Das Gehirn ist ein Teil des Zentralnervensystems, der bei Wirbeltieren im Schädel liegt. Beim Menschen ist das Gehirn eine etwa 1,3 Kilogramm schwere Masse aus rosa-grauem Gewebe. Es besteht aus ungefähr zehn Milliarden Nervenzellen, die untereinander verknüpft sind und gemeinsam alle geistigen Funktionen steuern. Neben den Nervenzellen (Neuronen) enthält das Gehirn auch Stützzellen (Gliazellen), Blutgefäße und Organe, die Substanzen ausscheiden. Das Gehirn ist die Steuerzentrale für Bewegungen, Schlaf, Hunger, Durst und praktisch alle anderen Lebensfunktionen, ohne die der Organismus nicht existieren kann. Hier entstehen alle menschlichen Gefühle wie Liebe, Hass, Angst, Freude und Trauer. Außerdem empfängt und interpretiert das Gehirn die unzähligen Signale, die es über die Nerven von anderen Körperteilen und aus der Umgebung erhält.
Anatomischer Aufbau
Bei äußerlicher Betrachtung erkennt man, dass das Gehirn aus drei untereinander verbundenen Teilbereichen besteht: Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm. Als Hirnstamm bezeichnet man in der Regel alle Strukturen zwischen dem Großhirn und dem Rückenmark, d. h. das Zwischenhirn, das Mittelhirn, die Gehirnbrücke und das verlängerte Mark. In der Embryonalentwicklung entstehen alle diese Teile aus dem Vorder-, Mittel- und Rautenhirn. Außerdem ist das Gehirn nicht nur durch die Schädelknochen gut geschützt, sondern zusätzlich noch von drei Hautschichten umgeben, den Hirnhäuten oder Meningen. Die äußere dieser drei Schutzhüllen, Dura mater oder harte Hirnhaut genannt, ist widerstandsfähig und glänzend. Die mittlere (Arachnoidea oder Spinngewebshaut) umschließt das Gehirn lose, erstreckt sich aber nicht in die Furchen der Gehirnoberfläche. Die innere Membran schließlich, die man Pia mater oder weiche Hirnhaut nennt, besteht vor allem aus kleinen Blutgefäßen, die mit der Gehirnoberfläche verbunden sind.
Großhirn
Der größte Teil des menschlichen Gehirns ist das Großhirn (Cerebrum); es macht etwa 85 Prozent der gesamten Gehirnmasse aus. Mit seiner großen Oberfläche und der hoch entwickelten äußeren Schicht (Großhirnrinde) ist es die Ursache dafür, dass der Mensch den Tieren an Intelligenz überlegen ist. (Die Funktionen des Großhirns werden weiter unten im Abschnitt über die Großhirnrinde im Einzelnen beschrieben.) Das Großhirn ist in Längsrichtung durch eine Furche in eine rechte und eine linke Hälfte geteilt. Verbunden sind diese beiden Hemisphären durch einen Strang aus weißen Nervenfasern, den Gehirnbalken (Corpus callosum), durch den wichtige Informationen ausgetauscht werden.
In jeder Gehirnhälfte befindet sich ein genau umgrenzter, flüssigkeitsgefüllter Hohlraum (Ventrikel). Diese beiden Seitenventrikel stehen über kleine Öffnungen (Monroe-Foramen) mit einem dritten Ventrikel in Verbindung, der zwischen den Gehirnhälften liegt. Der dritte Ventrikel geht in einen vierten über, dieser bildet einen Hohlraum zwischen Pons (Brücke) und Kleinhirn. Der Kanal zwischen drittem und viertem Ventrikel heißt Aquaeductus cerebri oder Aquaeductus Sylvii. Die Gehirnventrikel und der Rückenmarkskanal sowie der gesamte Subarachnoidalraum (der Raum zwischen Pia mater und Arachnoidea) sind am Gehirn und am Rückenmark mit dem Liquor gefüllt. Diese Gehirnflüssigkeit hat die Aufgabe, das Gehirn in der Schädelhöhle schwebend zu lagern, den inneren Teil des Gehirns vor Druckschwankungen zu schützen und chemische Substanzen durch das Nervensystem zu transportieren. Der Liquor wird zum größten Teil in den Seitenventrikeln von den Plexus chorioidei gebildet, dicht verwobenen Knäueln aus winzigen Blutgefäßen.
Die Außenschicht der Hirnhälften ist die Hirnrinde (Cortex), die etwa drei bis vier Millimeter dick ist und aus grauer Gehirnsubstanz besteht. Sie setzt sich aus Schichten nicht myelinisierter (d. h. nicht mit einer Isolierschicht umgebener) Zellen zusammen und umhüllt die innere weiße Gehirnsubstanz, deren Zellen von einer Scheide aus Myelin umhüllt sind. Diese myelinisierten Zellen verbinden das Großhirn und andere Gehirnteile (Projektionsfasern), den vorderen und hinteren Teil des Großhirnes, verschiedene Teile derselben Hirnhälfte (Assoziationsfasern) sowie die rechte und linke Hälfte (Kommissuren).
In jeder Gehirnhälfte kann man fünf durch Furchen getrennte Lappen unterscheiden. Vier davon sind nach den darüberliegenden Schädelknochen benannt: Stirn-, Scheitel-, Schläfen- und Hinterhauptslappen. Der fünfte, die Insel, befindet sich im Inneren des Gehirns und ist von außen nicht zu sehen. Stirn- und Scheitellappen sind in der Mitte durch die Rolando-Furche getrennt; der Schläfenlappen liegt unter der Fissura Sylvii, und eine weitere Furche trennt Scheitel- und Hinterhauptslappen.
Kleinhirn
Das Kleinhirn liegt im hinteren Teil des Schädels unter dem Großhirn. Wie dieses besteht es außen aus grauen, nicht myelinisierten Zellen, während sein Inneres aus weißen Zellen mit einer Myelinschicht aufgebaut ist. Es hat ebenfalls zwei Hälften, die durch den Kleinhirnwurm (Vermis) aus weißen Nervenfasern verbunden sind. Mit den anderen Gehirnteilen steht es über drei Faserbündel in Kontakt. Der obere dieser drei Kleinhirnstiele führt zum Mittelhirn, der mittlere zur Gehirnbrücke und der untere zum verlängerten Mark.
Das Kleinhirn ist unentbehrlich für die Bewegungskoordination und dient als Steuerungszentrale für die unbewusste Aufrechterhaltung des Gleichgewichts. Auch die willentliche Muskelanspannung, die für Körperhaltung und Gleichgewicht sorgt, wird von diesem lebenswichtigen Gehirnteil gesteuert. Alle motorischen Tätigkeiten, vom Treten eines Fußballes bis zum Fingersatz auf der Violine, sind vom Kleinhirn abhängig.
Hirnstamm
Der Hirnstamm gliedert sich in drei Teile: das Zwischenhirn mit Pallidum, Thalamus, Hypothalamus und Hypophyse; das Mittelhirn; das Rautenhirn mit Kleinhirn, Brücke und verlängertem Mark.
Thalamus
Dieser Teil des Zwischenhirnes besteht aus zwei rundlichen Massen aus grauem Gewebe und liegt genau in der Mitte des Gehirns zwischen den beiden Großhirnhälften. Er ist eine wichtige Schaltstelle für ankommende Sinnesinformationen und ausgesandte motorische Signale, die zur Großhirnrinde bzw. von ihr weg geleitet werden. Alle Sinneswahrnehmungen mit Ausnahme des Geruchs laufen auf dem Weg zum Gehirn zunächst durch eigene Kerne (Gruppen von Nervenzellen) im Thalamus.
Hypothalamus
Der Hypothalamus liegt unmittelbar unter dem Thalamus in der Mitte der Gehirnunterseite und besteht aus mehreren abgegrenzten Feldern und Kernen. Er wirkt bei der Steuerung vieler wichtiger Körperfunktionen mit und fungiert insbesondere bei solchen, die für Überleben und Fortpflanzung entscheidend sind, als Triebkraft: Dazu zählen Essen, Trinken, Temperaturregulation, Schlafen, Gefühlsbewegungen und Sexualität. Außerdem regelt er über das unwillkürliche Nervensystem die Tätigkeit innerer Organe, steht in enger Verbindung mit der Hypophyse und arbeitet koordiniert mit der Formatio reticularis zusammen.
Mittelhirn
Das Mittelhirn oder Mesenzephalon besteht aus drei Teilen. Der erste umfasst die Großhirnschenkel - Fasersysteme, die Impulse zum Großhirn und von ihm weg leiten. Der zweite besteht aus den Corpora quadrigemina, vier Gewebekörpern, die zusammen die Vierhügelplatte bilden und Signale über optische (die beiden oberen Hügel) und akustische (die unteren Hügel) Nervenbahnen weiterleiten. Der dritte ist der bereits erwähnte Aquaeductus Sylvii, ein flüssigkeitsgefüllter Kanal. Um ihn herum befindet sich graue Gehirnsubstanz, die für Schmerzempfindung und möglicherweise auch für Suchtzustände von Bedeutung ist. Auch die Kerne für den dritten und vierten Gehirnnerv liegen im Mittelhirn.
Brücke
Die Gehirnbrücke (Pons) liegt zwischen verlängertem Mark und Mittelhirn unmittelbar vor dem Kleinhirn. Sie besteht vorwiegend aus quer und längs verlaufenden weißen Nervenfasern, die zu einem komplexen Geflecht verwoben sind. Eine Querbrücke aus Fasern, die von den Kleinhirnstielen ausgeht, verbindet die beiden Hälften, und ein kompliziertes System aus Längsfasern zieht sich vom verlängerten Mark zu den Großhirnhälften. Außerdem liegen die Kerne des fünften, sechsten, siebten und achten Gehirnnervs in der Brücke.
Verlängertes Mark
Das verlängerte Mark (Medulla oblongata), das zwischen Rückenmark und Brücke liegt, ist eigentlich ein pyramidenförmiger Fortsatz des Rückenmarkes. Einen großen Teil dieser Struktur macht der Beginn der Formatio reticularis aus, eines wichtigen Geflechts aus Nervenzellen. Außerdem befinden sich im verlängerten Mark die Ausgangspunkte des neunten, zehnten, elften und zwölften Gehirnnervs. Auf- und absteigende Fasern im verlängerten Mark übertragen die Nervenimpulse zwischen Rückenmark und Gehirn. Im verlängerten Mark liegen die entscheidenden Steuerungszentralen für Herzschlag, Blutgefäßverengung, Atmung und andere unwillkürliche Funktionen, z. B. auch für das Erbrechen. Eine Schädigung dieses Gehirnteiles hat meist den sofortigen Tod zur Folge.
Limbisches System
Einige Teile von Thalamus, Hypothalamus, Hippocampus, Mandelkern, Schweifkern, Septum cervicale und Mittelhirn bilden zusammen eine Funktionseinheit des Gehirns, die man als limbisches System bezeichnet. Diese Strukturen sind in besonderer Weise über Nervenfasern verknüpft und steuern viele Aspekte des Verhaltens, so z. B. Gefühlsausdruck, epileptische Anfälle sowie die Speicherung und den Abruf von Erinnerungen.
Gehirnnerven
Auf der Gehirnunterseite entspringen zwölf Paare symmetrisch angeordneter Nerven. Sie laufen im Wesentlichen zu verschiedenen Teilen von Kopf und Hals und werden von vorn nach hinten durchnummeriert. Manche davon sind motorische Nerven, die Muskelbewegungen steuern, andere dienen der Sinneswahrnehmung. Einige enthalten sogar Fasern für sensorische und motorische Signale.
Blutgefäße
Zwei Gruppen von Gehirnschlagadern versorgen die Gehirnzellen mit Sauerstoff und Glucose. Die beiden gemeinsamen Kopfschlagadern verzweigen sich am Halsansatz in einen inneren und einen äußeren Ast. Der äußere transportiert Blut zur Schädelaußenseite, der innere versorgt den vorderen Teil des Gehirns. Das übrige Gehirn wird von den Wirbelschlagadern versorgt, die sich an der Gehirnunterseite mit den inneren Kopfschlagadern zum Willis-Ring vereinigen. Von dort fließt ein gewaltiger Anteil des vom Herzen gepumpten Blutes, nämlich 25 Prozent, durch das fein verästelte Geflecht der Arterien von Groß- und Kleinhirn.
Funktionen der Großhirnrinde
Physiologen und Neurologen haben in der Großhirnrinde einzelne Felder eingegrenzt, die für Tätigkeiten wie Bewegung, Sinneswahrnehmung, Gedächtnis und andere kognitive Funktionen zuständig sind. Erste anatomische Studien führten zur Benennung der verschiedenen Lappen, Windungen und Furchen.
Die Großhirnrinde ist zwar durch Nervenfasern eng vernetzt, aber man kann einzelne Funktionsfelder unterscheiden. Das somatomotorische Feld z. B., das unmittelbar vor der Mittelfurche liegt, ist für fast alle willkürlichen Bewegungen der Muskulatur verantwortlich. Die Nervenzellen für die Bewegungen der Zellen liegen im oberen Teil der Furche, solche für den Gesichtsausdruck befinden sich im unteren Teil der Furche.
Unmittelbar hinter der mittleren Furche liegt das somatosensorische Feld, das Impulse von der Haut und den darunter liegenden Rezeptoren erhält. Hier werden Empfindungen wie Berührung und Geschmack weiterverarbeitet. Die Nervenzellen für die Empfindungseindrücke von den Zehen befinden sich wiederum auf der oberen Seite des Feldes, und diejenigen für das Gesicht liegen unten in der Windung. Das Hörfeld der Großhirnrinde, das für die akustische Wahrnehmung sorgt, liegt in der oberen Windung des Schläfenlappens, und die Sehrinde ist im Hinterhauptslappen lokalisiert. Der olfaktorische Bereich, der Geruchswahrnehmungen verarbeitet, befindet sich im vorderen inneren Abschnitt des Schläfenlappens. Ein besonderes Feld ist das Broca-Zentrum, das für die Sprache zuständig ist: Es liegt unmittelbar unter dem motorischen Feld und steuert beim Sprechen die Bewegungen von Mund und Rachen. Das Verstehen von Sprache ist dagegen die Aufgabe von Bereichen zwischen dem Seh- und Hörfeld.
Der in der Stirn liegende große Teil der menschlichen Hirnrinde ist der Sitz von Bewusstsein, Intelligenz und Gedächtnis. Wenn ein Sinneseindruck, beispielsweise der Anblick eines unbekannten Gegenstandes, aufgenommen wurde, bleibt er für kurze Zeit oder auch länger als Erinnerung in den Nervenzellen des Gehirns gespeichert. Sieht man den Gegenstand ein zweites Mal, wird die Erinnerung abgerufen, und man erkennt den Gegenstand. Wie wirksam das Gedächtnis ist, kann man u. a. daran erkennen, dass ältere Menschen sich häufig an komplizierte Einzelheiten aus ihrer frühesten Kindheit erinnern können. Die Gehirnforschung beschäftigt sich heute sehr eingehend mit der Frage, mit welchen Mechanismen die Nervenzellen Erinnerungen speichern. Einer Theorie zufolge verändert sich in den Zellen der Gehirnrinde die Ribonucleinsäure, kurz RNA genannt, und durch diese Veränderung bleibt die Erinnerung in den Proteinen des Gehirns erhalten. Nach einer anderen Annahme werden im Gehirn bestimmte Peptide (kleine Proteinmoleküle) aktiviert, wenn ein Ereignis im Gedächtnis gespeichert wird. Eine dritte Theorie besagt, dass sich durch die Speicherung der Impulse die Neurotransmitter verändern; dies sind chemische Substanzen, die der Signalübertragung zwischen den Neuronen dienen.
Die beiden Hemisphären der Hirnrinde arbeiten normalerweise eng zusammen, aber jede von ihnen ist in ihren Aufgaben hochspezialisiert. Auffällig ist dabei, dass die Umwelt jeweils spiegelverkehrt in den Hirnhälften dargestellt wird. Eine Berührung auf der rechten Körperseite wird z. B. im linken somatosensorischen Feld wahrgenommen. Entsprechend werden Nervenzellen im linken motorischen Feld aktiviert, wenn man den rechten Arm hebt. Bei den meisten Menschen ist die linke Gehirnhälfte dominant: Dies korrespondiert mit der Tatsache, dass es erheblich mehr Rechts- als Linkshänder gibt. Wenn ein Teil des linken Schläfenlappens fehlt, ist die Fähigkeit, Sprache zu verstehen, beeinträchtigt. Ist der rechte Schläfenlappen geschädigt, kann der Betreffende keine Gegenstände erkennen. Ein allgemeiner Schaden in einer Gehirnhälfte führt zum Ausfall aller sensorischen und motorischen Funktionen auf der gegenüberliegenden Körperseite.
Physiologie und Chemie
Das Gehirn ist mit seinem Stoffwechsel auf die ständige Versorgung mit Glucose und Sauerstoff angewiesen, die vom Blut über Arterien herantransportiert werden. Die Nervenzellen brauchen beide Stoffe in großen Mengen, weil sie ununterbrochen, Tag und Nacht, physiologisch aktiv sind. Viele Substanzen können aus dem Blut nicht ins Gehirn übergehen, denn winzige Elemente in den Adergeflechten der Ventrikel und in den Gehirnkapillaren wirken als Molekül- und Ionenfilter. Diesen Effekt nennt man auch Blut-Hirn-Schranke. Viele biologisch aktive Wirkstoffe mit hoher molarer Masse, beispielsweise die Hormone der Nebennieren oder Aminosäuren, können diese Barriere nicht ohne weiteres überwinden. Und bestimmte kleinere Moleküle sowie Ionen sind dazu wegen ihrer Polarität (elektrische Ladung) überhaupt nicht in der Lage. Deshalb bleiben die chemischen Verhältnisse im Gehirn im Gleichgewicht, gut geschützt vor den manchmal gefährlichen Veränderungen, die sich oft ergeben, wenn der Mensch bestimmte Dinge isst oder trinkt.
Die Nerven- und Gliazellen in den einzelnen Gehirnabschnitten unterscheidet man nicht nur nach ihrer anatomischen Gestalt (pyramiden- oder sternförmig), sondern auch hinsichtlich ihrer chemischen Ausstattung. Die Neuronen enthalten je nach Typ viele verschiedene Neurotransmitter, die der Kommunikation zwischen den Zellen dienen. Einer davon, das Serotonin, kommt beispielsweise in vielen Neuronen des Hirnstammes vor. In anderen Nervenzellen findet man das Noradrenalin, und wieder andere enthalten Acetylcholin. Neueren Forschungsergebnissen zufolge spielt die Feinabstimmung der Aktivität dieser chemischen Signalübertragungswege eine bedeutende Rolle für die Steuerung der Körpertemperatur, das Essverhalten und vielleicht auch den Schlaf.
Auch manche psychiatrischen Störungen entstehen durch Fehlfunktionen bei Produktion, Abbau und Wirkung der Neurotransmitter im limbischen System. Eine grundlegende Funktion von Tranquilizern und anderen Psychopharmaka besteht darin, dass sie das Gleichgewicht zwischen zwei oder mehreren Neurotransmittern wiederherstellen oder ein bestimmtes Neurotransmittersystem anderweitig beeinflussen. Aminosäuren und andere Substanzen (z. B. Peptide), die in Gehirnzellen vorkommen, spielen vermutlich eine wichtige Rolle für die Dämpfung der Aktivität von Nervenzellen und für die Hemmung der Übertragung ihrer Impulse.
Heute beschäftigen sich Tausende von Gehirnforschern auf der ganzen Welt mit diesen chemischen Systemen. Wenn man wissen will, wie das Gehirn von seiner grundlegenden Physiologie bis hin zu Lernen und Gefühlsleben funktioniert, muss man weitere Kenntnisse über die chemischen Abläufe in seinem Inneren unter normalen und krankhaften Bedingungen gewinnen.
Gehirnerkrankungen
Es gibt eine ganze Reihe von Erkrankungen des Gehirns: Das Spektrum der Ursachen reicht von äußeren Verletzungen bis zu komplizierten Störungen des chemischen Gleichgewichts.
Gehirnverletzungen
Wer einen heftigen Schlag auf den Kopf bekommt, ist vielleicht benommen oder für kurze Zeit bewusstlos. Eine solche Verletzung, Gehirnerschütterung genannt, hinterlässt in der Regel keine bleibenden Schäden. Bei stärkerer Gewalteinwirkung können jedoch Blutungen und Schwellungen auftreten, zudem starke Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Lähmungen, Krampfanfälle oder eine vorübergehende Störung des Sehvermögens, je nachdem, welcher Gehirnbereich betroffen ist. Bakterielle Infektionen des Großhirns oder der Hirnhäute, aber auch Schwellungen des Gehirns oder anormale Wucherungen gesunden Gehirngewebes (Tumor) können den Schädelinnendruck ansteigen lassen, so dass es zu schwerwiegenden Schäden kommt. Tumore, die nahe der Gehirnoberfläche liegen, lassen sich meist durch einen chirurgischen Eingriff entfernen. Liegen sie tiefer, ist Bestrahlung oder Kühlung oft die einzige Behandlungsmethode.
Schädigungen des Hirnstammes
Eine Verletzung des Hypothalamus im oberen Teil des Hirnstammes kann verschiedene Symptome zur Folge haben: Appetitverlust (Anorexie) mit starker Abnahme des Körpergewichts, Steigerung des Appetits mit einer entsprechenden Gewichtszunahme, starker Durst mit häufigem Wasserlassen (Diabetes insipidus), Versagen der Temperatursteuerung mit zu niedriger (Hypothermie) oder zu hoher (Fieber) Körpertemperatur, gesteigerte Erregbarkeit oder unkontrollierbare Verärgerung und Aggression. Ist die Wechselbeziehung zwischen Hypothalamus und Hypophyse gestört (endokrines System), können auch andere Körperfunktionen beeinträchtigt werden; dann kommt es beispielsweise zu Störungen der Sexualfunktion, des Stoffwechsels oder der Aktivität von Herz und Kreislauf.
Noch stärker lebensbedrohlich sind Schäden von Mittelhirn, Brücke oder verlängertem Mark. Prognose und Heilungsaussichten hängen in der Regel von Ort und Ausmaß des Schadens ab.
Schlaganfall
Ein Schlaganfall entsteht, wenn im Gehirn eine größere Arterie blockiert ist. Die Ursache kann ein Blutgerinnsel (Thrombus) sein, aber auch eine Verengung oder Abquetschung eines Blutgefäßes oder ein Gefäßschaden, der zu einer Blutung führt. Manchmal bildet sich auch ein Aneurysma, eine sackförmige Erweiterung eines Blutgefäßes. Die Gefäßwände werden dann schwächer und reißen irgendwann, beispielsweise bei hohem Blutdruck. Ist die Blutversorgung eines kleinen Gehirnbereichs unterbrochen (Ischämie), sterben die Zellen in diesem Bereich ab, und seine Funktion geht verloren. Nach einem schweren Schlaganfall kommt es häufig zu einer halbseitigen Lähmung (Hemiplegie) und Empfindungsverlust auf der Körperseite, die der betroffenen Gehirnhälfte gegenüberliegt. Häufig kann man das Blutgerinnsel chirurgisch entfernen oder die verschlossene Arterie mit einem künstlichen Blutgefäß aus Kunststoff umgehen (\"Bypass\"). Manchmal lässt sich das Gerinnsel auch mit einem gerinnungshemmenden Medikament auflösen, und mit gefäßerweiternden Wirkstoffen (Vasodilatatoren) kann man die Arterie wieder durchgängig machen. Viele Patienten gewinnen nach einem Schlaganfall zumindest einen Teil der verloren gegangenen Funktionen durch geeignete Krankengymnastik zurück.
Andere wichtige Krankheiten
Viele verschiedene Gehirnerkrankungen haben ihre Ursache in örtlichen Schädigungen, chemischen Giften wie Alkohol oder Blei, Bakterieninfektionen oder angeborenen anatomischen Fehlbildungen. Die Parkinson-Krankheit, die erst im Erwachsenenalter ausbricht, ist durch ständiges Zittern und Schütteln gekennzeichnet. Die Ursachen bestehen zumindest teilweise in Gewebedegeneration und dem Verlust der Neurotransmitteraktivität im Schweifkern. Die zerebrale Kinderlähmung ist in der Regel angeboren und entsteht durch Entwicklungsfehler oder Degeneration der motorischen Leitungsbahnen. Die Folgen sind eine Versteifung der Gliedmaßen, ruckartige Bewegungen und Störungen der Muskelkoordination.
Epilepsie kann durch eine Gehirnverletzung während der Geburt oder durch Stoffwechselstörungen im Gehirn entstehen. Wenn ein Krampfanfall (auch Grand-Mal-Anfall genannt) eintritt, wird der Betreffende bewusstlos, der Körper versteift sich, und die Muskeln zucken heftig. Weniger stark sind Petit-Mal-, psychomotorische und fokale Anfälle. Das Anfallsgeschehen kann man mit Elektroden, die man am Kopf anbringt, in einem Elektroenzephalogramm (EEG) verfolgen. Man erkennt dann ein besonderes Muster der elektrischen Nervenzellaktivität.
Evolution
Die meisten niederen Lebensformen haben kein Gehirn, aber schon die einzellige Amöbe besitzt ein primitives Wahrnehmungssystem, mit dessen Hilfe sie schädliche Einflüsse meidet. Bei den Primaten, der am höchsten entwickelten Tiergruppe, zu der auch der Mensch gehört, entstand das Gehirn im Laufe einer langen Evolution. Aber auch alle anderen Wirbeltiere (Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere) besitzen ein Gehirn, das aus den gleichen Grundeinheiten besteht wie das Gehirn des Menschen: Rautenhirn, Mittelhirn und Vorderhirn.
Bei den niederen Wirbeltieren ist das Gehirn lang und schmal, und der Riechbereich ist stark ausgebildet. Bei Vögeln sind die Riechlappen kleiner, aber dafür sind die Sehzentren sehr groß und gut entwickelt. Bewegt man sich auf der Evolutionsleiter weiter nach oben, werden die Großhirnhälften immer größer; sie überdecken die Riechzentren und falten sich mit vielen Windungen und Furchen. Manche Strukturen, so das Kleinhirn, das für das Gleichgewicht sorgt, und das verlängerte Mark, das Atmung und Blutdruck steuert, haben bei niederen Wirbeltieren praktisch die gleichen Funktionen wie beim Menschen.
Die Größe des Gehirns sagt nichts über die Intelligenz aus. Ein geistig behinderter Mensch kann ein größeres Gehirn haben als ein Genie. Die Intelligenz scheint vielmehr von der Zahl und Art der Neuronen sowie von ihren Verknüpfungen abzuhängen.
Forschung
In der modernen Gehirnforschung versucht man mit vielen verschiedenen Methoden, die Funktionsweise des Gehirns aufzuklären. Man entfernt z. B. bei Versuchstieren einzelne Zellgruppen des Gehirns, um die Funktion des betreffenden Gehirnabschnitts zu ermitteln. Diese Methode hat den Nachteil, dass man den Schaden meist nicht wieder beheben kann. Bei der elektrischen oder chemischen Reizung behandelt man einen Gehirnbereich mit Strom oder einer geeigneten Substanz, um das Gewebe zu reizen und die Wirkung zu beobachten. In großem Umfang setzt man auch das EEG ein, um die Muster der im Gehirn auftretenden elektrischen Potentiale festzuhalten. Mit Mikroelektroden kann man sogar die sehr schwachen elektrischen Entladungen an einzelnen Neuronen messen. Beim Verfahren der Gehirnperfusion stellt man mit Hilfe eines Schlauchsystems fest, ob an bestimmten Stellen Neurotransmitter ausgeschüttet werden. Außerdem kann man das Gehirn auf diese Weise über längere Zeit hinweg mit Medikamenten behandeln. Und schließlich untersucht man die Neuronen mit den Methoden der Zellforschung, Elektronenmikroskopie und Histochemie, um die Bausteine der einzelnen Gehirnelemente und ihre Funktionen zu identifizieren.
Wenn die technischen Möglichkeiten sich weiter verbessern, wird man nach und nach die Funktionen aller Teile des Gehirns immer genauer aufklären. Das sollte letztlich dazu führen, dass es durch neue chemische Wirkstoffe und chirurgische Verfahren eines Tages Heilungsmöglichkeiten für viele Krankheiten gibt.
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