Will man in unserer heutigen Zeit ein Buch lesen, so bieten sich mannigfaltige Möglichkeiten. In Bibliotheken und Buchläden steht eine enorme Auswahl für den interessierten Leser bereit. Für jeden Anspruch des Lesers gibt es das Richtige.
Doch auch Bücher können mehr oder weniger "anspruchsvoll" sein. Manche Romane sind wie ein Fernsehfilm im Kopf: vom Anfang bis zum "Happy End" wird dem Leser eine unterhaltsame Geschichte geboten, die jedoch mit dem Weglegen des Buches beendet ist.
Andere Bücher dagegen beschäftigen uns noch über das Lesen hinaus, da sie das Ende offen lassen oder Fragen aufwerfen.
Ein solches Buch ist auch der Bestseller "Das Parfum" von Patrick Süskind.
Nach der ersten Lektüre beschäftigen uns noch viele Fragen zum Inhalt, aber auch zu seiner Einordnung. Besonders schwierig ist hier die Frage, welcher literarischen Epoche sich der Roman zuordnen lässt. Aufklärung oder Postmoderne? - Das ist hier die (entscheidende) Frage.
In meinem Aufsatz werde ich zunächst die Kriterien für beide Epochen aufzeigen und letztlich bewerten, ob eine klare Entscheidung getroffen werden kann.
Werfen wir zunächst einen Blick auf den Aufklärungscharakter von Patrick Süskinds Roman.
"Das Parfum" hat seinen Handlungsschauplatz im Frankreich des 18.Jahrhunderts, einem Paradebeispiel der Aufklärung, die von ca. 1720-1785 dauerte. Genau zu dieser Zeit beginnt am "17. Juli 1738"[1] in Paris, "am allerstinkendsten Ort des gesamten Königreichs"[2], das Leben der Hauptfigur, Jean-Baptiste Grenouille. Zwar verlässt dieser Paris für einige Jahre, kehrt aber zurück, um sein Leben am " 28. Juni 1767" [3] eben dort wieder zu beenden. Nicht ohne Grund fokusiert der Autor Frankreichs Hauptstadt: Paris war zu dieser Zeit das Zentrum, von dem sich die Aufklärung auf weitere europäische Länder wie z.B. Deutschland und England und schließlich über ganz Europa ausbreitete. Unter ihrem Einfluss forderte das Bürgertum überall: "Berufung auf die Vernunft, positives Menschenbild, Gleichheit aller Menschen."[4] Jeder Mensch, egal welcher Schicht er angehörte, sollte die gleichen Rechte haben. Bei ihrem Kampf wurden die Bürger auch von bekannten Philosophen motiviert und unterstützt, wie René Descartes oder Immanuel Kant mit seinem berühmten Motto "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen"[5].
Der neue Zeitgeist der Aufklärung machte sich vor allem in der "Erziehung, der Philosophie und der Literatur"[6] bemerkbar. Auch in Patrick Süskinds Roman ist dies deutlich erkennbar, obwohl er ihn 1985, also rund 200 Jahre später, verfasste.
Am besten lassen sich die aufklärerischen Züge dieses Buches anhand einer Charakterisierung der betreffenden Personen und ihrer Handlungsweisen veranschaulichen.
Zunächst stoßen wir auf die sich sehr ähnlichen Charaktäre des Paters Terrier, dem Grenouille nach dem Tod seiner Mutter gegeben wird, und der Madame Gaillard, die ihn in einer Art Kinderheim bei sich zu Hause erzieht[7]. Beide Personen stehen für zentrale Motive der Aufklärung: Rationale Denkweise, Emotionslosigkeit, ausgeprägten Ordnungs- und Gerechtigkeitssinn. Der Pater wird als "gebildeter Mann"[8] beschrieben, der sich seines "kritischen Geistes"[9] bemächtigt. Er ist ein fortschrittlicher Theologe, der sich von den Ansichten des Mittelalters gelöst hat und die "abergläubischen Vorstellungen"[10] dieser vorausgegangenen Epoche wie "Hexerei und Kartenlesen, Amulettgetrage, böser Blick, Beschwörungen, Vollmondhokuspokus"[11] aufs Heftigste bekämpft. Somit ist er ist ein progressiver Theologe, der sich ganz dem neuen Geist der Aufklärung verschrieben hat. Madame Gaillard beschränkt sich rein auf die rationale Ebene. Sie hat keine Emotionen, sondern nur einen "gnadenlosen Ordnungs- und Gerechtigkeitssinn"[12]. So bevorzugt sie keines der ihr anvertrauten Kinder und stellt damit ein zentrales Motiv der Aufklärung dar.
Eine weitere Figur mit aufklärerischen Zügen ist Maitre Baldini, Pariser Parfumer und Lehrmeister Grenouilles, der sich wegen schlecht laufender Geschäfte zur Ruhe setzen will. Von diesem Vorhaben lässt er aber ab, nachdem er sich selbst von den Fähigkeiten des Gerberlehrlings überzeugt hat und sich von ihm Reichtum erhofft[13].
Baldini ist jedoch vor allem ein Kritiker der Aufklärung. Er will sich nicht dem Fortschritt unterwerfen und hält an dem fest, was er schon immer so getan hat. Geschildert wird er als ein "alt[er], starr[er]"[14] Mann, der sich nicht mehr verändern will und auch seine Parfumkreationen nicht dem neuen Zeitgeist anpasst. Was die Menschen früher kauften ist heute auch noch gut, so seine Einstellung.
Baldini wünscht sich sehnlich die Zustände des Mittelalters zurück, in denen er noch berühmt, angesehen und reich war. Er lässt kein gutes Haar am neuen Zeitalter, das er für sein immer schlechter laufendes Geschäft verantwortlich macht. Sein ganzer Hass und seine Abscheu richten sich gegen seinen Konkurrenten Pélissier, der ein Befürworter und Anhänger des neuen Zeitgeistes ist. Dessen Parfum ist seiner Meinung nach "vulgär"[15], er ist ein "Stümper"[16], ein "Schnösel"[17] , ein "Essigsieder"[18] und "Bastard"[19], der seinen Erfolg nicht verdient hat.
Pélissier ist ein Modernist und passt sein Parfum den Ansprüchen der potentiellen Käufern an. Somit ist er progressiv, nicht konservativ, wie Baldini. Er erkennt die Marktlücken und besticht durch Inspiration, Kreativität und Massenproduktion, er orientiert sich an der Veränderung der Gesellschaft. Pélissier ist ein Repräsentant des Fortschritts und hat damit auch den gewünschten Erfolg. Baldini will sich nicht eingestehen, dass er selbst Schuld hat am langsamen Verfall seines Geschäftes, sondern schiebt alles auf die neue Zeit.
Er bemerkt nicht wie er sich, indem er "das Böse" in Person Grenouilles bei sich einstellt, der neuen Zeit doch unterwirft und sich somit selbst verrät. Schließlich zerbricht er an der Kluft zwischen dem Fortschritt und seiner eigenen konservativen Lebenseinstellung. Sein Leben findet ein jähes Ende[20].
Finden wir in Baldini einen Gegner und Kritiker der Aufklärung, lässt sich der Marquis de la Taillard-Espinasse als Gegenstück dazu bezeichnen. Er ist bestimmten Grundsätzen der Aufklärung so sehr verfallen, dass er als Parodie dieser Epoche bezeichnet werden muss. Nach dessen siebenjährigen Aufenthalt in der Einöde des Plomb du Cantal nimmt der Marquis den völlig heruntergekommenen Grenouille bei sich in seinem "Stadtpalais in Montpellier"[21] auf. Grenouille, der nicht mehr an einen normalen Menschen erinnert, ist die perfekte Gelegenheit für den Marquis, seine Forschungsthesen über das Fluidum letale, ein Gas, das die Erde abgeben soll, zu testen. Er versucht aus diesem tierähnlichen Menschen durch seine ausgeklügelte und auf den Leser satirisch wirkende Ventilationstherapie wieder einen normalen und gesellschaftsfähigen Menschen zu machen[22]. Was der Leser schon zu Beginn erahnen kann, wird nach und nach deutlicher. Nachdem der Marquis sein Versuchsobjekt eingehend untersucht hat, ist er davon überzeugt, dass sein Patient nur noch lebt, weil er sich von "erdfernen Pflanzen vermutlich Brot und Früchten"[23] ernährt hat.
Dies ist für den Leser ein erstes Anzeichen dafür, dass der Wissenschaftler nur vermeintlich einer ist, da sich Grenouille in der Einöde mit Wurzeln und Tieren, also keiner "erdfernen" Nahrung, versorgte[24].
Die Erkenntnis liegt nahe, dass der Marquis kein echter Wissenschaftler, sonder eher ein naiver Wichtigtuer ist, was im weiteren Verlauf der Beschreibungen immer deutlicher wird. Er verordnet seinem Patienten zwar eine strenge Diät und eine Ventilationstherapie, aber er lässt ihn auch waschen und ordentlich ankleiden[25]. Nur das lässt sein Versuchsobjekt wieder wie einen normalen Menschen, nicht mehr wie ein Tier, aussehen. Dennoch ist er davon überzeugt, dass seine Hypothesen durch das neue Erscheinungsbild Grenouilles bestätigt wurden. Gänzlich begeistert ist er von seinem Erfolg, als der "Höhlenmensch" einen vermeintlichen Schwächeanfall erleidet, nachdem er ein Parfum aus erdnahen Veilchen gerochen hat[26]. Ihm fällt nicht auf, dass seine Theorien unwichtig und völlig sinnlos sind und schafft es zudem, fast alle Wissenschaftler aus Frankreich und Umgebung von seinem Erfolg durch die Ventilationstherapie zu überzeugen, wobei er größten Ruhm und viele Anhänger erlangt.
Der Leser kann an diesem sehr übertriebenen Beispiel erkennen, dass es nicht nur einen solchen Wissenschaftler in dieser Zeit gab. Der Marquis soll wie ein pars pro toto wirken. Auch sein letzte Auftritt ist höchst amüsant und verdeutlicht erneut die Parodie: Er steigt splitternackt im tiefsten Winter auf den Gipfel des Pic du Canigou um dort ewige Jugend zu erlangen und diese seinen treuen Anhängern nach drei Wochen zu präsentieren, doch er wird nie wieder gesehen[27].
Eine weitere auffällige Figur, die des Antoine Richis, eines reichen und erfolgreichen Geschäftsmann aus dem aufstrebenden Bürgertum, kann als Gegenstück des Jean-Baptiste Grenouille angesehen werden.
Zwar ist er diesem nicht gleichwertig, aber er fordert den Mädchenmörder bis an seine Grenzen heraus[28]. Beide sind Vertreter der Aufklärung. Sie bestechen durch die Fähigkeit ihre Ziele mit präzisen, systematisch ausgeklügelten Plänen zu erreichen. Grenouille ist seinem Konkurrenten letztlich doch überlegen. Zwar gelingt es Richis dem gesuchten Mörder auf die Schliche zu kommen, doch er kann nicht verhindern, dass seine eigene Tochter, die ihm das wichtigste in seinem Leben ist, dem "Scheusal"[29] zum Opfer fällt[30]. Auch als er ihn aufgespürt hat und ihn hinrichten lassen will, kann er sich erneut, wie alle Anwesenden, nicht der Kraft von Grenouilles Parfum widersetzen. Die von ihm inszenierte Hinrichtung des vielfachen Mörders endet im Chaos. Letztlich will er ihn gar nicht mehr töten lassen, sondern, berauscht durch dessen einzigartigen Duft, zum Sohn haben[31]. Richis wird mit dem Sehsinn, einem Symbol der Aufklärung, Grenouille mit dem niedersten aller Sinne, dem Geruchssinn in Verbindung gebracht. Er denkt in visuellen Metaphern[32], der Mörder in olfaktorischen. Das betont erneut ihre Gegensätzlichkeit.
Besonders auffällig ist zuletzt die Hauptfigur des Romans, Jean-Baptiste Grenouille, der in gewisser Weise einen Repräsentanten der Aufklärung darstellt. Von seiner Geburt an benötigt er keine Liebe, er ist genügsam wie ein "Zeck"[33]. Somit beschränkt er sich rein auf die rationale Ebene, folgt also einem Postulat der Aufklärung. Durch das Wegfallen aller Emotionen wird Grenouille jedoch zum Extrem und letztlich zum absoluten Egozentriker. Er will nur seine eigenen Bedürfnisse befriedigen und schreckt dabei auch nicht vor Morden zurück. Das Töten wird für ihn selbstverständlich und dient nur einem Zweck, den Duft der Mädchen zu erlangen. Um sein Ziel zu erreichen ist ihm jedes Mittel recht, dabei zeigt er keinerlei Emotionen oder Reue. Er ist ein böser, hässlicher, teuflischer Mörder, der genau weiß, wie er seine Ziele mit Hilfe seines Verstandes durchsetzten kann. So schafft er es auch, geschickt Menschen ohne deren Wissen auszunutzen, um seine Machenschaften zu vollenden. So täuscht er z.B. einen Erstickungsanfall beim Marquis de la Taillard-Espinasse vor, nur um den schon lange ersehnten Menschenduft als Parfum mischen zu können.[34] Die Herstellung neuer Parfumkreationen zeigt ebenfalls, wie trefflich Grenouille seinen Verstand zu benutzen weiß. Er beherbergt einen unerschöpfliches Reichtum an Düften und mischt in Baldinis Parfumerie unzählige neue Düfte, womit er diesem zu Reichtum verhilft.[35] Dies gelingt Grenouille, indem er seinen Verstand in ein wahres Geruchslexikon verwandelt, in dem er jeden neu gerochenen Duft aufnimmt und präzise abspeichert wie ein Computer. So ist es ihm auch möglich, während sieben Jahre in der völlig geruchslosen Einöde mit der Hilfe seines Geistes immer wieder aufs Neue die verschiedensten von ihm errochenen Düften gedanklich nachzuriechen.[36]
Letztlich jedoch schafft es das "Scheusal"[37] und Geruchsgenie, die Vernunft zur Kapitulation zu bringen: Er verhindert seine Hinrichtung wegen 26-fachen Mordes dadurch, dass er einen Duft kreiert, der eine solche Wirkung auf die Bürger hat, dass sie über einander herfallen und ihn wie einen Gott verehren.[38]
Statt sich nun am Erreichen aller seiner gesetzten Ziele zu erfreuen, ist er enttäuscht darüber, dass die Leute nicht ihn selbst wahrnehmen, wie er sich ersehnt hatte, sondern nur den von ihm geschaffenen Duft: "Denn er war ja maskiert mit dem besten Parfum der Welt, und er trug unter dieser Maske kein Gesicht, sondern nichts als seine totale Geruchlosigkeit. Da wurde ihm plötzlich übel, denn er fühlte, dass die Nebel wieder stiegen"[39]. Sie sehen ihn nicht rational, als Menschen, sondern unter dem Einfluss seines Parfums rein emotinal, als Gott.
Nach dieser Erkenntnis sieht er keinen Sinn mehr in seinem Leben und inszeniert bewusst seinen Tod. Er lässt sich mit seinem selbst kreierten Parfum, das ungemein anziehend auf Menschen wirkt, "besprenkelt"[40] von Pennern am Ufer der Seine förmlich auffressen[41].
Am auffälligsten ist jedoch, dass Grenouille in diesem Roman einen für die Literatur der Aufklärung typischen Antihelden darstellt. Er ist kein heroischer Held, mit ihm will sich kein Leser vergleichen, man kann nicht einmal seine Gefühle teilen oder Mitleid mit ihm haben.
Somit vereint Süskind in seiner Hauptfigur auch Hauptmerkmale der Aufklärung, jedoch in einer extremen Überzeichnung.
Der Roman ist aber keineswegs nur der Epoche der Aufklärung zuzuschreiben. In ihm lassen sich auch postmoderne Züge finden.
Die Epoche der Postmoderne lässt sich zeitlich nicht genau einschränken. Sie beginnt in der Mitte des 20. Jahrhundert, löste die Moderne ab und dauert bis heute noch an. Im Folgenden werde ich anhand des Romans Merkmale der Postmoderne aufzeigen.
Das Erscheinungsjahr des Romans, 1985, spricht an sich schon für die Einordnung zur postmodernen Literatur.
Aber auch die für diese Epoche typische sprachliche Form lässt diese Vermutung zu. Die Stilmittel sind zwar nicht häufig und vielfältig, dafür aber passend und ausdrucksstark in die Geschichte eingebettet. Zunächst findet man die Wiederholung. Diese wird schon zu Beginn des Romans eindrucksvoll eingesetzt, indem der Autor fortlaufend wiederholt wie es in der damaligen Zeit "stank"[42]. Dies soll dem Leser die geruchliche Situation im damaligen Paris eindringlich verdeutlichen. Zwar "taugt unsere Sprache nicht zur Beschreibung der riechbaren Welt"[43], aber es vermittelt trotzdem einen nachvollziehbaren Eindruck. Auch im weiteren Verlauf treten häufig Wiederholungen auf.
Ein weiteres wichtiges Stilmittel ist die Antithese, die schon in den Handlungsschauplätzen des Romans erkennbar wird. Er spielt zum einen in der duftenden Welt der Parfumeure, zum anderen in der Stadt, in der die Gerüche der Ausdünstungen der Menschen überwiegen. Auch lassen sich Antithesen im Text selbst finden, wie z.B. "Amor und Psyche"[44].
Auch setzt Süskind geschickt die Verschachtelung von Haupt- und Nebensätzen ein, Sätze über mehrere Zeilen sind bei ihm keine Seltenheit. Besonders stark wird dies in Verbindung mit Aufzählungen deutlich, die der Autor auch gern verwendet. "Und dann wieder duftender Siegellack, parfümiertes Briefpapier, nach Rosenöl riechende Liebestinte, Schreibmappen aus spanischem Leder, Federhalter aus weißem Sandelholz, Kästchen und Truhen aus Zedernholz, Potpourris und Schalen für Blütenblätter, Weihrauchbehälter aus Messing, Flakons und Tiegelchen aus Kristall mit geschliffenen Stöpseln aus Bernstein, riechende Handschuhe, Taschentücher, mit Muskatblüte gefüllte Nähnadelkissen und moschusbedampfte Tapeten, die ein Zimmer länger als einhundert Jahre mit Duft erfüllen konnten."[45] Süskind wählt die Aufzählung bewusst, um dem Leser den geruchlichen Eindruck besser darzustellen und die Vielfalt der Dinge aufzuzeigen. Der Autor verbindet die Hypotaxe nicht nur mit Aufzählungen, sondern setzt auch bewusst kurze Hauptsätze dahinter. Dies soll dem Leser die wichtigsten Handlungsschritte deutlich verständlich machen, z.B. "Er musste sie töten."[46] oder "Er war von Beginn an ein Scheusal"[47].
Typisch für postmoderne Schriftsteller ist auch ihre Themenwahl, bei der sie versuchen, mit ihrem Werk möglichst viele Menschen anzusprechen, Deshalb beschäftigen sie sich mit spannenden Themen, die möglichst alle Facetten von sachlich bis fantastisch beinhalten. Sie versuchen Unterhaltungsliteratur zu schaffen, die zum Bestseller werden kann.
So gibt es auch in diesem Roman keine einheitliche literarische Form. Er kann zum einen als Bildungsroman eingestuft werden, da darin die geistige und seelische Entwicklung einer Person, Grenouille, geschildert wird. Da sich die Person aber nicht wie üblich zum Guten verändert, ist von einem Ver-Bildungsroman zu sprechen. Außerdem wird hier die Lebensgeschichte eines Menschen beschrieben, was auf einen autobiographischen Roman schließen lässt. Des weiteren kann man "Das Parfum" auch der Gattung des historischen Romans zuordnen, da man z.B. die kulturgeschichtlichen Hintergründe der Aufklärung finden kann. Der Untertitel des Buches, "Die Geschichte eines Mörders", klingt nach einem Kriminalroman, die ausgeprägten Landschaftsbeschreibungen nach einem Reiseroman. Verschiedene Textpassagen, wie z.B. Grenouilles Aufenthalt in der Höhle oder seine Geruchlosigkeit, deuten auf einen fantastischen Roman hin. Die Namensgebung der Hauptperson durch den Autor, Grenouille, zu deutsch: Frosch, weist auf das Märchen der Froschkönig hin, wobei sich die Hauptperson vom Frosch, hier hässlicher Gestalt, zum König, hier Liebling der Menschen wegen seines guten Geruchs, entwickelt. Aber diese Verwandlung ist nicht als positiv anzusehen. Zudem lässt der Name, Frosch, verbunden mit anderen tierischen Vergleichen, wie "schlangenhaft"[48], "hervorgezischelt"[49], auf eine Fabel schließen.
Besonders zu beachten ist auch die Intertextualität des Romans. Immer wieder findet der Leser ihm aus anderen Werken bekannte Umstände wieder. Dies wird besonders deutlich, als der Autor während Grenouilles Aufenthalt in der Einöde die Schöpfungsgeschichte aus der Bibel aufgreift.[50]
Auch versetzen postmoderne Autoren ihre Handlung in die Vergangenheit. Süskind schickt den Leser hier mitten in die Zeit der Aufklärung. Er verlegt den Handlungsschauplatz teilweise an ziemlich abgeschiedene, weit entlegene und etwas komische Orte. So verweilt die Hauptperson sieben Jahre auf dem von Menschen nicht bewohnten Plomb du cantal[51].
Außerdem ist es ein wichtiges Ziel des postmodernen Schriftstellers, eine Distanz zwischen dem Leser und der Hauptperson aufzubauen. Aus diesem Grund ist der Held nicht heroisch und fehlerlos, sondern hat Eigenschaften, mit denen sich kein Leser gerne identifiziert. Grenouille ist missgestaltet, nicht sehr gebildet und noch dazu ein Mörder. Wer möchte sich mit einer solchen Person vergleichen? Deshalb sind auch fast keine Parallelen zwischen der Hauptperson, Grenouille, und seinem Schöpfer zu ziehen.
Zuletzt ist zu sagen, dass postmoderne Autoren dem Leser keine Lehre mit auf den Weg geben wollen. Jeder muss für sich den Sinn des Romans individuell erarbeiten. Der Schriftsteller lässt alle Möglichkeiten für verschiedene Interpretationsweisen offen, so dass es keine eindeutige Antwort auf den Sinn und Zweck der Erzählung geben kann.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass der Roman "Das Parfum" von Patrick Süskind nicht zweifelsfrei einer der beiden Epoche zuzuordnen ist. Der Autor lässt beide Möglichkeiten, entweder Aufklärung oder Postmoderne, offen. Der Leser kann sich selbst entscheiden, welche der beiden Epochen für ihn die zutreffendere ist.
Diese Entscheidungsfreiheit ist sowohl im Sinne der Aufklärung, da der Leser seinen eigenen Verstand benutzen muss, als auch im Sinne der Postmoderne, da hier die Zuordnung ebenso wie die Literaturgattungen erschwert oder gar ganz unmöglich wird.
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