a) Die universale Geltung des Phosphorus-Luzifer-Mythos, die im \"Goldnen Topf\" wie in den anderen Erzählungen von E.T.A. Hoffmann fast Seite für Seite variantenreich inszenierte Spiegelung der einen, immer aus zwei gegensätzlichen Perspektiven zu betrachtenden und zu bewertenden Urszene, würde einen in den Wahnsinn führenden Wiederholungszwang bedeuten, wenn sie nicht jeweils vom Erzähler aus freien Stücken inszeniert wäre. Das genau ist wohl der springende Punkt in Hoffmanns Poetik- und Kunstauffassung: Der Poet, der nun einmal nicht mehr an die Vermittlung der Gegensätze glauben kann, dem nichts anderes übrig bleibt, als sich auf der imaginären Linie des \"Dazwischen\" balancierend einzurichten, führt seinem Publikum in seinem Balanceakt ein Feuerwerk phantastischer Verwandlungen, immer neuer \'\'kosmischer Momente\'\' des Übergangs von Schwermut in Seligkeit, von Liebestollheit in Zerstörung vor, zeigt fremde und eigene Sehnsucht und Verzweiflung und entzündet so in seinen Zuschauern den \'\'Funken\'\' der Liebe oder des Gedankens, je nachdem, den \'\'Feuerstoff des Salamanders\'\', von dem Serpentina spricht (87,20) und auf den alles ankommt: Geist, Phantasie, mystische Imagination - und Ironie. Die ironische Konfrontation des Phantastischen und wenigstens in der Formel noch utopisch Vorgestellten mit der banalen bürgerlichen Realität bringt Autor, Erzähler und Leser immer wieder zum Lachen, zu einem meist vorsichtigen, nicht befreienden Lachen, das letztlich nichts anderes ist - wie Hoffmann \'\'den Braunen\" in den \"Seltsamen Leiden eines Theater-Direktors\" (in den "Fantasie- und Nachtstücken\") sagen läßt - als \"nur der Schmerzeslaut der Sehnsucht nach der Heimat, die im Innern sich regt\".
b) Solche Leute wie der Konrektor Paulmann werden dann satirisch behandelt, nicht weil sie Bürger sind und eine nette Normalexistenz im \"Linkischen Paradies\" lieben, sondern weil sie unfähig zur Verwandlung sind. Und das Äpfelweib ist nicht etwa deshalb eine Hexe, weil es böse ist, sondern weil es seine schwarze Magie einsetzt, um andere an ihre gegenwärtige statische Existenz festzubannen. Anselmus steht im Mittelpunkt des Märchens, weil er - horizontal - eine Entwicklung mit mehreren Verwandlungs- und Rückverwandlungsphasen durchmacht. Und der Archivarius Lindhorst steht im Mittelpunkt, weil er vertikal, ohne Entwicklung, das Prinzip der Verwandlung verkörpert, indem er überwechselt vom bürgerlichen Archivarius zum Mythenerzähler, zum mythischen Geisterfürsten, zum ambivalenten Zwischenwesen, zum Geier und Adler, zum alkoholischen Geist im Pokal, und indem er andere zur Verwandlung anstiftet. So ist er eine Spiegelung des Erzählers, der im Rahmen der Handlung alle Verwandlungen inszeniert, beim Leser für Verwandlungen sorgt und sich zum Schluß selber wandelt.
c) (Zusammenfassung:) \"Der goldne Topf. Ein Märchen aus der neuen Zeit\": Jedenfalls ein Stück romantischer Transzendentalpoesie, in dem sich die Poesie mit sich selbst, die Phantasie mit ihrem eigenen Schicksal beschäftigt, weil die Frage danach noch die einzig relevante Frage ist. Das Goldene Zeitaler der Zukunft ist auf den Goldnen Topf reduziert, also auf das Kunstwerk. Das ist nur konsequent, denn in der Gegenwart hat \"die Zeit\", das zum mythischen Wesen avancierte Zeitgeschehen, die Rolle der Phantasie usurpiert; \"die Zeit\" hat die Phantasie-\"Leistungen\'\' der bisherigen Poesie offensichtlich bei weitem übertroffen und bei ihrem \"Publikum\" einen ungeheuren Erfolg errungen. \"Diese Zeit [... - heißt es in \"Der Dey von Elba in Paris\", a.a.O. S. 479] überflügelte mit dem Ungeheuren, was sie geschehen ließ, unsre kühnste Einbildungskraft, sie hob uns gewaltsam empor und, gewohnt an die schwindelnde Höhe, glauben wir nun schon zu sinken, wenn wir nicht immer und immer aufsteigen.\'\' Das ist also solch ein \"kosmischer Moment\", die Blütezeit der dämonisch-phantastischen Realität, die aber wie jede Blütezeit \'\'ihre eigne Vernichtung\" bereits in sich trägt. Und da ist dann doch wieder die Poesie absolut herausgefordert: der Untergang der phantastischen Realität muß eine Auferstehung der phantastischen Idealität werden, einer Phantasie, die eine radikale, in der normalen Wirklichkeit nicht mehr zu verwertende Alternative zu bieten hat. Da sieht Hoffmann seine Aufgabe. Und so hebt der Erzähler seine Leser nicht \'\'gewaltsam\'\' empor, wie Napoleon und andere die Menschen ihrer Zeit emporgerissen haben, sondern mit \"zauberhafter Leichtigkeit\'\', nicht in \'\'schwindelnde Höhen\'\', sondern auf der am Boden stehenden Himmelsleiter des Märchens mit der Kraft der spielenden und ironischen Phantasie. Abgesehen von einem Tiefpunkt vor der Vollendung seiner Erzählung (123f.), hält der Erzähler des \"Goldnen Topfs\" diese Leichtigkeit, weit oben auf der Himmelsleiter, durch - und ist am Ende doch wieder ganz unten auf der Leiter angekommen, in \"schöpferischer Qual\".
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