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musik artikel (Interpretation und charakterisierung)

Herz und hirn in der musik


1. Konzert
2. Jazz

In der Tat gab es zwar schon in dieser Zeit einen Komponisten,
der die Zwölftonmusik rein mechanisch und mathematisch verstand
- und sie sogar etwas früher als Schönberg anwandte: Es war der
in Wien lebende Komponist Josef Matthias Hauer. Er war ein
eifriger Verfechter rationaler Methoden des Komponierens.



Zitat 8 Sincovicz 181



Ich hoffe, Sie verstehen jetzt, warum das eben gehörte Beispiel
sowohl gut als auch schlecht ausgewählt war: Ein derartiges
mechanisches Abzählen von Tönen ist typisch für einige tastende
Versuche in dieser Kompositionsart, vor allem in der Frühphase
der Dodekaphonie, und beim Partiturstudium dann auch sehr
übersichtlich, aber keineswegs typisch für eine ausgereifte
Komposition Schönbergs.



Ich möchte in weiteren Beispielen andeuten, wie man auch anders

zwölftönig komponieren kann.

Kommen wir zu der Nr. 4 aus op.27. \"Der Wunsch des Liebhabers\" :
Anhand des Ihnen vorliegenden Auszuges der Partitur, welcher den
vollständigen Text und die Hauptstimmen enthält, kann ich
einiges näher erläutern. Sie sehen, daß der Text nach einem
kleinen Vorspiel von Klarinette, Geige und Mandoline zunächst
vom Sopran, später - in der Mitte der Seite - vom Tenor, unten
dann in Takt 31 vom Alt, und auf der zweiten Seite vom Sopran,
Baß und wieder Sopran vorgetragen wird.

Die träumerische Gesamtstimmung des Textes ist hervorragend
durch die schwebende Tonalität und die bizarre Besetzung
(Mandoline, Klarinette, Geige und Violoncello mit Dämpfern und
einem durchweg dolce singenden Chor) in Klang umgesetzt. Das
zwölftönig komponierte Werk ist inspiriert durch die chinesische
Pentatonik, durch Quint- und Quartklänge und davonhuschende
Figuren. Die in der chinesischen Musik benutzte Pentatonik kann
man am Klavier einfach darstellen, indem man nur schwarze Tasten
spielt. Schönberg beginnt seine Reihe mit diesen \"schwarzen fünf
Tasten\". Dann schreibt er die gleiche Folge einen Halbton tiefer
und hat damit 10 Töne komponiert. Die Folge ist so konzipiert,
daß die verbleibenden Töne e und h als Quinte sich hervorragend
für einen Bordunklang in der Mandoline eignen. (Erläuterungen
am Klavier). Hören wir diese einleitenden zwei Takte.



Tondokument 5 Nr. 4 aus op.27. \"Der Wunsch des Liebhabers\" Takt
1,2 (1925)



Wie Sie sehen, habe ich jeweils fünf Töne umkreist. Es sind
jeweils die pentatonische Folgen, wie sie in der Hauptstimme
erscheinen und aus den ersten 5 Tönen der Komposition abgeleitet
sind. Wir hören Sie uns zunächst am Klavier einmal an....

Jetzt hören Sie den vollständigen ersten Teil:



Tondokument 6 Nr. 4 aus op.27. \"Der Wunsch des Liebhabers\" Takt
1-16



Sie bemerken auch, daß der Komponist dieses Stück klanglich sehr
gut ausgehört hat. Nach einigem Einhören kann das Ohr die
Ausgewogenheit der führenden, meldodietragenden und der
begleitenden, Atmosphäre schaffenden Stimmen hören.



Obwohl dieses Stück relativ einfach konzipiert ist, setzt es
doch voraus, daß der Hörer sich einhört, er wird nur Freude an
dem Stück haben, sobald er die durch die Stimmen wechselnde
Melodie nachzuvollziehen kann, ansonsten wird er nur Chaos
empfinden. Beobachten Sie einmal Ihr eigenes
Wahrnehmungsverhalten beim nochmaligen Zuhören!



Tondokument 7 Nr. 4 aus op.27. \"Der Wunsch des Liebhabers\"

(Vollversion)



Bei vielen Stücken Schönbergs wird es nicht zu vermeiden sein,
daß der Hörer sich so weit mit den Noten des jeweiligen Werkes
vertraut macht, daß sie ihm eine Orientierung geben. Das Hören
von Musik wird also anders definiert als in mancher leicht
konsumierbaren Musik: Voraussetzung für ein adäquates Hören ist
bei vielen Werken der Neuen Musik das Studium der Partitur.
Lassen Sie mich es ein wenig überspitzt sagen: Es leuchtet ein,
daß es auch anstrengt, ein Buch zu lesen, alleine es unter das
Kopfkissen zu legen und sich dem Gefühl hingeben, man habe
Literatur in der Nähe des Kopfes, wird nicht ausreichen...



Damit ist ein Aspekt der Rezeption erfaßt. Daß es auch andere
Möglichkeiten gibt, zeigt das folgende Stück, das sich dem Hörer
unmittelbar erschließt. Hören wir aus op. 19 den Titel \"Sehr

langsam\":




Tondokument 8-10 op. 19,6 (1911)



Ich hoffe, ich konnte Sie überzeugen, daß Celebidache Unrecht
hatte, wenn er sagte, das klingt alles gleich!



Lassen Sie uns als letztes Beispiel des Beginn des
Violinkonzertes op. 36 gemeinsam hören. Ich muß Ihnen dazu
sagen, daß ich das Werk beim ersten Hören als ein großes Chaos
empfand und lange keine Freude hatte, mich mit ihm zu
beschäftigen. Schließlich erkannte ich: das Thema des Konzertes
ist nicht anders aufgebaut als ein dreiteiliges Lied mit den
Abschnitten A B C. Diese Struktur möchte ich Ihnen vermitteln.
Der Abschnitt A besteht aus einem Wechselspiel Frage-Antwort
zwischen der Sologeige und dem Orchester:



Tondokument 11



Dieses Frage-Antwortspiel setzt sich in den folgenden Perioden
fort. Der Abschnitt B beginnt zunächst mit einer geschwungenen
Melodie der Sologeige als Vordersatz.



Tondokument (12/)13



Abschnitt B endet dann mit der dazugehörigen Antwort als

Nachsatz.




Tondokument 14/15/16/17



auch im folgenden Abschnitt C gibt es eine derartige Periode mit
Vorder- und Nachsatz. Charakteristisch ist hier die

rhythmisch-energische Komponente.

Hören wir zunächst den Vordersatz des Abschnittes C:




Tondokument (18)19




und nun den ganzen Abschnitt C




Tondokument 20



Ich möchte Ihnen nun alle Abschnitte A-C des Violinkonzertes
vorspielen.



Tondokument 21/22/24





C) Schluß



Ich möchte zusammenfassen: Schönbergs größtes Verdienst war es,
das Musikdenken des 20. Jahrhunderts durch eine alles bisherige
übertreffende Radikalität provoziert zu haben und damit einen
Prozeß in der musiktheoretischen und musikästhetischen
Diskussion ausgelöst zu haben, dessen Auswirkungen heute noch
spürbar sind. Das ganze bleibt nicht frei von spannungsreichen
Widersprüchlichkeiten und Paradoxien:



Er entwickelte einerseits sein gewissermaßen

\"basisdemokratisches\" Tonsystem und sagte andererseits von sich
selbst, er habe eine \"Abneigung gegen Demokratie u. dergl.\"
(Briefe S. 116f.).



Er wurde einerseits der \"Vater der Neuen Musik\" und ein
vorausschauender Revolutionär und Avantgardist genannt.
Andererseits wurde er als Meister des motovisch-thematischen
Denkens den Traditionalisten der Romantik zugerechnet, die fern
von jeder Musikästhetik des 20. Jahrhunderts lägen (Adorno).



Linke Ideologen feierten ihn - insbesondere nach seinem Spätwerk
\"The Survivor from Warsaw\" als großen antifaschistischen
Komponisten, die anderen warfen ihm vor, ein \"potentieller
Faschist\" zu sein, insbesondere weil er nicht nur davon
überzeugt war, daß die Vorherrschaft der deutschen Musik in der
Welt für die nächsten hundert Jahre gesichert sei, sondern, daß
er seine Zwölftontechnik als Ursache für diese deutsche
Überlegenheit ansah. (Musikkonzepte S.185,188, rororo S. 100)



Diejenigen aber, die ebenfalls davon überzeugt waren, daß am
deutschen Wesen die Welt genesen soll, waren seine größten

Feinde.

Lassen Sie mich enden mit einer kleinen Kuriosität: In seinen
1947 veröffentlichten Menschenrechten, in denen er sich u.a. für
die Toleranz zwischen den Kulturen einsetzt, schreibt Schönberg:
\"Man muß auch die Menschenfresserrechte anerkennen. Sie beruhen
auf der instinktmäßigen Erkenntnis, daß aus Blut wieder Blut und
aus Fleisch wieder Fleisch wird. ...\" (Stil und Gedanke S.199)

Ich möchte dazu sagen: Man muß - bei allem Respekt - nicht
alles, was aus der Feder von Geistesgrößen stammt, kritiklos
hinnehmen, und es ist wirklich auch nicht jedes Detail zu

empfehlen...
Ich danke Ihnen.

 
 

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