Die ererbte genetische Ausstattung eines Tieres ist die grundlegende Informationsquelle für die Navigation. Die von den Eltern ererbten Gene bestimmen weitgehend das Wesen eines Tieres und damit, wozu es fähig ist und wozu nicht. Diese genetisch festgelegten Eigenschaften und Fähigkeiten der Tiere prägen sich auf ihre ererbten navigatorischen und migratorischen Fähigkeiten aus. Zusätzlich können verschiedene Verhaltenskomponenten selbst unter einer direkten genetischen Kontrolle stehen. Doch gibt es bis jetzt, außer für Lachse, kaum Daten über die genetische Kontrolle der Migration.
Genetik, Umwelt und Migration über weite Strecken
Wildpopulationen von Atlantischen und Pazifischen Lachsen, die aus verschiedenen Flüssen stammen, unterscheiden sich recht deutlich in ihren genetisch bestimmten biochemischen Merkmalen und in ihrem Verhalten. Da die einzelnen Gruppen vom Meer aus ziemlich genau ihre jeweiligen Laichgründe finden, kreuzen sie sich normalerweise nicht untereinander. Aus diesem Grund lässt sich an ihrer Erbmasse eine genetische Drift beobachten. Die für jede Gruppe charakteristische genetische Ausstattung bestimmt zweifelsohne einige Merkmale im Wanderverhalten und auch andere Eigenarten. Daher können sich in der Regel keine Lachse, die man in einen anderen Fluss umgesetzt hat, dort von alleine halten. Das Wanderverhalten wird demnach zum Teil durch genetische Faktoren bestimmt, zum Teil durch Prägung und Chemotaxis.
Bei Versuchen, den Zustand einer gefährdeten Population zu verbessern, befruchtete man aus anderen Gebieten eingeführte Weibchen mit Spermien der in dieser Region noch vorhandenen Tiere. Das Verhalten der gemeinsamen Nachkommenschaft ähnelte in bezug auf Überlebensfähigkeit und Rückkehr in die Küstengewässer dem der Kontrollgruppe. Aber entschieden weniger Tiere wanderten wieder die heimischen Flüsse hinauf.
Hinsichtlich der genetischen Ausstattung der Lachse und Lachsverwandten (Salmonidae) gibt es einen recht ungewöhnlichen Gesichtspunkt: Vor Jahrtausenden verdoppelte sich offensichtlich der Chromosomensatz ihrer Vorfahren und blieb seitdem in der ganzen Gruppe erhalten. Damit enthält eine Körperzelle dieser Familie statt dem sonst üblichen diploiden Chromosomensatz jeweils einen tetraploiden. Solche Vervielfachungen der Erbsubstanz werden als mögliche Erklärung dafür angesehen, dass diese Fische sich außerordentlich gut sowohl an Salzwasser wie auch an Süßwasser anpassen können und damit ein beachtenswertes anadromes Verhalten zeigen. Unter den Aalarten aus dem Nordatlantik - die einen diploiden Chromosomensatz besitzen - gibt es weder beim Europäischen noch beim Amerikanischen Aal Populationen mit genetischen Abweichungen. Im Gegensatz zu den Lachsen, die jeweils auf bestimmte Flüsse beschränkt sind, gibt es bei Aalen große homogene Laichpopulationen, und die Larven verteilen sich über weite Gebiete. Dies führt zu der beobachteten Einheitlichkeit innerhalb jeder Aalart auf beiden Seiten des Nordatlantik. Doch zwischen den Amerikanischen und den Europäischen Aalen bestehen deutliche Unterschiede, vermutlich auch hinsichtlich gewisser Erbfaktoren, die das Wanderverhalten steuern.
|