Schiele kam 1912 für kurze Zeit ins Gefängnis und wurde vor Gericht gestellt, da man ihm Unzucht mit einer Minderjährigen und Kindesentführung zur Last legte. Die Tage hinter Gitter waren für ihn ein schockierendes Erlebnis, und die Affäre erwies sich als nicht ungefährlich. Im Falle einer Verurteilung drohten ihm jahrelange Haft.
Bekannte hatten ihn immer wieder gewarnt, beim Umgang mit seinen Kindermodellen vorsichtig zu sein und nichts ohne die Einwilligung deren Eltern zu tun. Schiele hatte stets die Gefahr heruntergespielt.
Die angebliche Kindesentführung klärte sich jedoch rasch auf, da es sich um ein Mädchen aus Wien handelte, das dem Maler auf eigene Faust nach Neulengbach nachgereist war. Weil aber Kinder in seinem Atelier Aktstudien zu Gesicht bekamen, wird Schiele zu drei Tagen Arrest wegen ungenügender Verwahrung erotischer Akte verurteilt. Durch die Untersuchungshaft hat er insgesamt 24 Tage im Gefängnis verbracht. Eines seiner Bilder wird öffentlich verbrannt.
Die Affäre von Neulengbach wurde nach dem Tod des Künstlers viel beschrieben und erhielt eine unangemessene Bedeutung. Dabei weiß man, dass Schieles Haftbedingungen keineswegs so schlecht gewesen sind. Schon der Umstand, dass er im Gefängnis weiter malen durfte, spricht für eine anständige Behandlung.
Bereits Schiele benutzte das Erlebnis dazu, sich zu einem "Opfer" der verständnislosen und feindlichen Gesellschaft zu stilisieren. Nach seinen Erfahrungen in Krumau fühlte er sich zusätzlich bestätigt. Schiele verglich sein Schicksal mit dem Vincent van Goghs, der als das klassische Beispiel eines verkannten Genies betrachtet wurde. Er identifizierte sich mit dem Niederländer und setzte sich intensiv mit dessen Werk auseinander.
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