Am 28. Januar 1936 erschien in der Prawda (die zwei Jahre zuvor noch die lobende Kritik Poljanowskis veröffentlicht hatte) den Artikel "Sumbur wmesto musyki"[70]. Dabei wurde die Musik pauschal verurteilt und die "Lady Macbeth" als volksfeindliches und formalistisches Werk diffamiert. Im Folgenden werden die Hauptaspekte dieses redaktionellen Artikels der Prawda wiedergegeben.
Das Bedürfnis nach "guter Musik" hat mit dem kulturellen Wachstum in der Sowjetunion zugenommen. Die sowjetische Bevölkerung erwartet schöne Lieder, aber zugleich auch gute Instrumentalwerke und Opern. Die Oper "Lady Macbeth aus Mzensk" wird dem sowjetischen Publikum als etwas Neues, als eine große Errungenschaft, dargestellt. Schostakowitsch wird von allen Seiten gelobt, trotz
alledem fehlt eine ernsthafte, sachliche Kritik. Die Oper verblüfft den Zuhörer durch disharmonische, chaotische Tonfolgen, Bruchstücken von Melodien, Geprassel und Geräuschen. Der Musik ist schwer zu folgen, das Einprägen unmöglich. Dieses gilt für die gesamte Oper. Der Gesang wird durch Geschrei ersetzt. Statt musikalischer Ausdruckskraft erwartet dem Hörer ein wahnwitziger Rhythmus. Durch musikalischen Lärm soll Leidenschaft zum Ausdruck kommen. "Chaos statt Musik". Der Grund für diese Musikalität liegt nicht in der mangelnden Begabung des Komponisten. Die absichtlich verdrehte Musik ist so beschaffen, dass in ihr nichts mehr an die klassische Opernmusik erinnert. Eine Musik, nach dem Prinzip der Verneinung der Oper, eine Verneinung der Verständlichkeit des Abbildes, des natürlichen Klangs des Wortes. Es entsteht eine linksradikale Zügellosigkeit anstelle einer natürlichen menschlichen Musik. Die Fähigkeit von guter Musik liegt darin, die Massen mitzureißen. Dieses opfert man in "Lady Macbeth aus Mzensk" kleinbürgerlichen, formalistischen Anstrengungen und Verkrampfungen um Originalität vorzutäuschen. Die Gefahr einer solchen Richtung in der Sowjetunion liegt klar auf der Hand. Das kleinbürgerliche Neuertum führt zur Loslösung von der wahren Kunst, der wahren Wissenschaft.
Im Bezug zur Oper lehnt sich diese mit ihrer nervösen und verkrampften Musik stark an den Jazz an, um dem Helden Leidenschaft zu verleihen. Die Kaufleute und das Volk werden als stumpf und grausam bezeichnet, wobei die Kaufmannsfrau als Opfer der bürgerlichen Gesellschaft angesehen wird. Leskows Alltagserzählung wird ein Sinn unterlegt, den sie eigentlich gar nicht hat. Dem Komponisten wird vorgeworfen, sich nicht die Aufgabe gestellt zu haben, den musikalischen Erwartungen sowjetischer Opernbesucher zu entsprechen. Die Musik sei nur für Ästheten und Formalisten genießbar. Schostakowitsch ignoriert die Forderung der sowjetischen Kultur, Grobheit und Primitivität aus allen Bereichen des sowjetischen Alltags zu verbannen.
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