Man kann die Personen, die in Umberto Ecos Name der Rose auftreten, so glaube ich, in zwei Gruppen trennen. Die kleinere Gruppe ist diejenige, deren Namen weit weniger interessant sind. Es sind jene Leute, die in Wirklichkeit gelebt haben. Ihre Lebensdaten und Ansichten entsprechen dem, was tatsächlich war, was sie tatsächlich dachten. Und manchmal redeten sie sogar so, wie sie tatsächlich sprachen: Äusserungen von ihnen sind - zum Teil mehrere Seiten lange - Zitate aus ihren Werken und Schriften. Da der Autor an diesen Namen nicht viel ändern konnte, weil sie ihm durch die Geschichtsbücher vorgegeben waren, ist es nicht allzu sinnvoll, gross an ihnen herumzuinterpretieren. Bei einigen dieser Personen ist es jedoch interessant, ihren Hintergrund und ihre Stellung in der früheren Zeit zu erfahren. Einerseits, um jene Epoche ein wenig eingehender kennenzulernen und andrerseits, um Ecos Buch ein bisschen besser zu verstehen. Als Beispiel hierfür habe ich Bernard Gui, den Inquisitor, gewählt, den ich weiter unten in der Arbeit noch genauer vorstellen werde. Des Weiteren gehören in diese Kategorie der historischen Figuren: Ubertin von Casale, Michael von Cesena, Bertrand del Poggeto sowie all die anderen Politiker, Theologen und Häretiker, die zwar nicht sämtliche direkt in der Abtei anwesend sind, in die politischen und religiösen Querelen der damaligen Zeit aber ebenso verwickelt waren.
Zur anderen, beflügelnderen Namensgruppe gehören - mit Ausnahme des Mädchens, da ihr Name unbekannt bleibt - alle übrigen Charaktere des Buches. Es sind dies Personen, die nie gelebt haben. Alle ihre Namen sind solche, die im Mittelalter, wenn nicht häufig, so doch möglich gewesen wären. Denn genauso wie alle Aussagen der Akteure sagbar sein mussten, wäre, wenn Eco die Leute mit modernen Namen ausgestattet hätte, die gesamte, so akribisch realistisch konstruierte Welt seines Werks zerbröckelt. Ebenso mussten, da die Klosterbrüder aus verschiedenen Nationen stammten, alle Mönche aus einem Ort stammen, der ihrem Herkunftsland entsprach und in dem es zu jener Zeit ein grösseres Kloster gab, das ihnen ihren Zunamen geben konnte. Und für alle Personen galt in gleicher Weise, dass auch ihr Vornamen für ihre Heimat zumindest nicht untypisch sein durfte.
Umberto Eco ist nicht nur leidenschaftlicher Mediävist, und hat deshalb ein beinahe unendlich breites Wissen über das Mittelalter, er ist auch Professor für Semiotik , das heisst er kann auf weitläufige Kenntnisse über verborgene Zeichen zurückgreifen. Es wäre erstaunlich, wenn es in den Namen seines Buches keine versteckten Bedeutungen gäbe. Und tatsächlich habe ich einige entdeckt. Woher die Namen nun abgeleitet sind, ist sehr unterschiedlich. Teils sind es literarische Anspielungen sowohl auf Autoren als auch auf Werke, teils historische Andeutungen. Manchmal gibt es wahrscheinlich auch Verbindungen zu den Bedeutungen oder der Etymologie der Namen, wenngleich ich nicht sehr viele davon entdeckt habe.
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