a) Der Phosphorus-Mythos und seine romantisch-naturphilosophische Bedeutung kommt heutigen Lesern wohl so fremd vor wie dem Registrator Heerbrand. Man redet dann vielleicht nicht von \"orientalischem\'\', aber von romantischem \'\'Schwulst\'\' (28,32). Aber schon dem rationalistischen Registrator läßt der Erzähler den Archivarius Lindhorst entgegnen, der Mythos sei \'\'das Wahrhaftigste\'\' überhaupt, er sei \"nichts weniger als ungereimt od er auch nur allegorisch gemeint, sondern buchstäblich wahr\" (29,5/7/18ff.).
Das ist die buchstäbliche Wahrheit Jakob Böhmes, der in der seit Tieck und Novalis zu einem Kult-Buch der Romantiker gewordenen \"Aurora oder Morgenröte im Aufgang\" schreibt: \"Ich trage in meinem Wissen nicht erst Buchstaben zusammen aus vielen Büchern, sondern ich habe den Buchstaben in mir, liegt doch Himmel und Erde mit allen Wesen, dazu Gott selber, im Menschen. Soll er denn in dem Buche nicht lesen dürfen, das er selber ist?\'\' (Zitiert nach: Chr. Helferich, \"Geschichte der Philosophie. Stuttgart 1985, S. 113). Das innere Buch, das der Erzähler und der Leser selber sind, das übrigens auch bei Novalis in dem \'\'Märchen von Hyazinth und Rosenblüte\'\' vorkommt (und z.B. in dem Gedicht \'\'An Tieck\'\', dort mit Bezug auf Böhme) - dieses \'\'Buch\'\' enthält einen Mythos, der einen anders gearteten Wahrheitsanspruch erhebt als die empirische Erkenntnis.
b) Von den Büchern der romantischen Mythologen Görres, Creuzer und Kanne hat E.T.A. Hoffmann wahrscheinlich v.a. das \'\'Pantheum der ältesten Naturphilosophie\'\' (1811) von Joh. Arn. Kanne gekannt (von U. Stadler, a.a.O. S. 72ff., vermutet, aber nicht belegt). Unmittelbar vor der Beschäftigung mit dem \"Goldnen Topf\" hat er mit großer Begeisterung G.H. Schuberts \"Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaften\'\' gelesen. Der Hintergrund der Schellingschen Naturphilosophie verbindet die sich als Historiker verstehenden romantischen Mythologen mit den Naturwissenschaftlern. Ihre gemeinsame Überzeugung ist ein polar-dualistischer entwicklungsgeschichtlicher Pantheismus und darin der Glaube, wie ihn J.A. Kanne formuliert, \'\'das Erste ist das Wahre\'\', das naturgeschichtlich und historisch Ursprüngliche sei also das Geglückte und einzig Glückbringende, aber es sei eigentlich unwiederbringlich verloren. Zwischen Schuberts \'\'Ansichten\'\' 1808 und E.T.A. Hoffmanns \"Goldnem Topf\" 1814 verläuft nun die Scheidelinie zwischen Noch-Optimismus und Resignation in der Frage der Möglichkeit eines realen, geschichtlich-gesellschaftlichen Glückszustands des Menschen. Pantheismus schlägt bei E.T.A. Hoffmann um in Nur-noch-Poesie, Kunst der Moderne, eine Position bereits der Autonomie der Kunst als Abgehobenheit von der gesellschaftlichen Lebenspraxis, der Lebenspraxis der Gegenwart und der Zukunft; das romantische Programm einer Vermittlung von Idealität und Realität durch die Kunst wird abgelöst von einem Programm der ständigen Verwandlung des einen in das andere und umgekehrt, auf der Basis einer fundamentalen Ambivalenz.
c) Schubert schreibt in den \'\'Ansichten\": \"Es ist ein ewiges Naturgesetz, daß [...] die vergängliche Form der Dinge untergeht, wenn ein neues, höheres Streben in ihnen erwacht, und daß nicht die Zeit, nicht die Außenwelt, sondern die Psyche selber ihre Hülle zerstört, wenn die Schwingen eines neuen, freyeren Daseyns sich in ihr entfalten.\'\' So wird \'\'ein scheinbares Streben der Dinge nach ihrer eignen Vernichtung\'\' \'\'gerade [in] den seeligsten und geistigsten Augenblicken des Lebens\" sichtbar.
\'\'Jedoch [...] eben die Gluth jener zerstörenden Augenblicke, für die bisherige Form des Daseyns zu erhaben, erzeugt den Keim eines neuen höheren Lebens in der Asche des untergegangenen vorigen...\'\' Das ist Schuberts Lehre von den \"kosmischen Momenten\" im weltgeschichtlichen Geschehen und im Leben des einzelnen, in denen sich also Leben als Tod und Tod als Leben herausstellen, Liebe als Vernichtung und Vernichtetsein als Glücksgarantie.
Schubert greift in diesem Zusammenhang die alten mystischen und alchimistischen Spekulationen über den in allem Materiellen verborgenen Feuerstoff Phosphor und die mythische Gestalt des \'\'Phosphorus\'\' auf, \'\'welcher schon im Alterthum als eine Fackel des Todes und der Liebe verehrt war. [...] So erschienen Liebe und Tod , das seeligste Streben des Gemüths und der Untergang des Individuums vereint.\'\' (G.H. Schubert, Von der Nachtseite der Naturwissenschaft, Dresden 1808, S. 69 ff.)
d) Das ist also E.T.A. Hoffmanns Mythos, die Erzählung vom Untergang des Geistes, des Lebens, der Erkenntnis und der Liebe (darum geht es bei Phosphorus und Feuerlilie und beim Salamander) und von der Auferstehung von Leben und Liebe aus Tod oder Qual (darum geht es bei Anselmus und Serpentina). Der eine, in sich doppelte Mythos wiederholt sich in allem Geschehen, er spiegelt sich hinein in die Lebensgeschichte jedes einzelnen und in jede geschichtliche Epoche, es gibt - trotz aller nach wie vor sehnsüchtig-spielerisch zitierten Formeln vom Goldenen Zeitalter und vom \'\'heiligen Einklang aller Wesen\'\', vom \'\'Einklang mit der Natur\" - keine Möglichkeit, aus diesem ewigen Kreislauf auszubrechen, ans Ende zu kommen. Ein Leben in Atlantis bedeutet, von der Ebene des nicht-phantastischen bürgerlichen Lebens aus gesehen - und auch diese Perspektive ist gültig -, allemal entweder den Tod wie bei Elis Fröbom oder den sanften Wahnsinn wie beim Einsiedler Serapion. Jede erzählte Geschichte muß an irgendeiner Stelle des Kreislaufs aufhören; im einen Fall mag die Erzählung mit dem \"Leben in der Poesie\" enden (Anselmus im \"Goldnen Topf\"), im anderen Fall (z.B. des Nathanael im \"Sandmann\") mit dem Untergang. Und schließlich ist ja im \"Goldnen Topf\" des Anselmus Glück identisch mit dem Unglück des Erzählers.
Alles bedeutet auch sein genaues Gegenteil: der Mythologe Kanne spricht von \"Enantiosemie\". Das ist also ein zutiefst relativistischer Mythos, der von Schopenhauers nur wenige Jahre späterem pessimistischem Konzept nicht weit entfernt ist. Immer noch wird allerdings von einer Entwicklung zu \'\'höherem Sein\'\' (z.B. 36) gesprochen. Schubert, sein Freund Kanne und E.T.A. Hoffmann haben das wohl privat für ihre Existenz nach ihrem Tode erwartet. Es gibt genug Zeugnisse für eine solche private Frömmigkeit, z.B. den jeden Leser zutiefst berührenden Brief Hoffmanns an den Freund Speyer aus dem Jahr 1820 im Zusammenhang mit der immer noch nicht erkalteten Liebe zu Julia Marc: der Tod wird wohl endgültig die ständige Wiederkehr des Gleichen durchbrechen, \'\'beim letzen Hauch des Lebens\'\' gelangt \"die entfesselte Psyche\" zur \"Schau\" \"im wahrhaftigen Seyn\". Das also ist an die Stelle des 20 Jahre vorher entworfenen geschichtsphilosophischen Konzepts der Frühromantik getreten.
Bis zu diesem vielleicht endgültigen \"höheren Sein\" muß das Leben noch ausgehalten werden. Und hier ist dann der \"Trost der Phantasie\", der Kunst gefragt.
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