Stellung in der Gesellschaft/
Vielleicht ihr mysteriöser Tod verantwortlich dafür, dass Werk und Person dieser "unfassbaren Fassungslosen" immer wieder Gegenstand von Spekulationen sind.
Die meisten tendieren dazu, den Tod Ingeborg Bachmanns, der so sinnlos und unbegreiflich ist wie jeder andere Unfalltod, im nachhinein als Opfertod anzusehen. Unverkennbar ist allerdings auch der Wunsch, die Dichterin als Ikone, als Mythos, als Legende oder als "Spiegelbild" und Identifikationsobjekt zu stilisieren und zu verklären. Verklärung ist zugleich jedoch immer ein Vorgang der Entpersonalisierung, der in vielen Fällen nur den Freibrief abgibt, über die Person desto ungehemmter sprechen zu können.
In einer Auswahl von sieben Nachrufen, alle erschienen am Tag nach ihrem Tod, finden sich folgende Charakterisierungen, an denen die Verschiebung von der Verklärung ins Persönliche und in die Indiskretion deutlich abzulesen ist: "ungekrönte Königin dieser Literaturepoche", "Legende", "dunkle Schwester", "Person mit Aura", auf "Diskretion, Noblesse, Scheu und empfindsamen Abstand angewiesene Dichterin", "hinreißend seltsame, große Künstlerin", "Madame Melancholie", "die Zarte, die Empfindsame, die allzeit Gefährdete", "scheu und immer etwas verwirrt", "hilflos unsicher, allein gelassen", "fast verstört, doch nie linkisch, verlegen und königlich zugleich", "die elegant, ja chic angezogene Dichterin", sie habe eine "angeschlagene Privatsphäre" gehabt, ihre Texte seien "Dokumente der eigenen Lebenskrise" und plauderten ständig auch "Bachmann'sche Intimitäten aus", "eine große Liebende und auch eine große Leidende. Das eine hat sie so voll ausgekostet wie das andere".
Bachmann war vor allem anderen eine große Intellektuelle. Was einigen Männern ganz offensichtlich Mißbehagen bereitete. Etwa dem zeitweiligen Lebensgefährten und Schreibkonkurrenten Max Frisch, der dieses Unbehagen ausführlich in seinem autobiographischen Bekenntnistext "Montauk" beschreibt. Heinrich Bölls viel zitierter Ausspruch \"Ich denke an sie wie an ein Mädchen\" etwa, ist da nur ein Beispiel von vielen, daß in dieser Verkennung das eigentliche Drama der begabten Schriftstellerin liegt. Angst und daraus resultierend Abwehr oder Kritik, gelegentlich auch Degradierung statt Respekt brachten nicht wenige der Kollegen und Literaturkritiker ihr entgegen, einschließlich Walser, Johnson, Frisch, Baumgart oder Reich-Ranicki. Die naive, chaotische, unsichere, mädchenhafte Frau, kurz: die "Taschentuchfallenlasserin" (Demski) weckt Beschützerinstinkte, vielleicht Zuneigung - mehr nicht. Die an Intellektualität, Selbstreflexion und Belesenheit überlegene Schriftstellerkollegin dagegen bereitet eher Unbehagen .
Doch das reale Bild dieser Frau blieb recht verschwommen. Ist Ingeborg Bachmann eine weltentrückte Dichterin, engagierte Feministin oder zeitkritische Schriftstellerin gewesen? Auf jeden Fall hat sie mit Strenge und Kompromißlosigkeit versucht, die Stellung des Menschen in der Welt zu bestimmen. Ideologiegebunden, in der Aufnahme der Existentialphilosophie der Existentialisten, war sie verstärkt auf geistige Auseinandersetzung statt auf Anschauung bedacht.
Ihre eigene Stellungnahme
Ingeborg Bachmann hat nie gerne Interviews gegeben und auch nie gern von sich oder Privatem geredet. Sie war der Meinung, dass man das, was sie ausdrücken wollte, in ihren Werken findet. So fällt beim Lesen der Interviews auf, dass sie sich oft selbst zitiert, auf Textstellen ihrer oder anderer Romane verweist und immer wieder betont, dass das Schreiben ihr eigentliches Ausdrucksmedium sei:
"[...]denn im Sprechen bleibt man ja hinter dem Schreiben zurück und tappt tolpatschig in den Gegenden herum, in denen man sich schreibend schon einmal zurechtgefunden hat."
So schließt sie auch jede Äußerung zu ihrer eigenen Person aus, und schränkt den Bereich, zu dem sie bereit ist, sich zu äußern ganz deutlich ein, indem sie sagt:
"Ich nehme Stellung, wenn es mir richtig erscheint, zu politischen, gesellschaftlichen Verhältnissen oder zu den Unglücken der einzelnen, wenn ich gerade in der Nähe bin. Nicht zu meinem Leben. Denn ich habe zu schreiben. Und über den Rest hat man zu schweigen."
Ihr Versuch, ihr Privatleben vor der Öffentlichkeit zurückzuhalten steht in engem Zusammenhang mit ihrem ständigen Wechsel der Wohnorte. Und so gibt sie auf die Frage, warum sie nicht ständig in Österreich lebe, folgende Antwort:
"Ich brauche Freiheit. Viel Freiheit. [...] Ich will nicht mundtot gemacht werden. Vielleicht kann man sogar sagen, daß ich eine Kämpfernatur bin. Vor allem aber möchte ich in Ruhe arbeiten. Ungestört sein. Ich komme jetzt öfter nach Klagenfurt, um meine Eltern zu besuchen, Spaziergänge zu machen, aber ich sehne mich nach Frieden und suche meine Zuflucht daher in der Anonymität."
Mit diesem Bedürfnis nach Anonymität und nach Privatsphäre geht eine Ablehnung jeglicher traditionell biographischer Literatur einher. Allerdings ist ihr bewußt, dass Biographisches in ihre Arbeiten einfließt, doch besteht dies für sie nicht in Daten, denn "[...] die Angaben zur Person sind immer das, was mit der Person am wenigsten zu tun hat ."
Aber sie gesteht ein: "[...] Selbstverständlich würde man auch manches in meinen Arbeiten auf Biographisches zurückführen können. Begegnungen mit der Wirklichkeit, mit Orten, Ländern und Menschen sind oft wichtig gewesen und können in verwandelter Form nach Jahren wiederauftreten. Wichtig sind aber auch geistige Begegnungen, und mir war die wichtigste die mit dem Werk des Philosophen Ludwig Wittgenstein [...]."
So sieht Bachmann in der geistigen Entwicklung einer Person, in ihren Erfahrungen und der Beschäftigung mit Philosophie und Literatur die für die Biographie wichtigen Einflußfaktoren. Lebensdaten gehören für sie nicht dazu.
Die Gesellschaft
Ingeborg Bachmann litt unter Todesangst, und zwar schon seit frühester Kindheit. Als den Moment ihrer ersten Todesangst gibt sie den Einzug der Hitlertruppen in Klagenfurt an. Diese Angst hat sie nie losgelassen, hat sie krank gemacht. So ist Bachmanns Sicht auf die Gesellschaft, auf die moderne Welt, die sie umgibt, sehr hart. denn sie geht davon aus:
"Es ist ein so großer Irrtum zu glauben, daß man nur in einem Krieg ermordet wird oder nur in einem Konzentrationslager - man wird mitten im Frieden ermordet."
Und für dieses Morden "sorgen eben die anderen [...] Aber der Anlaß ist immer ein Mensch.[...] oder mehrere".
Für die Bachmann ist die Gesellschaft also ein Kriegsschauplatz, auf dem ein permanentes Morden stattfindet. Und als Hauptthema ihres Werkes gibt sie das "Leiden am Leben" an. Das Individuum steht, ihrer Ansicht nach, bedroht, ohne Halt da, wird von allen Seiten angegriffen und schließlich ermordet, innerlich zerstört. Bachmann geht sogar noch weiter und prägt eine Vorstellung, die immer wieder diskutiert worden ist und die deutsche Nachkriegsliteratur entscheidend beeinflußt hat. Sie überträgt die Vorstellung des Faschismus in die zwischenmenschlichen Beziehungen:
"[...], wo fängt der Faschismus an. [...] Er fängt an in Beziehungen zwischen Menschen. Der Faschismus ist das erste in der Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau, und ich habe versucht zu sagen [...], hier in dieser Gesellschaft ist immer Krieg."
Immer wieder ist diese Sichtweise diskutiert und problematisiert worden. Es wird darüber gesprochen, wie man diese Vorstellung, der Faschismus fange in den täglichen Beziehungen zwischen Menschen an, zu verstehen habe. Und man ist zu dem Resultat gelangt, daß Bachmann hier die Vorurteile problematisiert, die die Gesellschaft uns vorgibt, die vorgefertigten Bilder und Schubladen, in die Menschen einander, sobald sie aufeinandertreffen, einordnen. Ein Mann und eine Frau haben schon aus ihren Rollen heraus ein ungefähres Bild voneinander, bevor sie einander wirklich kennen. Und Bachmann geht sogar noch weiter und sagt, daß wir durch dieses Bild, durch diese Vorurteile, die wir gegen uns selbst und gegen andere haben eingeschränkt sind in unserer Sicht. Daß die Gesellschaft uns dadurch "mordet", uns etwas wegnimmt, etwas vorenthält. Über diese Gedanken ist Bachmann immer wieder verzweifelt. Und sie versucht, ihn in ihrem Werk auszudrücken:
"Ich glaube, daß das aus allen Büchern herauskommt, daß alle Menschen in allen Beziehungen aneinander vorbeireden; dieses scheinbare Verständnis, das man Offenheit nennt, ist ja gar keines. Verstehen - das gibt es nicht. Offenheit ist nichts als ein komplettes Mißverständnis. Im Grunde ist jeder allein mit seinen, unübersetzten Gedanken und Gefühlen."
Daß Bachmann sich unverstanden fühlte, wird immer wieder deutlich, in ihrem Mißtrauen der Sprache gegenüber, im Abwägen der Worte, in der Ablehnung von Interviews, in ihrer Zurückgezogenheit und nicht zuletzt auch und natürlich besonders in ihrem Werk.
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