Die Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" wurde 1996 im Auftrag von BUND und Misereor vom Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie veröffentlicht. Daher wird sie auch als "Wuppertaler Studie" bezeichnet. Nach ihrem Erscheinen stieß sie auf breite Resonanz; die Bundesumweltministerien bescheinigte ihr den "Atem der Machbarkeit" und der Spiegel sah in ihr die "grüne Bibel der Jahrhundertwende".
Diese Studie sollte empirisch belegen, inwieweit der Umwelt-, Energie- und Stoffverbrauch in der Bundesrepublik nicht zukunftsfähig ist, bzw. daß wir ökologisch "über unseren Verhältnissen" leben. Außerdem sollte in ihr eine Orientierung erreicht werden, indem quantitativ dargestellt wird, welche Verbrauchsmengen zukunftsfähig wären, wenn (nationale und internationale) Umweltverträglichkeit als Kriterium genommen wird.
Desweiteren wurde untersucht, welche Ressourcenanteile einem Land wie Deutschland zustehen, wenn man davon ausgeht, daß nicht nur alle Menschen heute einen Anspruch auf prinzipiell gleiche Lebenschancen haben, sondern auch die zukünftigen Generationen. Schließlich sollte aufgezeigt werden, wie sich Wirtschaft und Gesellschaft vom aktuellen Zustand zu einem tragfähigeren Standpunkt entwickeln könnten.
Durch ein Gerüst aus Zahlen und Daten soll in der Studie der Begriff "Zukunftsfähigkeit" definiert werden. Die Hauptaussage dabei ist, daß auch die nachfolgenden Generationen die gleichen Lebenschancen haben müssen wie wir heute. Die notwendige Voraussetzung dieser Chancengleichheit (bzw. der Zukunftsfähigkeit) ist der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Damit wird der Handlungsraum vorgegeben, der in Anlehnung an Hans Opschoor als "Umweltraum" bezeichnet wird. Dieser Umweltraum setzt sich aus der Tragfähigkeit von Ökosystemen, der Regenerationsfähigkeit der natürlichen Ressourcen sowie der Verfügbarkeit von Rohstoffen zusammen. Gleichzeitig enthält der Begriff aber auch die sozialen Aspekte Chancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit. So gelten z.B. Energie und nicht erneuerbare Rohstoffe als weltweite Handelsgüter, für die ein globales Pro-Kopf-Maximum festgelegt wurde. Wasser dagegen wird als regionale Ressource definiert (z.B. Wassereinzugsgebiete großer Flüsse), deren Verbrauch auf regionaler Ebene optimiert werden soll.
1. Einleitung
In seinem Artikel "Zählen oder Erzählen?" beschreibt W. Sachs die Erfahrungen, die er während seiner Mitarbeit an der Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt und Energie sammelte. Dabei wägt er im wesentlichen die Vor- und Nachteile von stofflich-quantitativer und qualitativer Betrachtungsweise der Umweltkrise ab, die durch das Einfließen von natur- und geisteswissenschaftlichen Argumenten in die Studie bedingt wurden. Der Autor beschreibt diesen Prozeß als "Spannung zwischen Metapher und Formel"(S.20).
Sachs schreibt, wie am Beginn der Arbeiten die Meinung vorherrschte, daß sich der quantitative Aufbau der Studie zwangsläufig aus dem Auftrag (dem Entwurf eines zukunftsträchtigen Deutschlands) ergeben müßte. Dabei verteilen sich die Arbeiten auf vier Teilbereiche:
1. Beschreibung des verfügbaren Umweltraums unter Berücksichtigung von Ökologie und globaler Gerechtigkeit,
2. Bestandsaufnahme des "Naturverbrauchs" in der Bundesrepublik,
3. Erstellen von Reduktionszielen für den Energie-, Stoff- und Flächenverbrauchs und
4. Entwerfen von Szenarien, die eine mögliche nachhaltige Entwicklung über einen
Zeitraum von 50 Jahren beschreiben.
Hinter diesem Ansatz stehen eine konzeptionelle, eine strategische und eine normative Absicht. Der konzeptionelle Ansatz sollte den Blick von den Emissionswerten der Industrien (Output) auf den Verbrauch an Stoffen (Input) lenken und die Einsparungen im Stoffverbrauch messen. Strategisch gesehen sollte in der Studie überzeugend dargestellt werden, daß die geforderten Reduktionen bei entschlossenem Handeln realisierbar sind. Die normative Absicht dagegen war es, die erarbeiteten Reduktionsziele als maß- und regelgebende Größen zu formulieren, an denen zukünftige umweltpolitische Strategien gemessen werden müssen. Dadurch könnten belegbare Aussagen über den Erfolg solcher Strategien gemacht werden.
Von diesen drei Absichten ausgehend, begann die Studie zunächst mit einer quantitativen Darstellung, die dem Leser einen Überblick über die Umweltkrise verschafft und dadurch die geforderten Reduktionsziele begründet. Für die Frage nach dem Aussehen eines zukünftigen, ökologisch effizient orientierten Deutschlands geben diese Reduktionsziele dabei aber im besten Fall einen Handlungsrahmen vor; diese Frage kann also durch eine rein quantitative Darstellung nicht beantwortet werden, da in ihr nicht auf die individuellen menschlichen Motivationen, Emotionen und Ängste in Bezug auf ein unter ökologischen Gesichtspunkten umgestaltetes Deutschland eingegangen wird. Als Ursache dafür sieht Sachs die doppelte Reduktion, die die quantitative Darstellungsweise erfordert: Zum einen wird vom Gesellschaftlichen, in das jeder natürliche Vorgang eingebettet ist, abstrahiert. Die Konsequenz ist, daß die Umweltproblematik als Naturkrise erscheint und nicht als Gesellschaftskrise. Die zweite Reduktion erfolgt in Verkürzung der unendlichen Vielfalt der Natur auf die gemeinsam meßbaren Substrate (Energie, Stoffe, Fläche) der einzelnen Vorgänge. In genau dieser Verkürzung liegt der größte Vorteil der stofflich-quantitativen Darstellung der ökologischen Krise, denn indem sie die "unübersichtliche Welt" (S.22) der Naturvorgänge in meßbaren und geordneten Sachverhalten darstellt, ermöglicht sie objektive Aussagen, aus denen wiederum eindeutige und kontrollierbare Handlungsmaximen abgeleitet werden können. Dadurch wird ein Wissen aufgebaut, an dem sich die Umweltpolitik messen lassen muß.
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