Leben und Werk
Der eigenwillige Churchill wechselte zweimal zwischen Konservativen und Liberalen die politischen Lager und bekleidete mehrere Ministerämter. Als Ministerpräsident (ab 1940) war er maßgeblich für den alliierten Sieg über Nazideutschland verantwortlich. In seiner letzten Amtszeit als Premier (1951 - 1955) bemühte er sich vergeblich um eine Annäherung zwischen Ost und West.
Jugend und erste Jahre als Politiker
Als \"unerfreulichste Zeit seines Lebens\" sollte Churchill in späteren Jahren seine Kindheit rückblickend bezeichnen. Wesentliche Gründe waren die Vernachlässigung durch seinen Vater Lord Randolph Churchill, den Chef der konservativen Partei, und die verhasste Schule. Der Junge kam weder in Ascot und Brighton noch in Harrow mit dem scharfen Drill zurecht und verließ die renommierten Lehranstalten ohne weiterführenden Abschluss, was zu weiteren Problemen im Elternhaus führte. Ohne große Alternativen schlug Churchill die Laufbahn als Berufsoffizier ein und hatte damit die richtige Wahl getroffen. Im selben Jahr, als Churchill 1895 zum Leutnant befördert wurde, starb sein Vater.
In der Folgezeit meldete sich Churchill als Freiwilliger für mehrere Feldzüge und Expeditionen, u. a. nach Kuba und in den Sudan. Er versuchte sich mit einigem Erfolg als Kriegsberichterstatter und tat sich überdies als Kritiker der bestehenden Verhältnisse in der britischen Armee hervor. Diese unverblümten Kommentare weckten das Interesse einiger konservativer Abgeordneter, die den jungen Mann überredeten, für das Unterhaus zu kandidieren. Die Wahl endete jedoch mit einem Dämpfer für Churchill; er fiel in seinem Wahlkreis Oldham durch.
Kriegsheld und Minister
Als 1899 der Burenkrieg ausbrach, war Churchill als Kriegsberichterstatter vor Ort. Die britische Öffentlichkeit nahm Berichte über die Probleme des eigenen Militärs in Südafrika zunehmend unwillig zur Kenntnis. Ein eigener Kriegsheld war weit und breit nicht in Sicht, als Korrespondent Churchill verwundete Soldaten rettete, in Gefangenschaft geriet und unter Einsatz seines Lebens flüchten konnte. Die britische Presse feierte den unerschrockenen Abenteurer gebührend, und Churchill war über Nacht im ganzen Empire bekannt. Diese Popularität zahlte sich auch für seine politische Karriere aus, denn im nächsten Anlauf entschied Churchill seinen Wahlkreis im Jahr 1900 für sich.
Ehrgeizig bastelte Churchill an seiner politischen Karriere, doch kam er bei den Konservativen zunächst nicht über die Rolle des Hinterbänklers hinaus. 1904 sorgte er für einen in der britischen Geschichte bis dahin einmaligen Tabubruch, als er sich den regierenden Liberalen anschloss. In seiner alten Partei galt er fortan als geächtet, zumal sich der erhoffte Aufstieg Churchills bald abzeichnete: 1906 übernahm der 31-Jährige das Amt des Staatssekretärs für Kolonialfragen, zwei Jahre später wurde er als Wirtschafts- und Handelsminister vereidigt. Besonders hervor tat sich Churchill, der 1908 seine Freundin Clementine Hozier geheiratet hatte, ab 1910 als britischer Innenminister.Durch radikalliberale Reformen wollte der ambitionierte Nachwuchspolitiker für eine gerechtere Gesellschaft sorgen, indem er sich beispielsweise nachdrücklich für Armenprogramme einsetzte und eine umfangreiche Verfassungsreform in die Wege leitete. Sein soziales Gewissen währte jedoch nicht lange: Ab 1911 begann Churchill als Marineminister die umfassendste Flottenaufrüstung der britischen Geschichte. Der vorausschauende Kriegsstratege fürchtete eine drohende Übermacht des Deutschen Reiches und konnte seine Kabinettskollegen von der Notwendigkeit des Rüstungsprogramms überzeugen.
Rückkehr zu den Konservativen
Zwar hatte Churchill immer wieder auf die Gefahr eines drohenden Weltkriegs hingewiesen, die erste große Offensive unter seiner Verantwortung schlug 1915 auf dem Balkan jedoch fehl. Die Regierung trat zurück; die Liberalen mussten fortan mit den erstarkenden Konservativen koalieren, die unverzüglich Churchills Demission durchsetzten.Der Exminister zog in den Krieg, kehrte 1916 ins britische Unterhaus und ein Jahr später trotz aller Anfeindungen aus dem konservativen Lager als Rüstungsminister ins Kabinett zurück. Nach dem gewonnenen Ersten Weltkrieg stieg Churchill 1919 zum Kriegs- und Luftfahrtminister auf. In dieser Funktion sorgte er für Gesprächs- und Zündstoff, als er die Gefahr des Kommunismus beschwor und für einen Einsatz gegen die bolschewistischen Verbände im russischen Bürgerkrieg eintrat. Nach seiner Zeit als Kolonialminister (1921/22) schrieb Churchill ein voluminöses Werk über seine Kriegserinnerungen (\"Die Weltkrisis\"), das ab 1923 erschien.Da Churchill bei den 1922 abgewählten Liberalen keine politische Zukunft mehr sah, versetzte er das Establishment 1924 in große Aufruhr: Er schloss sich erneut den Konservativen an und übernahm unter Premier Stanley Baldwin das Amt des Schatzkanzlers. Der machthungrige Politiker saß nun zwischen allen Stühlen. Die traditionsbewussten Torys hatten ihm den frühen Wechsel zu den Liberalen nie verziehen, die ihrerseits über die Rückkehr zum politischen Gegner empört waren. Darüber hinaus war Churchill nicht gerade ein Meister der Diplomatie. Wenn er meinte, die Lösung für ein Problem gefunden zu haben, hielt er unbeirrbar an ihr fest und schlug zumeist jedes Kompromissangebot aus. Auch mit seinen politischen Ansichten war Churchill Mitte der 20er-Jahre in seiner Partei umstritten. Der glühende Antikommunist wehrte sich beispielsweise gegen alle Versuche, die Sowjetunion hoffähig zu machen, und forderte weiterhin ein militärisches Eingreifen gegen die \"rote Gefahr\".
Einsamer Mahner
Nach der Wahlniederlage der Konservativen musste auch Churchill 1929 seinen Hut nehmen. In den folgenden Jahren stand der einstige Minister im politischen Abseits. Immer wieder warnte er seine ab 1935 erneut regierenden konservativen Parteikollegen eindringlich und vergeblich vor einer allzu nachgiebigen Politik gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschen Reich und setzte sich damit an die Spitze der Gegner der britischen Appeasementpolitik unter den Premiers Baldwin und Arthur Neville Chamberlain. Auch als Churchill wiederholt auf einen drohenden Zweiten Weltkrieg hinwies, Adolf Hitler als Kriegstreiber enttarnte und eine verstärkte Rüstungspolitik des eigenen Landes forderte, fand die Meinung des Unterhausabgeordneten nur wenig Gehör unter den Torys. Seine politische Karriere schien endgültig beendet; Churchill widmete sich in seinem Landhaus in Kent seinen vier Kindern und seinen Hobbys: Er malte großformatige Ölbilder und verfasste zahlreiche Bücher.
Britischer Premier
Als die britischen Appeasementpolitiker 1939 beim Ausbruch des Krieges ihr Scheitern eingestehen mussten, erinnerten sich Partei und Öffentlichkeit des alten Kriegsexperten und Visionärs Churchill. Der 64-Jährige übernahm einen Tag nach der britischen Kriegserklärung an Deutschland (3. September 1939) erneut das Amt des Marineministers, doch erwies sich die erste Großoffensive als Fehlschlag: Nach der gescheiterten Offensive vor Norwegen Anfang Mai 1940 trat Premier Chamberlain zurück. Churchill wurde sein Nachfolger, übernahm bald darauf auch den Posten des Verteidigungsministers sowie des Parteichefs der Konservativen und besaß als Chef einer Allparteienkoalition eine breite Basis, um seine Ansichten durchzusetzen. Das britische Volk schwor er mit seiner \"Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede\" am 13. Mai 1940 auf die folgende entbehrungsreiche Zeit ein und appellierte erfolgreich an ein Gemeinschaftsgefühl, das der militärischen Übermacht der deutschen Aggressoren trotzen sollte.Churchill stellte die gesamte wirtschaftliche Produktion in Großbritannien auf die Kriegserfordernisse um. Seine Unbeirrbarkeit machte den Menschen Mut und zahlte sich aus: Der deutsche Feind schaffte es nicht, die britische Insel durch Luftangriffe in die Knie zu zwingen. Weitere Erfolge stellten sich in Nordafrika ein, wo der deutsche Vormarsch gestoppt werden konnte. Als am 6. Juni 1944 die alliierte Landung in Nordwestfrankreich gelang, war die deutsche Kapitulation angesichts der vorrückenden alliierten Soldaten von Westen und der Roten Armee von Osten nurmehr eine Frage der Zeit. Churchill, der 1941 mit dem amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt in der Atlantikcharta die Grundzüge für eine gerechte Nachkriegspolitik skizziert hatte, war der gefeierte Kriegsheld, das britische Volk dankte es ihm jedoch nicht mit einer weiteren Amtszeit: Noch während der Konferenz von Potsdam musste Churchill zurücktreten, da die Konservativen die Wahlen gegen die Labour Party verloren hatten.
Zweite Amtszeit
An der großen Achtung der Briten für Churchill änderte sich durch die Wahlniederlage jedoch nichts. Wo immer sich der Chef der Konservativen in den nächsten Jahren der Öffentlichkeit präsentierte, wurde er überschwänglich gefeiert. In seinen Reden warnte Churchill erneut vor dem Kommunismus und forderte Ende der 40er-Jahre den Aufbau einer westeuropäischen Armee gegen die Gefahr aus dem Osten.
1951 ermöglichten ihm die britischen Wähler eine zweite Amtsperiode als Premierminister, die Churchill als Architekt einer neuen Ordnung in Europa zu nutzen suchte. Nach dem Tod des sowjetischen Diktators Josef Stalin setzte er sich als erster Politiker für ein Ende des Kalten Kriegs ein und entwarf einen Friedensplan für Europa. Die Umsetzung des ehrgeizigen Ziels sollte dem Briten jedoch nicht gelingen: Churchill erlitt 1953 einen Schlaganfall; im selben Jahr hatte er für seine historischen Werke, u. a. über den Zweiten Weltkrieg, den Nobelpreis für Literatur erhalten. Von seiner Krankheit gezeichnet, trat der 80-Jährige am 5. April 1955 vom Amt des britischen Premierministers zurück und widmete sich in den folgenden Jahren seinen schriftstellerischen Ambitionen. 1964 schied Churchill aus dem Parlament aus, wenige Wochen nach seinem 90. Geburtstag starb er am 24.1.1965 in London.
Würdigung
Der unbeugsame britische Staatsmann avancierte durch den Sieg seines Landes im Zweiten Weltkrieg über das nationalsozialistische Deutsche Reich zum Kriegshelden. Als Schriftsteller zumeist voluminöser historischer Werke wurde er 1953 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.
1948-1954: \"Der Zweite Weltkrieg\" (\"The Second World War\")
Churchills ambitioniertestes und bedeutendstes Werk zeichnet in sechs Bänden die Geschichte des Zweiten Weltkriegs nach. Das historische Meisterwerk ist ein wesentlicher Grund für das Nobelpreiskomitee, den Politiker 1953 mit dem höchsten Literaturpreis auszuzeichnen.
Sir (1953) Winston Spencer, englischer Politiker und Schriftsteller, * 30. 11. 1874 Blenheim Palace, † 24. 1. 1965 London; 1899/1900 Offizier und Kriegsberichterstatter im Burenkrieg, begann seine politische Laufbahn 1900 als konservativer Abgeordneter, wechselte 1904 zu den Liberalen über; mit 31 Jahren Unterstaatssekretär, mit 33 Jahren Handelsminister, kurz darauf (1910) Innenminister. Churchill stand als erster Lord der Admiralität bei Ausbruch des 1. Weltkriegs auf entscheidendem Posten, musste aber 1915 nach dem Scheitern des Gallipoli-Unternehmens zurücktreten; 1917 Munitions- und Wirtschaftsminister. Als Kriegsminister (1919-1921) drängte er auf Unterstützung der weißrussischen Streitkräfte, trat 1922 (als Kolonialminister) angesichts der Kritik an seiner Nahostpolitik zurück, verlor seinen Sitz im Unterhaus und schrieb seine Kriegserinnerungen (\"Die Weltkrisis\" 1924 ff.). 1924 ins Unterhaus gewählt, schloss er sich wieder den Konservativen an; 1924-1929 Schatzkanzler, schied nach dem Sieg der Labour Party aus und blieb 10 Jahre lang Unterhausmitglied ohne Staatsamt. Churchill warnte schon seit 1932 vor einem Deutschland unter Hitler und geriet damit in Opposition zur Beschwichtigungspolitik N. Chamberlains. Bei Kriegsbeginn 1939 wurde Churchill wieder Erster Lord der Admiralität, 1940-1945 Premierminister; in ihm erwuchs dem Krieg führenden Deutschland ein kompromissloser Gegner. Er koordinierte schon Ende 1941 die britischen Kriegsanstrengungen mit den USA; trat 1942 dem Bündnis Roosevelts mit Stalin bei; das Vordringen Russlands in Europa vermochte er allerdings nicht zu verhindern. Als seine Partei die Unterhauswahl 1945 verlor, musste Churchill während der Potsdamer Konferenz zurücktreten. Als Oppositionsführer inspirierte er die Gründungen der NATO und des Europarats. 1951-1955 erneut Premierminister. 1953 Nobelpreis für Literatur; 1956 Karlspreis. Werke: \"Der Zweite Weltkrieg\" 6 Bände 1949-1954; \"History of the Englishspeaking Peoples\" 4 Bände 1956-1958.
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