Solschenizyn schildert den Alltag in einem Straflager. Er verzichtet auf die Darstellung der Liquidationen, Folterungen und selbst erschwerte Haftbedingungen werden nur insofern erwähnt, als sie als drohende Möglichkeit schon zum Alltag gehören. Doch dieser Verzicht wirkt nicht im geringsten beruhigend. Im Gegenteil, es ist erschütternd, daß solche \"Lebens\"bedingungen alltäglich werden können.
Der Autor macht das Hochziehen einer Mauer zur zentralen Szene der Erzählung. Iwan nimmt sich diese Aufgabe sehr zu Herzen und verrichtet seine Arbeit gerne und mit Eifer. Nach dem Wertesystem des Lagers bringt ihm das nichts ein, er kommt sogar zu spät zum Appell und die anderen Gefangenen müssen seinetwegen warten. Ihn aber macht es für Augenblicke glücklich.
Im Lager dreht es sich nur darum, nicht zu verhungern. Eine mit List und Glück ergatterte zusätzliche Suppenration, ein unverhoffter Brotvorrat, dazu der Luxus einer Wurstscheibe machen Iwan Denissowitsch vom alltäglichen fürchterlichen Hunger frei, und sofort ist er wieder für einen Augenblick der, der er sonst vielleicht immer wäre: ein selbstloser, hilfsbereiter Mensch. Er nimmt Unbequemlichkeiten auf sich, um einem anderen sein Essenspaket zu retten und erwartet dafür keinen Lohn. Und das ist einer der kleinen Zufälle, die den Tag \"nahezu glücklich\" erscheinen lassen. Daß aber so ein menschenunwürdiger Tag als glücklich empfunden werden kann, bleibt herzergreifend.
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