leisten. Autoritarismus fördere die Stabilität und diese die Investitionsbereitschaft der Unternehmer. Westlichen Errungenschaften, wie Wohlstand, die parlamentarische Demokratie und Pressefreiheit seien eben nicht gleichzeitig erreichbar. Dieser verbreiteten Vorstellung möchte ich mit allem Nachdruck widersprechen.
Die Entwicklung der ukrainischen Wirtschaft sowie die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung2 hängen mit Pressefreiheit und staatlicher Gewaltenteilung zusammen. So fördert eine unabhängige Berichterstattung die Transparenz und das wiederum führt zum effizienteren Einsatz der staatlich verwalteten Gelder. Transparenz fördert sicher auch die Unabhängigkeit der Justiz und dies stärkt die Investitionssicherheit für Unternehmer. Der Gongadze- Skandal, der Mord an einem Journalisten unter möglicher Beteiligung höchster Stellen, verursachte bereits ,,Mißtöne bei Kutchmas Berlinbesuch\" führen (Neue Zürcher Zeitung [NZZ], 20./21. Januar 2001)und könnte in seinem Verlauf nicht nur zu einer politischen Destabilisierung der Ukraine, sondern auch zu Spannungen in den Beziehungen der Ukraine zur EU führen. Die Entwicklung politischer Freiheiten (wie Meinungs- und Pressefreiheit) und wirtschaftlicher Freiheiten (wie der Freiheit in Wohlstand zu leben) hängen, wie Amaytra Sen in seinem Werk \"Ökonomie für den Menschen\" darlegt, stark zusammen. Gerade in der Kombination von politischen mit wirtschaftlichen Freiheiten liegt das Potential eines freiheitlich-demokratischen Weges.3
Präsident Kutchma hat das Manipulationspotential der Massenmedien in einer Demokratie erkannt und zur Konsolidierung der Macht in seinen Händen benützt. So konnte er sich im langjährigen Verfassungsstreit zwischen der exekutiven und legislativen Gewalt zuletzt dank der breiten Unterstützung seiner Position in der Bevölkerung durchsetzen. Die Unterstützung der Bevölkerung wurde durch eine breit angelegte Kampagne in den fast ausnahmslos unter staatlicher Kontrolle stehenden Medien gesichert. Die Bevölkerung entschied sich im Verfassungsreferendum im April 2000 gegen den Parlamentarismus und für einen autoritären Staat; so votierte die Mehrheit beispielsweise für die Aufhebung der parlamentarischen Immunität. Parlamentarismus wurde in den staatlich kontrollierten Medien als Verschwendung von Steuergeldern, als Hort von Faulheit und nutzlosem Zank diskreditiert (Ott, 2000, 6 ).
Die Medien in der Ukraine dienen in ihrer überwältigenden Mehrheit nicht dem legitimen Informationsinteresse der Bevölkerung, sondern als Mittel im Macht- und Verteilungskampf der ukrainischen Eliten. Daraus resultiere zeitweilig durchaus die Pluralität des in den Medien verbreiteten Meinungssspektrums. So versuchen Zeitungen , die von oppositionellen Gruppen finanziert werden, selbstverständlich, die Politik des Präsidenten in ein unvorteilhaftes Licht zu stellen. Doch die völlige Gebundenheit an Interessen von Gruppierungen, die derzeit die Macht inne haben oder die die Machtübernahme anstreben (The OSCE Representative on Freedom of the Media. Yearbook 1999/ 2000 [OSCE Yearbook, 1999/2000]) ist mit dem aufklärerischen Bild vom glaubwürdigen Journalismus, der im Auftrag der Öffentlichkeit eine Kontrollfunktion von Macht und Herrschaft wahrnimmt, unvereinbar .
In der vorliegenden Hausarbeit habe ich mich weitgehend an der wegweisenden Arbeit des Europäischen Medieninstitutes, der Analyse des
OSZE- Beauftragten für Pressefreiheit und den Berichten des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien orientiert.
Die Printmedien befinden sich derzeit in einer Umbruchphase: Von ehemals relativer Pressefreiheit hin zu staatlicher Gängelung und physischer Gewalt gegen Journalisten bis zur nahezu vollständigen Gleichschaltung der Medien. Das Engagement von politisch-wirtschaftlichen Interessensgruppen im Printmedienbereich ist als Mittel im Macht- und Verteilungskampf um staatlich verwaltete Gelder und Ressourcen zu interpretieren. So engagierten sich einige Clans anläßlich der Umstrukturierung im Gashandel 1994 in verlustreichen Zeitungen, um auf diesem Weg politischen Einfluß zu gewinnen. In einer Demokratie ist die Lenkungsmöglichkeit der öffentlichen Meinung ein machtvolles Mittel. Ich werde daher in meiner Arbeit nicht nur einen Überblick über die ukrainische Printmedienlandschaft bieten, sondern auch auf die Medien im Kontext des politisch-wirtschaftlichen Komplexes zu sprechen kommen. Nur vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung der ukrainischen Printmedien zu verstehen.
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