Hermann Hesses Erzählung "Demian", entstand 1917, wurde jedoch erst zwei Jahre später unter dem Pseudonym Emil Sinclair veröffentlicht. Doch Hesse wurde als Verfasser identifiziert, sodaß er sein Pseudonym preisgeben mußte und den, dem literarischen Anfänger Sinclair zugedachten Fontanepreis, zurückgeben. Das Pseudonym Sinclair hatte Hesse bereits während dem Krieg verwendet, um ungehindert sein politisches Engagement auch schriftlich fortzusetzen. Doch nun sah Hesse darin eine Chance, künstlerisch und persönlich einen neuen Anfang zu setzten. Zusätzlich zum Krieg fiel in die gleiche Zeit auch der Tod seines Vaters und ein schweres Gemütsleiden seiner Frau, so daß er sich zu dieser Zeit in psychotherapeutischer Behandlung befand, und viele Elemente dieser neuen Erfahrungen in sein Werk "Demian" einflossen.
Der Roman beginnt mit einem an den Leser gerichteten Vorspann des Erzählers, der bereits auf die Grundrichtung des Romans hinweist. Die folgende Geschichte wird als Autobiographie eines sich selbst Suchenden charakterisiert und der Leser wird schon zu Beginn in den Bann der geschlossenen Welt dieses Romans gezogen. Im Unterschied zu den üblichen allwissenden Dichtern, will der Erzähler des "Demian" seine eigene Geschichte erzählen ".....denn sie ist meine eigene, und sie ist die Geschichte eines Menschen - nicht eines erfundenen, eines möglichen, eines idealen oder sonstwie nicht vorhandenen, sondern eines wirklichen, einmalig lebenden Menschen." Er distanziert sich somit von der Dichtung und stellt die Geschichte als eine Wirklichkeit dar. Im Vorwort gibt er dem Leser auch schon einige Anhaltspunkte für die richtige Aufnahme seiner Erzählung: Er weist darauf hin, daß die geschilderten Begebenheiten zwar von ihm selbst erlebt und insofern authentisch sind, aber nicht im Sinne der Wirklichkeit gewisser äußerer Lebenstatsachen, sondern im Sinne der Echtheit innerer Erlebnisse. Man weiß nun, daß es sich im Roman nicht um die äußere Lebenskarriere Emil Sinclairs handelt, sondern um sein innerstes Seelenleben.
Emil Sinclair, der Held dieses Romans, schildert etwa 10 Jahre seines Schüler- und Studentenlebens bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges und bis zu seiner schweren Verwundung. Die Erzählung kann als Rückblick des sterbenden Soldaten gelesen werden, aber auch als spätere Rückschau des Genesenden. Die biographisch-chronologische Lebensgeschichte ist in drei große Phasen gegliedert: die Kindheit mit ihrer Bedrohung durch Franz Kromer und der rettenden Begegnung mit Max Demian; trotzige Weltverachtung und die Bekehrung zu sich selber in der Auseinandersetzung mit Pastorius; die Begegnung mit Frau Eva und der Ausbruch des Krieges.
Sinclairs Jugend ist geprägt von der Unvereinbarkeit zweier Polaritäten. Bereits der Zehnjährige erfährt die Gegensätze zwischen der "hellen" Welt des geordneten, behaglichen Elternhauses und der "dunklen" Welt der unheimlichen Gassen mit ihren lockenden Abenteuern und ihrer Gewalttätigkeit. Das beide Welten einander so nah sind, daß die Grenze zu verwischen droht, beunruhigt den Jungen, den die "verbotene Welt" lockt, obwohl er sich der "hellen" Welt zugehörig weiß. In der Begegnung mit Franz Kromer, einem älteren Schüler aus einer zerrütteten Familie, bekommt die "dunkle" Welt eine bedrohliche Nähe. Eine harmlose Prahlerei, bei der sich Sinclair als unerschrockener Apfeldieb dargestellt hat, nimmt Franz Kromer zum Vorwand, Emil zu bedrohen und zu erpressen. Damit beginnt nun Emils heile Kinderwelt zusammenzubrechen, obwohl er selbst im Grunde noch nicht den Schritt in die Selbstständigkeit getan hat. Durch den Kontakt mit der "dunklen" Welt der Gesetztesübertretung und Lügen wird Emil gezwungen, sich mit den ungezähmten Wünschen in seinem Inneren auseinanderzusetzen und sein eigenes Widerstandspotential gegen die Autorität zu erkennen. Franz Kromer übernimmt immer mehr die Oberhand in seinem Leben. Aus diesem Zustand der Selbstentfremdung erlöst ihn jedoch zunächst die Begegnung mit dem neuen und älteren Mitschüler Max Demian. Demian, ein selbstbewußter, überlegener Schüler, der durch Einfühlung die geheimen Wünsche und Ängste anderer Menschen versteht, nimmt sich des verzweifelten Emil an, sucht seine Freundschaft und verwickelt ihn in Gespräche, die Sinclair zugleich faszinieren und verunsichern. An der Deutung der biblischen Geschichte von Kain und Abel beweist Demian sein für Emil erschreckende Selbstständigkeit in geistigen und moralischen Fragen. Demian sieht im Brudermörder Kain den Gezeichneten, dessen Überlegenheit seine Umwelt nicht ertragen konnte. Sie erklärte ihn deshalb zum Ausgestoßenen. Auch Emil Sinclair empfindet sich als Außenseiter, wobei er das Gefühl der Überlegenheit mit Demian teilt. So wird die Kainsgeschichte für Emil als Jugendlichen für lange Zeit der Punkt, von dem seine Kritik und Erkenntnis ausgeht.
Demian befreit ihn schließlich von Kromers Unterdrückung und Emil flüchtet erleichtert in die Harmonie der Kindheit zurück. Doch die "dunkle" Seite, die für ihn nun Demian repräsentiert, begegnet ihm immer wieder. Mit seinem Eintritt ins Gymnasium und seiner Trennung von Max Demian beginnt für ihn eine Zeit der vergeblichen Suche nach der eigenen Identität. Als Kneipenheld und Spötter versucht er in der "dunklen" Welt des Rausches und der erwachenden Sinnlichkeit sein werdendes Ich zu erleben, doch fällt er nur immer tiefer in einen äußerst depressiven Lebenswandel hinein. Mit seiner Liebe zu der nur von fern verehrten Beatrice beginnt für ihn jedoch eine neue Phase der Selbstsuche, deren Inbegriff die Malerei wird. In Wunsch- und Traumbildern entwirft Sinclair "Seelenbilder" seines Ichs und findet in einer Mischung aus einem Portraits Demians und Beatrices sich selbst als Gestalt und sein eigenes Schicksal. Dieser Prozeß der Selbstbefreiung wird initiiert durch Sinclairs Bild des Sperbers, der sich aus seiner Eischale befreit. Nachdem Sinclair in traumhaften Ahnen das Bild gemalt hat, schickt er es Demian, der es ihm deutet : "Der Vogel kämpft sich aus dem Ei. Das Ei ist die Welt. Wer geboren werden will, muß eine Welt zerstören. Der Vogel fliegt zu Gott. Der Gott heißt Abraxas." Emil geht der für ihn vorerst rätselhaften Deutung nach und kommt somit weiter auf dem Weg zur Aufhebung der Gegensätze. Vorübergehend wird der in Mysterienkulten erfahrene Organist Pistorius sein Lehrer. Er weiht ihn in das gnostische Denken ein, wo die Göttergestalt Abraxas Gott und Teufel als eine verbundene Einheit darstellt. Er lehrt ihn, jeden Dualismus anzunehmen und zu leben, als Ausdruck des vielgestaltigen inneren Selbst.
Die letzte Stufe in Sinclairs Selbstwerdung beginnt mit der Wiederbegegnung mit Max Demian. Er führt ihn in die kleine Gemeinschaft Gleichgesinnter ein, die sich um seine Mutter, Frau Eva schart. In ihr, die Emil Mutter und Geliebte bedeutet, findet er das "Sinnbild" seines eigenen Innern. Schon bevor er sie persönlich kennenlernt, hat er in Träumen die Begegnung mit ihr erlebt, als verbotene Verlockung und selige Erfüllung. Diese Begegnung erscheint ihm ebenso notwendig für seinen weiteren Erfahrungsweg wie die Anrufung des Gottes Abraxas. Auch die Ähnlichkeit Frau Evas mit Emils Portraitbild, in dem seine innersten Regungen Gestalt gewinnen, bestätigt ihre überragende Bedeutung für Sinclair. In Demians Mutter tritt ihm das Traumbild seines "Dämons" vor Augen. Auch sie weist ihn weiter auf dem Wege zu sich selber. Die auserwählten um Eva sehen sich als Sendboten einer künftigen Menschheit, die der "Verödung des Geistes" im alten Europa die offene Bereitschaft jedes einzelnen für den "Anruf des Schicksals" entgegenstellen. Das Schicksal vollzieht sich hier im Ausbruch des Ersten Weltkrieges.
So trifft Sinclair, gerade als er sich in der Liebe zu Frau Eva seiner selbst gewiß glaubt, unerwartet die Nachricht vom Ausbruch des Krieges. In der Überzeugung, einem gemeinsamen schicksalsgewollten Ideal zu dienen, ziehen die Freunde als Freiwillige an die Front. Schwer verwundet begegnen sich Sinclair und Demian ein letztes Mal. Demian weist dem Freund noch einmal den Weg ins eigene Innere. In der symbolischen Vereinigung mit Demian, indem Demian Sinclair den Kuß seiner Mutter überbringt, nähert sich Sinclair dem Ziel seiner Entwicklung und damit seiner nun entfalteten Persönlichkeit.
CHARAKTERISTIK:
EMIL SINCLAIR:
Emil ist die zentrale Figur in dem Roman. Seine gesamte jugendliche Entwicklung mit all seinen Problemen, welche für ihn eine besonders schwierige und harte Zeit ist, werden dargestellt. Emil fühlt sich als Außenseiter, doch ist vielmehr als Sonderling anzusehen, der erkannt und begriffen hat, die Welt und alle Dinge zu hinterfragen und nicht so hinzunehmen, wie sie sind. Im Grunde stellt seine Entwicklung jedoch die typische Entwicklung des Menschen aus einer Kindheit hin zum Erwachsenen dar - bei Sinclair verlief sie jedoch besonders schwer. Er hegte heftige Auseinandersetzungen mit sich selbst und der Umwelt, Familie, Religion und Autorität, und dem Leben, dessen Sinn und Schicksal, welche jedoch fast alle Menschen in gewisser Weise einmal führen.
Jede Figurenbegegnung in diesem Roman birgt Faszination und Angst, Anziehung und inneres Widerstreben in sich. Erst in der Begegnung mit Frau Eva gelangen dieses Gegensätze zur Synthese - in der Selbstbegegnung.
FRANZ KROMER:
Kromer, der Erpresser und Peiniger Sinclairs, ist ein armer Gassenjunge, der die Chance sofort nutzte, als Emil ihm ein gelogenes Geständnis über den Apfelraub gab, und Kromer ihn gegen Belohnung verraten wollte. Dies konnte Emil natürlich nicht zulassen und so versprach Emil Kromer das Geld selber zu geben. Doch auch nachdem Emil seine Schulden beglichen hatte, benutze Kromer Emil noch immer um seine Machtspiele mit ihm zu treiben. Es war eine schreckliche Zeit für Emil und erst Demian konnte ihn von Kromer befreien.
DEMIAN:
Der Name Demian kam Hesse angeblich in einem Traum und da er ihn so stark beeindruckt hatte, benannte er sein Buch danach. Demian verkörpert in der Erzählung im Grunde keinen Menschen, sondern ein Prinzip. Er stellt die Inkarnation einer Wahrheit und Lehre dar. Demian ist wie ein Teil Sinclairs, der ihn immer wieder zu neuen Gedanken anregt, ihn in gewisse Richtungen lenkt, zuletzt jedoch nur seine Selbstfindung und Ich-Werdung im Auge behält. Demian und seine sonderbare, vollkommene Mutter haben Sinclair schon als Kind als ihresgleichen erkannt und in ihm das Zeichen gesehen, welches die besonderen Menschen, die anders sind als die gewöhnlichen, eingefügten Herdenmenschen, kennzeichnet. Auch wenn Demian und Sinclair sich oft für mehrere Jahre nicht sahen, so bestand dennoch ein immerwährender Kontakt zwischen ihnen. Sie spürten einander und wurden von Zeit zu Zeit zueinandergezogen aber auch wieder voneinander weggetrieben.
PISTORIUS:
Den Organist Pistorius lernte Emil zufällig kennen, indem er ihn beim Orgelspiel in einer Kirche entdeckt hatte. Der anfangs schroff und ablehnend wirkende Musiker, bemerkt bald die Besonderheit um Emil und sie verbringen viel Zeit miteinander. Pistorius kann ihm viele wichtige Dinge beibringen und Emil kommt seinem Ziel immer näher.
FRAU EVA:
Frau Eva, Demians Mutter, lernt Emil erst ganz zum Schluß persönlich kennen, obwohl er im Grunde schon lange Kontakt mit ihr hat. Sie stellt für ihn gleichzeitig Mutter, Geliebte, Göttin, Teufel, Lust, Frieden, Gut und Böse dar. Emil spürt in ihrer Gegenwart die pure Vollkommenheit und Zufriedenheit, als ob er das Erste Mal wirklich heimgekehrt wäre. Durch sie erfährt er seine letzten Lektionen und gelangt damit zum Ziel.
Es eröffnete sich hier erstmals durch den Versuch einer psychoanalytischen Symbolsprache eine neue Art des Erzählens. So erscheint im Bild des Sperbers, geformt aus Träumen und Assoziationen, ein Sinnbild, das sich im Roman nach und nach mit Bedeutung auflädt, bis es zum zentralen Symbol im Prozeß des sich entfaltenden Ichs und damit Sinclairs Selbstwerdung wird.
Hesses Roman wurde nach dem Kriegsende und dessen Veröffentlichung enthusiastisch aufgenommen. Die enttäuschten Jungen Menschen, welche aus dem Krieg heimkehrten und nach einem neuen Lebenssinn sannen, fanden in Hesses Roman ihre eigenen Zweifel, Bedürfnisse und Hoffnungen zum Ausdruck gebracht. Der Aufruf zur Selbstbefreiung, die vehemente Abkehr von Vätern, den Autoritäten, die die Katastrophe des Krieges herbeigeführt hatten, entsprach einem drängenden Bedürfnis der Zeit. Auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg stellte Hesses Werk "Demian" wieder eine Orientierungshilfe für die Heimgekehrten dar. Besonders in Krisenzeiten hat dieses Werk immer wieder Aufmerksamkeit auf sich lenken können und wurde vor allem von Jungen Lesern sehr geschätzt.
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