6.1 "My" von Evgenij I. Zamjatin
Der 1924 erschienene Roman "My" (russ.; Ü: "Wir") von Evgenij I. Zamjatin handelt von dem Raketentechniker D-503 (Namen wurden abgeschafft), der unheilbar krank ist: Er bekommt eine "Seele" und schließt sich der Opposition an, die vor hat, am "Tag der Einstimmigkeit" sich gegen die Wiederwahl des "Wohltäters" zu erheben. Der Schauplatz dieser Anti-Utopie ist wie in "1984" ein totalitärer Einheitsstaat. Doch wird der Aufstand durch einen Verrat im Voraus zunichte. D-503 wird durch eine von der Regierung verordnete Behandlung chirurgisch vom "Splitter Phantasie" befreit. Seine Geliebte wird durch die "Maschine des Wohltäters", den elektrischen Stuhl, getötet.
Zamjatins Roman hat die bekanntesten Sozialutopien der Moderne, A. Huxleys "Brave New World" und G. Orwells "1984" vorweggenommen. Zumindest wirft man Huxleys Werk eine direkte literarische Abhängigkeit vor. Aber auch Orwell wurde sicher durch das Lesen dieses Werkes stark in seiner Arbeit an "1984" beeinflusst.
6.2 "Brave New World" von Aldous Huxley
Die satirische Anti-Utopie "Brave New World", deutscher Titel "Schöne Neue Welt", von Aldous Huxley ist 1932 in London zum ersten Mal erschienen. Sie handelt von einer enthumanisierten Menschheit "im Jahre 632 nach Ford" und ist eine Antwort auf die Zukunftsvisionen in Dostojevskis "Legende vom Großinquisitor" und Zamjatins "Wir". Mit unheimlicher Logik entwickelt sich das Bild einer erbbiologisch und psychologisch konditionierten, total manipulierten Wohlstandsgesellschaft, deren grundlegende Lehrsätze Überbevölkerung, Überproduktion und Überkonsum sind. Ford, Freud und Marx sind die heilige Trinität dieser Welt. Angewandte Naturwissenschaft und eine totalitäre Oligarchie haben ein Utopia geschaffen, in dem Menschen nach Rezept und aufs präziseste hierarchisch genormt in Fließband-Retorten gezüchtet werden und in dem die schrankenlose sexuelle Promiskuität aller Fortpflanzungsaufgaben entledigt und in dem ansehnlichen Katalog staatlich garantierter Vergnügen eingeordnet ist.
Luxus ist für alle da, Unruhe, Elend und Unsauberkeit sind ausgerottet. Auf der Strecke blieben jedoch Freiheit, Religion, Kunst, Imagination. Individualismus gilt als asoziales Delikt. Jedes Indiviuum ist ersetzbar. Das Bild dieser "formierten" Gesellschaft wird von drei rebellischen Außenseitern gestört. Einer ist Bernard Marx, der in der Retorte einem Fabrikationsfehler zum Opfer gefallen ist und deshalb lieben möchte. Ein zweiter ist Helmholtz Watson, der wegen seines sträflichen Hanges zum Schreiben ins Exil muss. Der Dritte im Bunde ist ein "Wilder" aus einem Indianerreservat, der wider alle Regeln natürlich geboren wurde. Er wird in der "besten aller Welten" nicht heimisch und begeht Selbstmord.
Circa 30 Jahre nach dem Erscheinen des Romans veröffentlichte Huxley einen Essayband "Dreißig Jahre danach". Unter dem Eindruck der zweiten industriellen Revolution und der Fortschritte in der Technik der Gehirnwäsche und der psychologischen Manipulation des abendländischen Wohlstandsbürgers durch Massenmedien (siehe Thematik) und Reklame argumentierte er, dass seine grausigen Vorhersagen auf dem besten Wege |