Das menschliche Immunsystem kann mindestens zehn Millionen verschiedene Antikörper bilden. Da die Gesamtzahl der Gene beim Menschen sicher unter einer Million liegt, erhebt sich die Frage, wie die Vielfalt der Antikörper-Proteine entsteht. Ein vollständiger Antikörper besteht aus leichten und schweren Ketten und jede dieser Ketten aus einem konstanten und einem variablen Teil. Der variablen und der konstanten Region der Antikörper liegen jeweils eigene Gene zugrunde. Diese Gene liegen im Genom embryonaler Zellen von Säugern und der meisten Körperzellen weit voneinander entfernt, in den Antikörper bildenden Zellen hingegen eng benachbart.
Die Gene für die leichten und die schweren Ketten liegen auf verschiedenen Chromosomen; es handelt sich um getrennte Gengruppen. In jeder Zelle, die Antikörper bildet, ist aber stets nur je eines der Gene für eine leicht Kette und für einen schwere Kette aktiv, sodaß also nur eine Art von leichten Ketten und eine Art von schweren Ketten gebildet wird. Wie in allen Körperzellen ist wegen des doppelten Chromosomensatzes jedes Gen doppelt vorhanden; es wird jedoch immer nur ein mütterliches oder ein väterliches Allel eines Gens aktiviert. Wie dieser Allelen-Auschluß zustande kommt, ist unbekannt. Ein strenger Allelen-Ausschluß erfolgt sonst nur noch bei der Inaktivierung eines X-Chromosoms im weiblichen Geschlecht.
Jede Gengruppe für eine Immunglobulin-Kette besteht aus 100 bis 200 verschiedenen V-Genen für die variable Region und aus einem C-Gen (bei den schweren Ketten aus mehreren C-Genen) für die konstante Region. Während der Entwicklung der B-Zellen im Knochenmark werden die V-Gene in die Nachbarschaft eines C-Gens umgelagert. Dadurch wird bereits eine erhebliche Variabilität der Genkombination zwischen den beiden Genen erreicht. Erst nach der Gen-Umlagerung kann die jeweilige Genkombination aktiv werden.
Leichte und schwere Ketten treten zu einem Antikörpermolekül zusammen; somit erhält man mindestens 1000 x 10000 =10 hoch 7 verschiedenen Antigen bindende Oberflächen von Antikörpern. Jedoch sind damit die Variationsmöglichkeiten noch nicht erschöpft.
Im Bereich der V-Gene finden während der Ausbildung der Gedächtniszellen sehr häufig somatische Mutationen statt. Dabei kommt es zu der außerordentlich hohen Mutationsrate von 10³ Basenveränderungen je Zelle und Zellteilungsvorgang . Hierdurch wird die Variabilität der Antikörper um mehr als das Zehnfache weiter erhöht. Bei einer erneuten Immunreaktion erfolgt dann eine Auswahl solcher Zellen, deren Antikörper besonders gut reagieren (somatische Selektion), dies trägt wesentlich zu der verstärkten zweiten Immunreaktion bei.
Neu gebildete B-Zellen bilden zunächst stets IgM-Moleküle; später gehen sie zur Bildung von IgG-Molekülen über. Dazu muß ein anderes C-Gen aktiv werden, während das V-Gen-System unverändert bleibt. Die Spezifität des Antikörpers bleibt gleich, da sie nur durch den V-Bereich festgelegt ist. Daher haben Antikörper verschiedener Klassen, die nacheinander von der gleichen Zelle gebildet werden, immer die gleichen Bindungseigenschaften.
Antikörper und Gentechnik.
Die hohe Bindungsspezifität der Antikörper hofft man ausnutzen zu könne, indem man gentechnisch in Antikörper bestimmte Enzymeigenschaften einbaut, sodaß diese Enzyme dann ganz gezielt binden und ihre Wirkung entfalten. Ferner versucht man monoklonale Antikörper zu produzieren, deren konstante Regionen vom Menschen, die variablen Regionen aber von der Maus herstammen. Solchen "chimären Antikörper" würde das menschliche Immunsystem vermutlich viel weniger als "fremd" ansehen als rein tierische Antikörper. Daher sollten chimäre Antikörper für die passive Immunisierung vorteilhaft sein.
Die Gene der variablen Regionen von Maus-Antikörpern gegen menschliche Lymphozyten können gentechnsich in Zellkulturen in Gene von Antikörpern des Menschen eingebaut werden; die so gewonnenen "chimären Antikörper" können in Serumflüssigkeit vom Arzt eingesetzt werden, um menschliche Lymphozyten zu vernichten.
|