1. Einführung
Embryonale Stammzellen (ES-Zellen) oder Stammzellen stellen für die Biotechnik ein "Schatzhaus der Möglichkeiten" oder auch eine "Goldmine" dar. Diese überschweng-lichen Lobpreisungen durch Wissenschaftler lassen sich durch ihre in der Zellbiologie einzigartigen Eigenschaften erklären. Einer Gruppe von amerikanischen Wissenschaftlern der University of Wisconsin, unter Führung von James Thomson, ist es gelungen das 17 Jahre dauernde Wettrennen, das von der Zeitschrift Technology Review zum "spannendsten, umstrittensten und verschwiegensten aller wissenschaftlichen Unterfangen" gekürt wurde, zu gewinnen.
2. Gewinnung der ES-Zellen
Dem Entwicklungsbiologen James Thomsons gelang es aus tiefgefrorenen Eizellen Embryonale Stammzellen zu gewinnen. Er bat Paare, die an der Universität ihren Kinderwunsch durch in-vitro-fertilisation erfüllen wollten, und deren Wunsch entweder erfüllt worden war oder die aufgegeben hatten, um ihre nutzlos gewordenen Embryonen. Bei künstlichen Befruchtungen werden normalerweise mehr Eizellen entnommen als schließlich benutzt werden. Die nicht benötigten Eizellen stellen auch sonst ein ethisches Problem dar: sollen sie eingefroren aufbewahrt oder weggeworfen werden.
Aus solchen einen Tag alten Eizellen entwickelte sich am sechsten Tag nach der Befruchtung die sogenannte Blastozyte, ein aus 140 Zellen bestehender Gewebeball. Sie besteht aus dem Photoblast und dem Embryoblast. Das Embryoblast ist der entscheidende Teil: Es besteht aus den Embryonalen Stammzellen, die theoretisch die Fähigkeit besitzen, sich in jede der 210 Zellen des Körpers zu entwickeln. Außerdem scheinen sie unbegrenzt teilungsfähig, ohne je Anzeichen des Alterns zu zeigen. Sie werden als unsterblich bezeichnet, was in der Tat in der Biologie revolutionär ist1.
Die Blastozyte bleibt nur kurz in diesem Zustand, bevor sich eine dreischichtige Keimscheibe bildet, aus der sich die verschiedenen Körperzellen entwickeln. Die Stammzellen werden mit einer Pipette aus dem Zellverband der Blastozyte abgesaugt und in ein Reagenzglas gegeben. Durch einen sehr komplizierten Nährstoffcocktail werden sie am Leben erhalten, müssen aber gleichzeitig mit speziellen Hemmfaktoren an der Differenzierung gehindert werden.
James Thomson war die Vorgehensweise wohl bekannt da er schon länger mit Eizellen von Primaten experimentiert hatte. Vorausgegangen war dem allem aber viel Arbeit an der Maus: Deren Erbgut beherrschen die Genbiologen inzwischen virtuos. Aus deren Stammzellen konnten die Forscher dann auch verschiedene Körperzellen, wie Muskelfasern, Darmgewebe, Knorpel, Knochen und Nervengewebe züchten.
Wie die menschlichen Embryonalen Stammzellen allerdings zur spezifischen Differenzierung bewegt werden können, ist für die Forscher bis jetzt noch ein Rätsel.
Kurz nach Thomsons Veröffentlichung trat John Gearhart von der Hopkins University in Baltimore mit ähnlichem Ergebnis an die Öffentlichkeit. Auch er hatte das Ziel erreicht, menschliche Stammzellen zu züchten, nur sein Ansatz war ein anderer:
Er benutzte zur Stammzellenzüchtung fünf bis neun Wochen alte, abgetriebene Embryos.
3. Anwendung
Die Möglichkeiten die sich durch die in vitro Stammzellenzüchtung ergeben, klingen phantastisch:
. Pharmakologen könnten gezielt Hirn-, Leber- oder Herzzellen kultivieren, um daran die Wirkung von Arzneistoffen zu testen
. Die Ära des tiefgreifenden medizinischen Fortschritts bräche aber erst mit der Fabrikation von Transplantaten an.2 Beschädigtes menschliches Gewebe ließe sich durch aus Stammzellen gezüchtete Zellen ersetzen. Infarktpatienten könnten frische Herzmuskelzellen implantiert bekommen, Leukämiekranken stände unbegrenzt Knochenmark zur Verfügung, Diabetiker könnten Pankreaszellen für die Insulinproduktion injiziert bekommen und ein völlig normales Leben führen. Besonders für die Neurochirurgen ist die Entwicklung von Interesse, da sich abgestorbene Nerven- oder Gehirnzellen nicht regenerieren. Parkinson, Alzheimer oder Schlaganfallfolgen sind nur durch Implantation von frischem Gewebe heilbar.
. Ein Problem das sich stellen würde, wäre die körpereigene Abwehr, die das Gewebe aus den Stammzellen wie jedes andere Implantat, als feindlich erkennen und es attackieren würde. Auch dafür haben die Forscher eine Lösung parat: Man könnte die Zellen so genmanipulieren, daß sie für das Immunsystem unkenntlich oder dem Körper angepaßt werden. Möglich wäre sogar das Transplantat mit der selben Geninformation wie den Körper auszustatten. Dies könnte mit Hilfe des sogenannten "therapeutischen Klonen" geschehen, das auch beim Schaf Dolly Anwendung fand. Dabei wird eine entkernte Eizelle mit einer körpereigenen Zelle verschmolzen. Es entsteht eine Eizelle aus der ein Klon des Patienten entstehen könnte. Aus dieser werden die Stammzellen gewonnen und das benötigte Gewebe, zum Patienten genetisch identisch, gezüchtet.
Für die Anwendung der Erkenntnisse würde man selbstverständlich eine große Zahl an Stammzellen benötigen. Professor David Solter, Direktor des Max-Planck-Institutes für Immunbiologie gab hierfür die Entnahme von Eierstöcken aus toten Frauen als Quelle an. Auf diesem Weg (Organspende) könnten ca. 20 000 Eizellen gewonnen werden.
4. Kritische Beurteilung
Der Ursprung des Rohmaterials macht die Forschung so heikel. Die Verwendung von Eizellen und abgetriebenen Föten in der Forschung ruft Ablehnung in großen Teilen der Bevölkerung hervor. Angeführt wird, daß es einen Embryo daran hindert ein Baby, also ein lebender Mensch, zu werden. Es läuft also auf Forschung am lebensbefähigten (was möglicherweise die gleichen Rechte beinhaltet wie: lebenden) Menschen hinaus. In den USA wurde vor vier Jahren vor allem auf Druck von Abtreibungsgegnern, die Förderung von Forschungen auf diesem Gebiet durch den Staat eingestellt. Fortan kamen die Gelder aus der Industrie und die Forschung zog sich hinter verschlossene Türen zurück. Diese Entwicklung ist immer stärker zu beobachten, wobei auch das Geld für die ES-Zellen-Versuche von der Geron Corporation kam. Die Veröffentlichungen der neusten Ergebnisse rückte das Thema wieder in die Öffentlichkeit.
Kurz danach legte Advanced Cell Technology (ACT) mit einem noch spektakuläreren, wenn auch weniger realitätsbezogenen Experiment nach. Ein Forscher hatte lange vor "Dolly" einen Klon seiner selbst gemacht. Der aufsehenerregende Aspekt des Experiments war: die verwendete Eizelle stammte nicht von einem Menschen, sonder von einer Kuh. Wissenschaftlich wirklich kaum von Bedeutung3, rief die bizarre Verschmelzung von Kuh und Mensch tiefliegende Ängste wach.
Die Forschung ist noch weit davon entfernt Mensch-Tier-Chimären á la Zentaur zu erschaffen, trotzdem ist die Artgrenze zwischen Mensch und Tier überschritten. Vor allem beweist das ACT-Experiment eins: Die Biotechnologen sind entschlossen, ihre Methoden auf den Menschen anzuwenden. Sie wollen sich nicht länger mit Bakterien, Hefepilzen, Pflanzen oder Mäusen arbeiten. Jetzt haben sie den Homo Sapiens im Visier.
Es gelingt dem Menschen immer besser die Natur nach seinem Willen zu dirigieren. Klontechnik, Genmanipulation und Organzüchtung gehen fließend ineinander über und Bilden eine Grauzone in der die bisherigen Maßstäbe der Ethik verschwimmen. Einem Ethiker zufolge stehen wir vor der Wahl "entweder die Grenzen sehr früh zu ziehen oder es gibt kein halten mehr" 4.
Aber: Nach den Experimenten mit "Dolly" oder dem ACT-Experiment war es leicht Schreckgespenster von geklonten Armeen kopfloser Organbanken zu entwerfen. Wirklichen Nutzen schien das Klonen von Menschen jedoch nicht zu verheißen. Nach der Erzeugung der Stammzellen hat sich die Situation jedoch grundlegend geändert, da die Fürsprecher des Klonens jetzt mit Heilsversprechen aufwarten können!
Nach der Bekanntgabe der Forschungsergebnisse gab es in den USA sofort eine Initiative, den Bann des Kongresses über die Forschung aufzuheben. Eine ähnliche Debatte könnte uns in Deutschland auch bevorstehen, da bisher jede Forschung mit Embryonen auf Grund des Embryonenschutzgesetzes mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft wird.
Selbst viele Wissenschaftler gestehen ein, daß Zellen aus Embryonen mit besonderem Respekt behandelt werden müssen. David Solter jedoch findet "es heuchlerisch sich in einer Gesellschaft, die Abtreibung im dritten Monat zuläßt, sich über die Entnahme von ein paar Zellen aus Blastozyten zu empören".
Außerdem: Sollten die Zellen die in sie gesteckten Erwartungen erfüllen, dürfte sich darüber kaum jemand mehr große Gedanken machen!
5. Ethikkommission
Geron Corp. hatte während den Forschungsarbeiten eine Ethikkommission einberufen, die einen Richtlinienkatalog erstellte, um die Forschung in ethischer Weise zu ausführen zu können.
Die wichtigsten Punkte ihrer Arbeit waren:
(1) Alle Paare wurden umfassend informiert was mit den Eizellen geschehen würde wenn sie diese hergäben.
(2) Die in den Experimenten benutzten Blastozyten wären sowieso weggeworfen worden bevor sie neurale Strukturen entwickeln konnten, oder irgendeine Art von Empfindung gehabt hätten.
(3) Die Zellen mit denen die Forschung betrieben wurde, stammten nicht von Embryonen und besaßen nicht die Fähigkeit sich in einen vollständigen Organismus zu entwickeln.
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