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philosophie artikel (Interpretation und charakterisierung)

Was kann und darf gegenstand soziologischer forschung sein? - das soziale und die ausgrenzung der sachen.



Ungeheuerliches ist zu berichten von der Soziologie-Front: der Topos Sachen, Dinge, Geräte, Apparate, Aggregate, Artefakte, Gemachtes u.dgl. ist nicht oder nicht zielgenau ins Visier der Sozialwissenschaft treibenden Forschergemeinschaft genommen worden! Und dabei hat doch alles gut angefangen: K. MARX hat es getan und E. DURKHEIM und M. WEBER haben es getan und selbst Sozialwissenschaftler, die offensichtlich heute nicht mehr zu den Meisstzitierten ihrer Zunft gehören (wie H. SCHMALENBACH oder L. v. STEIN ) haben sich des Themenkomplexes der "sachhaften Gelegenheiten" (S.31) angenommen. Wenn etwas nicht ins Visier gerät (um im Bild zu bleiben), dann mag es an der Brille liegen, die man trägt oder eben nicht trägt. Dabei sind der Sachen um uns doch genug und bedeutend genug, so dass man auch ohne Brille -so ist man geneigt zu glauben- auf sie stößt: "Man hat geschätzt, dass neun Zehntel der unsere Welt konstituierenden Sachen das Produkt des Wissens und der Arbeit der drei letzten Menschenalter sind. Es ist evident, dass die Menschenzahl, die heute die Erde bevölkert und morgen verdichtet bevölkern wird sowie ihr Lebenszuschnitt, von nichts mehr abhängen und abhängen werden als von der Akkumulation des Gemachten und der weiteren Akzeleration des Machbaren, vulgo: vom technischen Fortschritt" (S.12, Hervorh.v.Verf.). Um diese "Abhängigkeit" aus soziologischer Sicht geht es vor allem im vorliegenden Werk von H. LINDE.
Doch dazu ist begriffliche Grundlagenforschung zu leisten: es geht dabei um die Rehabilitation des in der Soziologie ins Abseits gedrängten Grundbegriffs der Sache. Damit dies gelingt, muß andererseits ins Bewusstsein gerufen werden, dass das Designatum auch Element der sozialen Phänomene selbst ist. Dies führt schließlich zu der von LINDE so genannten "Doppelthese" seines Werkes, wonach Sachen "...(a) Grundelemente der sozialen Struktur menschlicher Vergesellschaftung sind und dass Sachverhältnisse daher auch (b) eine Grundkategorie der soziologischen Analyse dieser Vergesellschaftungen sein sollten" (S.14).
Dass die Aufnahme von unbelebten Dingen in den Kanon soziologischer Grundbegriffe keineswegs selbstverständlich ist, mag einen Grund für die lange Vergessenheit der Sachen in der Soziologiegeschichte liefern. M.a.W.: wenn es denn zur Methodologie eines soziologischen Ansatzes gehört, das Soziale als Erkenntnisobjekt (lediglich) über "Beziehungen und Verbindungen von Personen" zu definieren, dann müssen unbelebte Objekte in die Peripherie des auf handelnde Personen oder Personenkreise fokussierten Erkenntnisinteresses zurücktreten. Sie erhalten ihren Rückbezug auf Akteure bestenfalls -wie bei LOOMIS- durch die theoretische Konstruktion der Zweck-Mittel-Relation: Sachen als Mittel zur Erreichung bestimmter Zwecke (Ziele) von bestimmten Akteuren oder Akteursgruppen. Je nach methodologischer Auffächerung und Feingliederung können die o.a. Beziehungen und Verbindungen von Personen psychologistisch fundiert werden oder nicht (d.h. im letzteren Falle als neue Qualitäten, z.B. soziologische, aufgefasst werden). Ein solcher Psychologismus folgt etwa dem klassischen Ansatz von F. TÖNNIES , "...nach dem alle sozialen Gebilde Artefakte aus psychischer Substanz sind und daher ihr soziologischer Begriff zugleich psychologischer Begriff sein müsse" (S.23). In einem solchen Ansatz ist augenfällig die Beziehung Mensch-Sache in seinen vielfältigen Kombinationen eine problematische und mithin ein begrifflich nicht trivial zu konstruierendes Desiderat. Der amerikanische soziologische Systemtheoretiker Charles P. LOOMIS, der "...soviel für die TÖNNIES-Rezeption in den Vereinigten Staaten getan hat" (S.23), inkorporiert denn auch diesen psychische-Substanz-Ansatz in sein Sozialsystem-Konzept und bürdet sich damit die methodologische Last auf, nichtsozialen Phänomenen wie den Sachen, den ihnen gebührenden Platz in solchen Systemen zuzuweisen. Sachen (facilities) sind für ihn daher eher eine Residualkategorie und für die meisten soziologischen Analysen durchaus entbehrlich, da das Systemelement "Ziele" mit dem zugeordneten Prozess des "zweckgerichteten Handelns" (goal attaining activity) die Analysezwecke besser erfülle. Lediglich im ökonomischen Wertaspekt (Sachen als wirtschaftliche Güter) einerseits und im sakralen Wertaspekt (Sachen als Heiligtümer) andererseits zeigten die Sachen, so LOOMIS, im ersten Fall einen "gesellschafts-like" bzw. im zweiten Fall einen "gemeinschafts-like" Besitz-, Kontroll- und/oder Gebrauchsaspekt . Und in diesen jeweiligen Kontexten mache es u.U. Sinn, Sachen einmal nicht als Residualkategorie aufzufassen, sondern sie so zu interpretieren als öffne sich mit ihrer Hilfe "...sozusagen ein weiteres Fenster, durch welches die systemtypischen Ziele, Überzeugungen, Normen und andere Elemente beziehungsweise ihre prozessual artikulierten Entsprechungen einer Beobachtung unterzogen werden könnten" .

 
 

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