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deutsch artikel (Interpretation und charakterisierung)

Der pragmatismus als philosophie


1. Drama
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Von Pragmatismus bzw. Pragmatik ist heute in vielen Bereichen zunehmend die Rede, aber als Philosophie ist er noch weitgehend unbekannt oder sogar ausdrücklich abgelehnt. "Pragmatismus" steht im üblichen Sprachgebrauch etwa für "Praktikalismus" oder "Tagwurstelei" im negativen Sinn, oder für "ideologiefreien Aktivismus" im positiven Sinn, somit für die Abwehr jeder philosophischen Reflexion. Ebenso wird er trivial als die entsprechende Philosophie einer eindimensionalen Zweck-Mittel-Beziehung gedeutet. Einen Überblick über den tatsächlichen Gehalt des Pragmatismus als Philosophie soll diese Arbeit geben.
Obwohl sich Ansätze pragmatischen Denkens schon bei Francis Bacon, bei Hume, in gewissem Sinne auch bei Kant feststellen lassen, entstand der Pragmatismus als philosophische Schule, die die Unterwerfung der Theorie unter praktische Kriterien proklamiert, in Amerika, wo er von Ch. S. Peirce, W. James, G. H. Mead, J. Dewey repräsentiert wurde. In Europa wurden pragmatische Auffassungen von Ferdinand Canning Scott Schiller (1864-1937), Wilhelm Jerusalem (1854-1923) und Wilhelm Ostwald (1853-1932) vertreten, die aber nicht so stark wirkten wie die vorher Genannten. Deutlich ist der Einfluss pragmatischer Auffassungen beim späteren Ludwig Wittgenstein, obwohl dieser gewöhnlich nicht als Vertreter des Pragmatismus gilt.


Pragmatisches Denken

"Pragmatism is going to be the dominant philosophical opinion of the twentieth century" (Peirce, 1906)
Der amerikanische Pragmatismus gewinnt neuerdings auffällig an Attraktivität. Durch die logisch-technischen Errungenschaften der sprachanalytischen Philosophie, schien das Denken von Peirce, James, Mead und Dewey - den vier "Klassikern" dieser Richtung - überholt. In den 90er-Jahren hat sich das Blatt gewendet. Diese Entwicklung hängt unter anderem mit drei Motiven des pragmatischen Denkens zusammen:
1. Pragmatisches Denken ist anti-fundamentalistisch.
Es hinterfragt die (rationalistische) These, dass es überhistorisch stabile Aprioris gibt radikal; soweit das selbst Disziplinen wie Logik und Mathematik ihren revidierbaren Status eingestehen müssen.
2. Pragmatisches Denken kritisiert jede Universalisierung deterministischer Erklärungsmuster: Bei historischen Entwicklungsprozessen (die sich in der Wissenschafts- und Philosophiegeschichte ebenso finden, wie bei der Ausdifferenzierung politischer Institutionen), sehen sie (die Pragmatisten) keinerlei "Notwendigkeit" am Werk, die sich in unvermeidbarem "Nezessarismus" (Peirce) entfaltet.
3. Pragmatisches Denken ist pluralistisch. Es distanziert sich von allen Verkürzungsversuchen unserer Wissensformen und Wissenschaftsstrukturen auf ein einziges Methodenideal (wie das spätere, physiknahe, "einheitswissenschaftliche" der logischen Empiristen).
Die Krise der drei philosophischen "frameworks", der klassischen "Systemmetaphysik" (1), des orthodoxen Marxismus (2) und der analytischen "mainstream" -Philosophie (3), garantiert dem Pragmatismus, der das Philosophieren auf eine offene, experimentelle Weise versteht, seine wachsend Brisanz.


Charles Sanders Peirce (1839-1914)

Peirce ist der "founding father" des amerikanischen Pragmatismus und zugleich der erste Philosoph der USA der weltweit Bedeutung erlangte (für Karl R. Popper ist er "one of the greatest philosophers of all time"). Durch seinen Vater (Professor der Mathematik in Harvard) wurde er früh mit formalen Kalkülen vertraut, interessierte sich aber darüber hinaus vor allem für Philosophie und Logik. Durch Studien Kants Kritik der reinen Vernunft wurde sein geradezu obsessiver Blick auf die Struktur unserer Zeichen geweckt, war doch Kants Hauptpointe: Alles Reale muss, um überhaupt erkennbar zu sein, durch Anschauungsformen und Kategorien bezeichnet werden. Die Phänomene enthalten also, als durch Zeichen (semiotisch) vermittelt - denn nach Peirce kann nur durch Zeichen etwas bestimmt werden -, Gedanken. Von "transzendentalphilosophischen" Ansprüchen Kants (v.a. von der These des absolut unerkennbaren ) rückt Peirce jedoch bald ab. In frühen Vorlesungen arbeitet er erstmals die anti-cartesianischen Pointen seiner späteren Semiotik und seines Pragmatismus heraus: Er kritisiert v.a. die These, dass wir durch Introspektion und Intuition, also durch Bewusstseinsakte die unabhängig von unserem Zeichengebrauch auf Gegenstände und auf uns selbst gerichtet werden könnten, in der Lage seien, wahre Erkenntnisse zu gewinnen. Er stellt die berühmte These auf: "There is no power of thinking without signs"; stellt somit die Zeichenvermitteltheit allen Denkens dagegen. In ihr kündigt sich bereits jene Hinwendung zur Sprache an, die die Philosophie des 20.Jhdts. beherrschen wird. In den Jahren ab 1870 entwickelt er seinen Pragmatismus, der in erster Annäherung besagt, dass Wahrheit nicht introspektiv entspringt, sondern abhängig ist von "experimentierender" Selbstkontrolle und praktischer Bewährung. Weiters: Etwas für wahr halten führt nicht zur quietistischen Ruhe eines selbstgenügsamen Wissens, sondern erzeugt eine, auf die Zukunft gerichtete, Handelsdisposition. Das umfangreiche Spätwerk entstand, nach dem Ende seiner Lehrtätigkeit an der Universität von Baltimore, in akademischer Isolation unter schwierigsten ökonomischen Verhältnissen.


Die pragmatische Maxime

"Überlege, welche Wirkungen, die denkbarerweise praktische Bezüge haben könnten, wir dem Gegenstand unseres Begriffs in Gedanken zukommen lassen. Dann ist unser Begriff dieser Wirkungen das Ganze unseres Begriffs des Gegenstandes." (1878, Über die Klarheit unseres Verstandes) Diese Grundthese wird auf sehr widersprüchliche, ja divergente Weise gelesen. Er besagt in erster Annäherung: Der Bedeutungsinhalt eines Begriffs kann nicht durch selbstgenügsame Analyse und Introspektion, sondern allein im Blick auf seine (möglichen) künftigen Konsequenzen geklärt werden. Dass wir z.B. Diamanten den Begriff "Härte" zuschreiben, können wir nur durch experimentelle Überprüfung der Hypothese (durch einen "scratch test") begründen. Die Begriffsbedeutung von "diamantenhart" ist also an eine pragmatisch-experimentelle Prozedur geknüpft (die in der Zukunft abgeändert werden kann) . Dieses Erproben der Begriffe entscheidet - im Blick auf eine künftig zu erwartende (denkmögliche) Bewährtbarkeit - darüber, ob Begriffe einen realen Bedeutungsgehalt haben, oder ob sie nur leere, folgenlose Worthülsen sind (wie Ausgeburten von Sprachverwirrung). Peirce Denken terminiert aber nirgendwo in der Überschätzung des vermittlungslos "Gegebenen": Erstens ist das Experiment durch seinen Entwurfs- und Konstruktionscharakter bestimmt; das Wesentliche sind nicht die Sinnesdaten und die logische Argumentationskorrektheit, sondern die hypothetischen Entwürfe, der Experimentierenden. Wir formulieren tastend Vermutungen ("Abduktionen"), in denen wir - auf künftig zu erprobende, fehlbare Weise - die Realität zu begreifen suchen. Zweitens kann das experimentierende Erproben von Begriffen sogar die Form des "Gedankenexperiments" annehmen, wie dies z.B. in der Mathematik der Fall ist, die ja nicht sensualistisch verifizierbar ist. Drittens hat für Peirce jedes Experiment in seiner Tiefenstruktur eine ethische Dimension, da es auf eine Gemeinschaft Urteilskompetenter bezogen ist. Jeder Wahrheitsanspruch setzt, als gültig, das implizite Ethos einer "community of investigators" voraus.
Peirce versteht das pragmatische Erkunden von Begriffsbedeutungen also keineswegs in szientistischer Verkürzung, wie später die logischen Empiristen, was seinem Denken anhaltende Aktualität garantiert.
In seiner ersten öffentlichen Rezeption wurde der Pragmatismus freilich sogleich verkürzt zu einer "praktikalistischen Nützlichkeitsphilosophie" (wahr ist was - auf welche Weise immer - Vorteil verschafft). Peirce reagierte mit der Geburt des Wortes "Pragmatizismus", "das hässlich genug ist, um vor Kindesräubern sicher zu sein." Die beiden kritischen Hauptpointen seines Pragmatismus/Pragmatizismus sind: Die Kritik an jedem "intuitionistischen" Apriori - im Gefolge von Descartes - und die Abkehr vom sensualistischen Abbildrealismus. Zu Letzterem: Welche Struktur die Dinge wirklich haben, das kann erst nach und nach - in der vollen (denkbaren) Reihe handelnd-experimentierender Interaktionen mit der Gegenstandswelt - bestimmt werden, nicht jedoch in einem präsentischen "Abbildungsprozess". Den sukzessiven Verbesserungsprozess der Begriffsbedeutungen nennt Peirce die amelioristische Struktur (lat. , besser) des pragmatischen Forschens.


Führwahrhalten und Zweifeln

Peirce schlug vor, den Erkenntnisprozess als Bewegung zu deuten, die von einem nicht in Frage gestellten Verhalten (Überzeugung, belief) zu einem durch Misserfolg hervorgerufenen Zustand der Unsicherheit (Zweifel, doubt) und von diesem - durch Überwindung der Verunsicherung - wieder zur Ruhe ungestörten Verhaltens führt. Er betonte weiters, dass auch faktisch unbezweifelte Überzeugungen Annahmen sind, die sich eines Tages als korrekturbedürftig erweisen können. Durch diese Einstellung - den Fallibilismus - unterschied er sich von Descartes, der zwar radikal zweifelte, aber durch den Zweifel zu definitiven Einsichten gelangen wollte, während Peirce grundsätzlich bestritt zu definitiven Einsichten zu gelangen. Durch Berichtigung fehlerhafter Annahmen, hielt er Erkenntnisfortschritt für möglich. Diese Einstellung stützte er auf den Erfolg der empirischen Methode in den letzten drei Jahrhunderten. Der Zweifel hat ebenso wie das Führwahrhalten eine positive Funktion: Er regt zur Suche nach besseren Annahmen an und verhindert zugleich deren Dogmatisierung. Um den Zweifel zu überwinden, ist die freiwillige oder durch autoritären Druck herbeigeführte Unterwerfung unter gewisse Auffassungen ebenso wenig zu billigen, wie die Orientierung an vorgebliche Einsichten der reinen Vernunft. Nur die mit Hilfe der wissenschaftlichen Methode erreichte Anpassung von Überzeugungen an beobachtbare Tatsachen ist legitim, da nur sie die Überzeugungen der Kontrolle einer Instanz jenseits des menschlichen Bereichs unterwirft - nämlich der Realität selbst. Das Reale wiederum erkennen wir nur im Rekurs au die "Argumentationsöffentlichkeit" kompetent Argumentierender (community of investigators - wahr ist eine Behauptung, wenn in Bezug auf sie Konsens besteht). Diese Gemeinschaft, an die im Prinzip alle Wahrheitsbehauptungen adressiert sind, braucht freilich nicht jederzeit empirisch gegeben zu sein. Auch der einzelne Forscher bemisst sein Tun am regulativen Ideal einer "allgemeinen Vernunft" (natürlich ist so oft wie möglich die wirkliche intersubjektive Argumentation mit anderen Kompetenten zu suchen, um nicht der Selbsttäuschung zu unterliegen).


Semiotik

Nach Peirce ist alles Denken "zeichenvermittelt". Diese Zeichenstruktur erkundet er in einer "universellen Semiotik". Er war sich jedoch klar, dass er dieses Projekt zwar vorantreiben, aber nicht zu einem verbindlichen Abschluss bringen konnte.
"Ein Zeichen ist etwas, das für jemanden in einer gewissen Hinsicht oder Fähigkeit für etwas steht." Jedes Zeichen hat somit eine dreirelationale Struktur: Es kann als an sich betrachtet werden, es ist präsent und hat einen Zeichenkörper (Beim Zeichen "Stadtplan" besteht er z.B. aus Farbspuren auf einer Plastikfolie). Zweitens besteht jedes Zeichen nicht für sich selbst, sondern für ein anderes: Es macht ein Objekt vorstellig. Dieser Objektbezug kann wie das Beispiel "Stadtplan" zeigt auf unterschiedliche weise stattfinden: ikonisch (bildlich) - die verkleinerte Repräsentation des Straßensystems, ohne einfach wiederspiegelnd abzubilden, da ein dreidimensionaler Raum zweidimensional abgebildet wird. indexikalisch - z.B. ein Pfeil zur Selbstverortung, also ein Hinweiszeichen. symbolisch - also durch die Darstellung des Objekts in Wörtern, Sätzen und Argumenten (alltagssprachliche Wörter), die man am Stadtplan in der Legende vorfindet. Drittens ist der Zusammenhang zwischen und erst durch die Vermittlung eines Zeicheninterpreten eingestellt, also durch einen Menschen der sprachliche oder nonverbale Zeichen verwendet. In ihm erzeugt das eine "Wirkung", die Peirce nennt. Diese Wirkung ist im Humankontext oft ein Folgezeichen, z.B. ein Gedanke. Für Peirce liegt die Bedeutung eines Zeichens nicht in ihm selbst, sondern gerade in der Sequenz seiner künftigen Wirkungen (vgl. die pragmatische Maxime). Da nun Zeichen auf bezogen sind, ist überdies ofenkundig (wie Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen bemerken wird), dass Zeichen allein tot sind und nur im Gebrauch leben. Dieser Gebrauch ist der fallibilistisch offenbleibende Prozess pragmatisch-experimenteller (Re-)Interpretation.
Peirce hat in seinem Opus den Versuch unternommen, jene differenten, jedoch miteinander verknüpften Zeichenwelten - konventionelle Zeichen (z.B. Buchstaben-, Schrift-, Verkehrszeichen); Sprachzeichen der Alltagssprache; usw. - in ihrer Funktion zu analysieren. In seinen semiotischen Studien legt Peirce, wie Gilles Deleuze sagt, "eine allgemeine Klassifizierung von Bildern und Zeichen vor, vergleichbar dem Periodensystem in der Chemie."

 
 

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