Vincent wurde am 30. März 1853 im niederländischen Dorf Groot-Zundert geboren. Sein jüngerer Bruder Theo, zu der er später eine innige Freundschaft hatte, kam vier Jahre später auf die Welt. Zuerst machte er eine Lehre in der Kunsthandlung seines Onkels in Den Haag, wo er Bilder verkaufte.
Selbstbildnis, 1887
Mit zwanzig verliebte er sich nach seiner Versetzung in eine Londoner Filiale in die Tochter seiner Vermieterin und wurde erstmals von einem Menschen bitter enttäuscht. Zwei Jahre später wurde er nach Paris versetzt und lernte in den dortigen Museen den Maler Jean-Baptiste-Camille Corot (1796-1875) und die niederländischen Maler des 17. Jahrhunderts kennen.
Wenig später kündigte er seine Anstellung und versuchte sich als Hilfslehrer und Prediger. In der Folgezeit lebte er sehr einsam und fromm. Er meinte, eine Berufung zum Prediger zu verspüren, wurde aber von den gängigen Predigerschulen nicht angenommen.
Im Jahre 1878 reiste er nach Borinage und besuchte die Bergarbeiter in den Kohlegruben. Er war über deren Arbeitsbedingungen schockiert und fertigte Zeichnungen aus dem Milieu der Arbeiter an. Zwei Jahre später studierte er an der Brüssler Kunstakademie und befasste sich mit den Bildern von Jean-Francois Millet (1814-1875) und Honoré Daumier (1808-1879). Das Hauptmotiv bei Millet war die Darstellung des bäuerlichen Lebens. Daumier war Zeichner und Karikaturist und galt als scharfer Kritiker der damaligen Gesellschaft. Im Sommer 1881 verliebte sich Vincent erneut, diesmal in seine Cousine, die er heiraten wollte, welche ihm aber eine Abfuhr erteilte.
Ein Jahr später zog er nach Den Haag und unterhielt eine Beziehung mit einer Prostituierten. Auf Anraten seines Bruders Theo, mit dem er einen intensiven Briefwechsel hatte, trennte er sich von dieser Frau, mit der er ein Jahr zusammengelebt hatte.
In der Folgezeit wohnte Vincent in Antwerpen und Paris und gelangte auf diese Weise zu vielerlei Kontakten und Museumsbesuchen. Mit Hilfe der finanziellen Unterstützung seines Bruders konnte er sich am Montmartre in einer lockeren Künstlergemeinschaft ein kleines Atelier leisten. Dort machte er die Bekanntschaft mit Paul Signac. Die Auslegung der Neo-Impressionisten, mit der sie die naturwissenschaftlichen Farbtheorien in ihren Gemälden verarbeiteten, ging Vincent jedoch zu weit. Trotzdem zeigte er sich sehr interessiert an der Methode Signacs, die Farben in Tupfen zu zerlegen. Auf der Weltausstellung in Paris 1867 hatten die fernöstlichen Motive im Pavillon Japans Aufsehen erregt, was Vincent ebenfalls beeinflusste.
Am 20. Februar 1888 bestieg Vincent den Zug nach Arles, da ihn die leuchtenden Farben des Südens anzogen. In Arles bezog er ein kleines Zimmer in einem Restaurant. Hier brachte Vincent seinen Stil - beeinflusst durch die umgebende Landschaft - zur Vollendung.
Die \"Brücke von Langlois bei Arles\" malte er mehrfach. Die Bilder weisen Merkmale des Impressionismus auf, gehen aber auch darüber hinaus. Die als Schatten erkennbare Frau mit Schirm auf der Brücke, die lockere Pinselführung auf der Wasseroberfläche, das Unterdrücken von Licht und Schatten oder die helle mit Blau und viel Weiß unterstützte Farbgebung erinnern an den Impressionismus. Die Verwendung der Farben sind aber nicht mehr nur Ausdruck einer \"Impression\", sondern sie zwingen den Blick des Betrachters durch ihre expressive Ausstrahlung auf die konkreten Gegenstände. Die Komposition ist übersichtlich und die einzelnen Motive sind klar voneinander getrennt.
Die Brücke von Langlois bei Arles, 1888
Im April des Jahres 1888 mietete er den Flügel eines Hauses in Arles, um dort ein Künstlergemeinschaft mit dem von ihm verehrten Paul Gauguin (1848- 1903), den er in Paris kennengelernt hatte, zu gründen. Für das Gästezimmer von Gauguin malte er eine Reihe von Bildern mit Sonnenblumenmotiven, die alle mit seiner Lieblingsfarbe Gelb Fröhlichkeit und Offenheit ausdrücken sollten. Das Bild \"Sonnenblumen\" ist vorwiegend mit leuchtenden, chromgelben Farben gemalt, die oft mit langen, dicken Pinselstrichen aufgetragen sind. Das Motiv ist ähnlich wie die Stillleben von Paul Cèzanne gut komponiert. Der Künstler versucht nicht vorrangig, ein Abbild von der Natur, bzw. von den Blumen zu schaffen, sondern die Sonnenblumen sollen einen frohen Gemütszustand beim Betrachter erzeugen. Das Gelb der Blumen symbolisiert Heiterkeit, aber auch Freundschaft und Liebe.
Sonnenblumen, 1888
Insofern kann van Gogh als wichtiger Wegbereiter des späteren Expressionismus gesehen werden, bei dem nicht nur die äußere Gestalt einer Erscheinung eine Rolle spielt, sondern vor allem der innere \"Seelenzustand\" eines Motives. Um was es ihm dabei genau ging, verdeutlicht das folgende Zitat:
\"Ich möchte Männer und Frauen mit dem gewissen Ewigen malen, wofür früher der Heiligenschein das Symbol war und das wir durch das Leuchten, durch das bebende Schwingen unserer Farben auszudrücken versuchen... Die Liebe eines Paares ausdrücken durch die Vermählung von zwei Komplementärfarben, durch ihre Mischung und ihre Kontraste, durch das geheimnisvolle Vibrieren einander angenäherten Töne. Das Geistige einer Stirn auszudrücken durch das Leuchten eines hellen Tones auf einem dunklen Untergrund. Die Hoffnung durch einen Stern ausdrücken. Die Leidenschaft eines Menschen durch einen leuchtenden Sonnenuntergang.\" (Zitat von Vincent, in: Walther 1986, S. 58)
Zwischen van Gogh und Gauguin kam es in der Folgezeit zu Spannungen. Es zeichnete sich ab, dass Gauguin wieder abreisen wollte. In panischer Angst vor dem erneuten Alleinsein, verlor Vincent eines abends die Nerven und schnitt sich in einem Anfall geistiger Umnachtung das rechte Ohr ab. Während sich Vincent im Krankenhaus aufhielt, reiste Gauguin heimlich ab. Vom Scheitern dieser Künstlergemeinschaft war Vincent resigniert, und erste Anzeichen von Wahnvorstellungen befielen ihn. Wiederum verbrachte er einige Wochen im Krankenhaus. Vincent begann sich allmählich - teils freiwillig, teils unfreiwillig - von der Gesellschaft zurückzuziehen und widmete sich immer mehr der Malerei.
Nachtcafé, Ölfarben, 1888
Das Bild \"Nachtcafé\" dürfte seinem damaligen Seelenzustand entsprechen. Es zeigt einen Raum, in dessen Zentrum ein Billardtisch steht. Die dargestellten Personen, der Billardspieler, zwei Betrunkene und ein Liebespaar wirken trotz der leuchtenden Farben nicht fröhlich, sondern eher depressiv.
\"Ich habe versucht, mit Rot und Grün die schrecklichen menschlichen Eigenschaften auszudrücken. Der Raum ist blutrot und mattgelb, ein grünes Billard in der Mitte, vier zitronengelbe Lampen mit orange- farbenen und grünen Strahlenkreisen (...) Ich habe versucht, den Gedanken auszudrücken, dass das Café ein Ort ist, an dem man sich ruinieren, verrückt werden oder ein Verbrechen begehen kann.\" (Zitate von Vincent, in: Cole 1994, S. 46 und Walther 1986, S. 44)
Im Alter von 36 Jahren ging Vincent freiwillig in die Heilanstalt für Geisteskranke bei Saint-Rémy-de-Provence. Dort entstand eine Vielzahl an ausdrucksstarken Bildern. Zwischendurch erlitt er immer wieder Anfälle, bei denen er einmal sogar Farben verschluckte. Nachdem er von dem schlechten Zustand seines geliebten Bruders Theo erfuhr, reiste er zu ihm nach Paris und ließ sich bei Auvers-sur-Oise nieder. Diesen Ort hatte Theo für ihn ausgesucht, weil dort Dr. Gachet wohnte, der ein großer Bewunderer von Vincents Bilder war und der sich um seinen Gesundheitszustand kümmern konnte.
In Auvers entstand im Juli 1890 vielleicht Vincents ausdrucksstärkstes Bild, das \"Getreidefeld mit Raben\". Vincent wollte nach eigenen Angaben \"Traurigkeit und äußerste Einsamkeit\" ausdrücken.
Getreidefeld mit Raben (Ausschnitt),1890
Das einen Meter breite Ölgemälde beginnt an seiner vordersten Front mit drei Feldwegen, die in verschiedene Richtungen laufen und sich am Ende irgendwo verlieren. Die gewohnte Perspektive ist umgedreht, die Fluchtlinien der Wege laufen vom Horizont her zum Vordergrund.
Die Farbe des gelben Getreidefeldes und die bedrohlich wirkende, blaue Komplementärfarben des Himmels sind so vorherrschend, dass der Betrachter die Bedrohung unmittelbar verspürt. Der über das Bild fliegende Krähenschwarm verstärkt diese Gefühle noch zusätzlich und kann wohl auch als Vorahnung auf den bevorstehenden Tod interpretiert werden. Die Farbkombination Blau-Gelb trat auch bei anderen Landschaftsbildern van Goghs auf. Sie versinnbildlichte für ihn die Kraft und die Totalität des Lebens.
Am 27. Juli des Jahres 1890 machte Vincent einen Spaziergang und schoss sich mit einem Revolver eine Kugel in die Brust. Drei Tage später erlag er seinen Verletzungen. Sein Bruder Theo starb ein halbes Jahr später, nachdem sich dessen Zustand nach dem Selbstmord von Vincent ebenfalls verschlechtert hatte.
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