Wie auch in der französischen Geschichte, so auch in der Operngeschichte kam es zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu einem Einschnitt. Napoleon Bonaparte, ein junger korsikanischer General, kam in Frankreich zu politischer Macht, nachdem er durch Feldzüge in Italien und Ägypten Ruhm erlangt hatte. 1799 ernannte er sich zum Konsul und schaffte das korrupt gewordene Direktorium[4] ab. 1804 krönte Napoleon sich als Napoleon I. zum Kaiser der Franzosen.
Nachdem nun der Zwang des revolutionären Schreckens von der Gesellschaft gewichen war, vollzog sich eine Rückverwandlung und Trennung der beiden gängigen Operngattungen. Die "opéra comique" wurde zur unterhaltsamen Spieloper, die "tragédie lyrique", zum Aushängeschild des jetzigen Kaiserreichs. Ziel der Oper war die Verherrlichung des Régimes. Trotz alle dem gab es eine Trennung der Komponisten in Anhängern der ernsten Oper (tragédie lyrique) und der komischen Oper (opéra comique).
Komponisten der Opéra comique waren u.a. Nicolo Isouard (1775 - 1818) und Adrien Boieldieu (1775 - 1834). Boieldieu feierte bereits am 16. September 1800 einen großen Publikumserfolg in Paris. Seine Opéra Comique "Der Kalif von Bagdad" findet Gefallen beim Publikum. Die orientalischen Inhalte haben ihren Reiz für das Publikum nicht verloren. Durch die vortreffliche Charakteristik einiger komischer Rollen, sowie der schnellen, volkstümlichen Musik erfüllt sie den Ansprüchen des Publikums.
Nach weiteren Kompositionen folgte 1825 seine Oper "Die weiße Dame" nach einem Libretto von Eugène Scribe. Binnen kurzer Zeit gehört Boieldieus Werk zum Standardrepertoire der französischen Opernbühnen. Mittlerweile sind selbst in Frankreich die romantischen Dichtungen beliebt. Das Publikum fordert gespenstische Begebenheiten in alten Burgen und geheimnisvollen Schlössern.
Wie die deutsche Spieloper zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch Namen wie Lortzing, Flotow und Nicolai vertreten wurde, so stehen Namen wie Boieldieu, Auber und Adam auf französischer Seite entgegen.
Adolphe Adam (1803-1856) wollte mit seiner Oper "Der Postillon von Lonjumeau"(1836) unterhalten und amüsieren, welches ihm auch meisterhaft geglückt war. Die Komik erkennt man neben der Musik auch an ihrer Handlung:
Durch Zufall entdeckt Marquis de Corcy, zuständig für die königliche Unterhaltung die strahlende Stimme des Postillons von Lonjumeau, welchen er direkt als Hofsänger einstellt. Der Postillon nimmt den lukrativen Posten an und verlässt seine Frau Madeleine. Zehn Jahre später ist er ein gefeierter Sänger, das Publikum liegt ihm zu Füßen. Er verliebt sich in eine reiche Frau, Madame Latour, die er auch heiraten möchte. Aber auch de Corcy hat ein Auge auf sie geworfen. Da der Postillon bereits verheiratet ist, versucht de Corcy ihn bloß zu stellen und als Bigamisten verhaften zu lassen. Als dem Postillon die Verhaftung droht, gibt sich Madame Latour zur Überraschung aller als Madeleine zu erkennen, die in der Zwischenzeit durch eine Erbschaft zu Geld gekommen ist.
Es ist wohl die musikalisch reizvollste Spieloper seiner Zeit.
Gasparo Spontini (1774 - 1851) war Komponist und Anhänger der "tragédie lyrique". Sein größter Erfolg war "La Vestale". Spontini wandte sich nun endgültig von der opera buffa[5] ab und der historischen Oper zu. Aber auch Werke von Charles Simon Catel (1773 - 1830) übten einen großen Einfluss auf das französische Operngeschehen aus. Durch den kriegerischen Schwung von prunkvoll instrumentierten Marschrhythmen wurde die "tragédie lyrique" auf neue Bahnen gelenkt.
Bis dahin gab es nur wenige Neuerscheinungen in der Opernmusik. Die Académie impériale erhielt ihren Betrieb hauptsächlich durch die Aufnahme von älteren Werken aufrecht. Der Italiener Spontini führte die französische Oper zu neuen Ideen. Bereits 1804 mit "Milton" und 1805 mit "Der Blumentopf" erhielt Spontini großes Ansehen. So groß, dass Napoleon ihm 1805 verschiedene Ämter zuwies, da er die italienische Musik sehr schätzte.
Wie bereits erwähnt, kam es im Jahre 1807 zur Aufführung seiner nächsten Oper "La Vestale", die der erste Erfolg für das Genre der Grand Opéra war. Spontini gelang es in dieser Oper, das Streben der Ära Napoleons nach Größe und Macht in Glucksche Bahnen zu lenken. Die Handlung ähnelt der Gluckschen Oper "L'innocenza giustificata" (1755).
Spontini hatte hier die Möglichkeit, Gegensätze deutlich hervorzuheben wie die Darstellung des römischen Imperiums durch prächtige Massenszenen, wie aber auch die Leidenschaftsausbrüche der Protagonisten. In seine Musik fließen neben seinen italienischen auch französische Akzente mit ein. Die Arie der obersten Vestalin aus dem 1. Akt erinnert eher an die Glucksche "opera seria"[6]:
Das 1.Finale, der Einzug des siegreichen Feldherren, stellt eher den napoleonischen Stil in den Vordergrund:
Durch die Aktualität des Stoffes, der wirkungsvollen Dramaturgie und der strebsamen Musik wurden starke Effekte hervorgerufen, die die Ideale von Freiheit und Gerechtigkeit entsprachen.
Ähnliches lässt sich auch in Spontinis zweiten großen Oper wiederfinden. "Fernand Cortez ou la Conquète du Mexique" (1809). Diese Oper sollte die Bedeutung Spaniens, die sich zur Zeit zur Wehr setzten, symbolisieren. Im März 1808, also ein Jahr vor der Uraufführung dieser Oper, eroberte Napoleon I. Spanien und stürzte den damaligen König Karl IV. Er machte schließlich seinen Bruder Joseph zum König von Spanien. Bereits einen Monat später brach in Madrid die Revolution aus, die sich zum spanischen Unabhängigkeitskrieg ausweitete. Der Kampf gegen die französische Abhängigkeit begann.
Die Handlung war der Wunsch des Kaisers. Durch die Häufung von Massenszenen wurde die Oper prächtiger und prunkvoller, die Sologesänge kamen eher in den Hintergrund, um so den Gegensatz zwischen den Völkern in den Mittelpunkt des Werkes zu stellen.
Schließlich folgte nach langjähriger Pause seine Oper "Les Bayaderes" (1817) und Cherubinis "Les Abencérages ou L'etendard de Grenade", welche jedoch keine nennenswerten Änderungen brachten.
Aus der bereits erwähnten "tragedie lyrique" entstand zu dieser Zeit die Operngattung der "Grand Opera". Im folgenden möchte ich nun auf diesen Formtypus eingehen. Ich beginne mit der Begriffserklärung und gehe dann auf die Entwicklungen der "Grand Opera" ein.
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