Gestörtes Essverhalten beginnt mit einer übermäßigen gedanklichen Beschäftigung des Menschen mit dem Thema Ernährung. Alle anderen Dinge des Lebens werden für den Essgestörten nebensächlich. Entgegen des "normalen" Essverhaltens, bei dem auf ein Hungersignal mit Nahrungs-aufnahme reagiert wird, ist es Essgestörten nicht möglich, diese Signale zu berücksichtigen. Stattdessen überessen sich die Erkrankten oder hungern.
Essstörungen sind seelisch-körperliche Erkrankungen, die ohne rechtzeitige und fachgerechte Behandlung erfahrungsgemäß enorme körperliche Schädigungen nach sich ziehen. Zudem haben sie Auswirkungen auf die Psyche (die Betroffenen haben eine gestörte Wahrnehmung ihres eigenen Körpers und fühlen sich zu dick) und die zwischenmenschlichen Beziehungen der Betroffenen, da diese versuchen die Krankheit zu verbergen.
Auf den folgenden Seiten werden die häufigsten Essstörungen dargestellt.
2.1 Bulimia Nervosa
2.1.1 Beschreibung des Krankheitsbildes
Bulimie ( griech. "Ochsenhunger") welche auch als Ess-Brech-Sucht bekannt ist, ist eine Essstörung, die durch den ständigen Wechsel von Fressanfällen und Versuchen der Gewichtsreduzierung geprägt wird.
Typisch für diese Fressattacken ist der Verlust der Selbstkontrolle, der die Betroffenen beträchtliche Mengen an Lebensmitteln vertilgen lässt. In einem bestimmten Zeitraum (z.B. innerhalb von 2 Stunden), wird eine bestimmte Menge Nahrung verzehrt, wobei diese Menge erheblich größer ist als die Menge, die die meisten Menschen in dem selben Zeitraum unter den selben Bedingungen essen würden. Die Betroffenen verspüren währenddessen das Gefühl, die Kontrolle über ihr Essverhalten zu verlieren. Ihnen ist es weder möglich mit dem Essen aufhören zu können, noch Kontrolle über die Art (vor allem sehr kalorienreiche Lebensmittel) und Menge zu haben.
Nach dem Verzehr dieser extrem hohen Menge an Kalorien überfällt die Bulimiker eine krankhafte Angst vor einer möglichen Gewichtszunahme. Aus diesem Grund wird das Essen hinterher absichtlich erbrochen oder es werden andere Maßnahmen ergriffen (Missbrauch von harntreibenden Mitteln oder Abführmitteln, Fasten, übermäßige körperliche Betätigung), um die Gewichtszunahme zu verhindern. Diese Verhaltensweisen versuchen die Erkrankten vor ihren Mitmenschen zu verheimlichen, da sie sich verständlicherweise dafür schämen. Da sie gemeinsame Mahlzeiten mit anderen Menschen vermeiden bzw. scheinbar "normal" essen, bleiben Bulimiker häufig lange Zeit unerkannt.
Die Betroffenen können unter-, normal- oder übergewichtig sein. Die beschriebenen "Fressattacken" und das Kompensationsverhalten kommen mindestens drei Monate lang wenigstens zweimal pro Woche vor. Die Figur und vor allem das Körpergewicht haben bei den Betroffenen erheblichen Einfluss auf die Selbstachtung.
2.2 Binge Eating Disorder
2.2.1 Beschreibung des Krankheitsbildes
Es handelt sich hierbei um eine ziemlich neue Krankheitsbezeichnung; als eigenständige Diagnose gibt es diese Krankheit erst seit 1994 in den USA. Das Wort "to binge" kommt ursprünglich aus dem Amerikanischen und heißt ins deutsche übersetzt soviel wie "einen Fressanfall erleben" oder "einen Fressanfall haben". Für die Bezeichnung Binge Eating Disorder (BED) gibt es keinen passenden deutschen Ausdruck, am besten lässt sie sich wohl mit "Essattacken-Störung" übersetzen.
Das bedeutende Merkmal der Binge Eating Störung ist das mehrfache Auftreten von Heißhungerattacken (durchschnittlich über 6 Monate hinweg mindestens zweimal pro Woche), obwohl kein körperlicher Hunger empfunden wird. Bei diesen unkontrollierbaren Attacken wird wesentlich schneller und in größeren Mengen gegessen als üblich, bis der Betroffene sich letztendlich unangenehm voll fühlt. Diese Essanfälle werden vor dem Umfeld verheimlicht und häufig beschreiben Betroffene danach Gefühle von Ekel, Scham, Schuld und Depressionen.
Unbewusst wollen Betroffene dieser Störung ihre Gefühle mit Essen unterdrücken. Essen sowie der Gedanke daran dient als Ersatz für Beziehungen und andere Aktivitäten in der Freizeit.
Im Gegensatz zur Bulimie sind die beschriebenen "Fressattacken" aber nicht mit der regelmäßigen Anwendung von Kompensationsverhalten verbunden. Aus diesem Grund leiden die Betroffenen häufig an Übergewicht (Body Mass Index von 25-30) oder Adipositas (BMI>30). In ihren Essgewohnheiten unterscheiden sie sich dennoch vom "typischen" Übergewichtigen dadurch, dass sie "nur" mehr oder weniger häufig Fressanfälle haben, während sich übergewichtige Menschen ständig überessen.
Eine in den USA durchgeführte Studie zeigte, dass ca. 2% der Bevölkerung von BED betroffen sind. Bei Frauen ist das Auftreten dieser Störung etwa um 1,5-mal wahrscheinlicher als bei Männern.
2.3 Anorexie Nervosa
2.3.1 Beschreibung des Krankheitsbildes
Anorexie Nervosa, die lateinische Bezeichnung für Magersucht, verfehlt die wahre Bedeutung der Krankheit, denn übersetzt bedeutet dieser Ausdruck "nervöser Appetitverlust". Magersüchtige haben durchaus Appetit, jedoch unterdrücken sie diesen zwanghaft.
Die Betroffenen halten strikte Diäten bzw. verweigern gänzlich die Nahrungsaufnahme. Sie setzen sich ständig mit dem Thema "Ernährung" und "Abnehmen" auseinander und machen diese zu ihrem Lebensinhalt. Der eigene Körper wird als Feind angesehen, den es zu bekämpfen bzw. unter Kontrolle zu bringen gilt. Ihren Hunger verleugnen Magersüchtige und versuchen diesen zu unterdrücken, indem sie kalorienarme Flüssigkeit zu sich nehmen oder beispielsweise zuckerfreien Kaugummi kauen. Mahlzeiten mit anderen Men-schen werden vermieden, da der Anblick von Essen bei Magersüchtigen unangenehme Gefühle verursacht. Wenn Familienmitglieder sie erfolgreich dazu gebracht haben, zu essen, nehmen Magersüchtige danach Abführmittel ein oder treiben übermäßigen Sport, um einer Gewichtszunahme entgegen-zuwirken.
Im Verlauf der Krankheit spitzt sich diese extreme Diät zu, sodass sie über mehrere Wochen und Monate kaum Nahrung zu sich nehmen und sich vollkommen in ihren Wahn hineinsteigern. Jedes verlorene Gramm wird als Erfolgserlebnis angesehen, wobei ein konstantes Gewicht für Magersüchtige eine wahre Katastrophe darstellt. Je mehr Gewicht die Magersüchtigen bereits verloren haben, desto beängstigender ist der Gedanke an eine mögliche Gewichtszunahme. Selbst wenn ihre Körper bereits stark abgemagert sind, empfinden sich Magersüchtige noch als zu dick.
Betroffene wollen dadurch, dass sie ihren Körper "unter Kontrolle" haben, Stärke und Unabhängigkeit beweisen, welche ihnen in anderen Lebensbereichen fehlt. Viele haben Angst vor dem Erwachsenwerden und vor den körperlichen Veränderungen, die es mit sich bringt.
In Deutschland sind etwa 80.000 Menschen von der Magersucht betroffen, wobei nur 6% davon männlich sind.
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