Daß Generalstabschef Schlieffen einen Angriffskrieg gegen Frankreich empfahl Im Herbst 1904 empfahl Generalstabschef Generalfeldmarschall Alfred von Schlieffen seinem obersten Kriegsherrn einen Angriffskrieg gegen Frankreich. Dieser aber wollte, bevor es gegen die äußeren Feinde des "Zweiten Reichs" gehen sollte, erst den "inneren Feind" unschädlich machen: Wilhelm II. schickte Ende 1905 seinem damaligen Kanzler Bülow einen "Sylvesterbrief", worin es heißt:
Daß vor dem Krieg erst die Sozis unschädlich zu machen seien, "wenn nötig per Blutbad" "Die Hauptsache aber wäre, daß wir wegen unserer Sozialisten keinen Mann (vom Militär) aus dem Lande nehmen könnten ohne äußerste Gefahr für Leben und Besitz der Bürger. Erst die Sozialisten abschießen, köpfen und unschädlich machen - wenn nötig per Blutbad - und dann Krieg nach außen. Aber nicht vorher und nicht à tempo."
Ökonomische und machtpolitisch-strategische Antriebe führten die Regierungen der europäischen Großmächte, Japans und der USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu expansiver - imperialistischer - Politik. Diese zielte auf die Vergrößerung älteren Kolonialbesitzes oder den Neugewinn von Kolonien ab. Sie äußerte sich aber auch in der Schaffung von Einflußsphären in wirtschaftlich abhängigen Gebieten wie Südamerika oder in schwach gewordenen Großreichen wie China und dem Osmanischen Reich.
Wie um die Jahrhundertwende allgemein angenommen wurde, daß künftige Krieg zur See entschieden würden Die "partition of Africa", die Aufteilung der Inselgebiete im Pazifik sowie Chinas und eine Reihe von Kriegen
- der japanisch-chinesische 1894/95, der amerikanisch-spanische 1898 (mit dem Erwerb von Kuba [bis 1934 de facto Protektorat d. USA], Puerto Rico [seit 1952 "assoziierter Freistaat"] und der Philippinen [bis 1946], später der Panamakanalzone [1903 - 1974] durch die USA), der Burenkrieg 1904-1905 -
führten zu einem Aufschwung des "Navalismus": Unter dem Eindruck dieser Entwicklungen begannen ältere Seemächte ihre Flotten zu vergrößern und neu aufsteigende Staaten wie Japan, die USA und das Deutsche Reich neue Flotten aufzubauen.
Wie die deutsche Führung sich auf ein Wettrüsten zur See mit England einließ und dieses damit in "Ententen" mit Frankreich und Rußland drängte ... Während nun aber die ersten beiden für Großbritannien zwar eine unwillkommene Konkurrenz, jedoch durch einen englisch-amerikanischen Ausgleich (seit etwa 1900) und durch ein englisch-japanisches Bündnis (1902) keine Gefahr bedeuteten, stellte der deutsche Flottenbau wegen der geographischen Nähe Deutschlands eine unmittelbare Bedrohung dar. Zu nennen sind hier das erste Flottengesetz 1898, das zweite Flottengesetz 1900 und die Flotten-Novellen 1906, 1908 und 1912. England antwortete seit 1901 mit der Verstärkung seiner Flotte durch Neubauten, indem es Geschwader aus Ostasien, Westindien und dem Mittelmeer zurückholte und - besonders folgenreich - "Ententen" mit Frankreich 1904 und mit Rußland 1907 abschloß, d.h. den Ausgleich in kolonialen Fragen, wie Marokko und Ägypten bzw. Persien, Afghanistan und Tibet suchte.
Bismarck hatte 1879 mit dem Habsburgerreich den "Zweibund" geschlossen, der 1881 durch den Beitritt Italiens zum "Dreibund" erweitert worden war. Der Rückversicherungsvertrag, ein 1887 für drei Jahre abgeschlossener Geheimvertrag zwischen Deutschland und Rußland, verpflichtete beide zur Neutralität für den Fall, daß Deutschland von Frankreich oder Rußland von Österreich unprovoziert angegriffen würde.
... und sich zwischen zwei Fronten manövrierte Nach der Entlassung Bismarcks war der Rückversicherungsvertrag nicht verlängert worden. Frankreich und Rußland schlossen 1894 eine Militärallianz, sodaß deutscherseits im Konfliktfall mit einem Zweifrontenkrieg mit zwei Nachbargroßmächten zu rechnen hatte.
Dennoch ging Wilhelm II., seit 1897 beraten von dem neuen Staatssekretär der Marine, von Tirpitz, und dem Staatssekretär des Auswärtigen und späteren Reichskanzler, von Bülow, zum Flottenbau und zur "Weltpolitik" über.
Die deutsche Schlachtflotte war konzipiert als ein machtpolitischer, und wenn notwendig, als ein militärischer Hebel, der in der Lage sein würde, Großbritannien, die erste Seemacht jener Zeit, aus ihrer maritimen und kolonialen Vormachtstellung zu verdrängen.
Der Kaiser hielt an seiner antibritischen Politik und am Flottenbauprogramm fest und vernachlässigte die Armee, obwohl doch die Planung des Generalstabs, der sog. Schlieffenplan, eine numerische Überlegenheit der deutschen Armee für den ersten entscheidenden Schlag gegen Frankreich erforderte. Diese Politik der relativen Kleinhaltung der Armee war aber nicht allein durch die finanziellen Anforderungen des Flottenbaus veranlaßt, sondern es waren auch innenpolitische Gründe, wie der Einspruch des preußischen Kriegsministers, der von einer Vergrößerung der Armee einen relativen Rückgang des Adels im Offizierskorps befürchtete, ja eine Demokratisierung der Armee, so daß die Armee ihre Funktion als "Corps royal" zur Erhaltung des preußisch-deutschen Systems im Innern verlieren könnte. Diese langjährige Vernachlässigung der Armee führte dann, veranlaßt durch den ersten Balkankrieg, zu einer überstürzten außerordentlichen Vermehrung des Heeres 1913.
Wie die deutsche "Kanonenbootpolitik" in Marokko zweimal hart an den Rand eines großen Krieges führte Inzwischen war der französisch-deutsche Gegensatz durch die deutsche Marokkopolitik neu belebt worden. Deutschland machte 1905 den Versuch, die durch den russisch-japanischen Krieg und die Revolution bedingte Schwäche Rußlands auszunützen und drohte Frankreich durch eine Truppenlandung in Tanger. Der Kaiser folgte nur sehr widerwillig dem Rat Bülows zu dieser dramatischen Aktion, da dies vorzeitig zu einem Krieg mit Frankreich und England führen konnte, die im vorangegangenen Jahr ihre (mit der Aufteilung Nordafrikas verbundenen) Streitigkeiten beigelegt und ein "herzliches Einvernehmen" - "Entente Cordiale" hergestellt hatten. In der Krise von 1905 begannen die ersten militärischen Absprachen zwischen den beiden Partnern der Entente Cordiale. Die deutschen Bemühungen um Marokko wiederholten sich 1911 mit dem "Panthersprung" (Vorhut von Marineeinheiten: Kanonenboot "Panther") nach Agadir.
Beide Male ging das Deutsche Reich bis an den Rand des Krieges, mit dem einzigen Resultat, daß sich die englisch-französische Entente konsolidierte.
Wie allerlei Vereinigungen den Krieg propagandistisch vorbereiteten, auf daß ...
... das deutsche Volk "mit Sang und Klang zum Kriege wie zu einem Feste" gehe Die propagandistische Kriegsvorbereitung übernahm vor allem der "Alldeut¬sche Verband", zu dessen Mitbegründern Alfred Hugenberg zählte, der seit 1909 Generaldirektor der Fa. Krupp in Essen war. Daneben gab es Vereinigungen wie die "Deutsche Kolonialgesellschaft", den "Deutsche Flottenverein", der "Ostmarkenverein", den "Reichsverband gegen die Sozialdemokratie", den "Deutschen Wehrverein", den "Jungdeutschen Bund". Ihre Vorsitzenden waren meist Fürsten oder pensionierte Generale.
Gefördert vom "Alldeutschen Verband" und vom "Deutschen Wehrverein" erschien beispielsweise 1912 das Buch "Deutschland und der nächste Krieg" von Major Friedrich von Bernhardi, damals Abteilungschef des Generalstabs. Kapitelüberschriften: "Das Recht, Krieg zu führen", "Die Pflicht, Krieg zu führen", "Deutschlands historische Mission", "Weltmacht oder Untergang".
Aus der "Jungdeutschland-Post", einer vom "Alldeutschen Verband" geförderten Jugendzeitschrift im Frühjahr 1913: "Auch uns wird einmal die hohe, große Stunde eines Kampfes schlagen ... Ja, das wird eine frohe, eine große Stunde, die wir uns heimlich wünschen dürfen ... Still und tief im deutschen Herzen muß die Freude am Krieg und ein Sehnen nach ihm leben, weil wir der Feinde genug haben und der Sieg nur einem Volke wird, das mit Sang und Klang zum Kriege wie zu einem Feste geht."
Der "Alldeutsche Verband" verbreitete Postkarten mit Abbildungen von "Europas Zukunft". Darauf sah man ein deutsches Kaiserreich, das von der Normandie bis zum Finnischen Meerbusen reichte, samt seinen angegliederten Vassallenstaaten.
Im bürgerlichen Lager erhoben sich nur noch wenige Stimmen gegen den Militarismus, darunter die Max Webers:
"Das Maß von Verachtung, welches uns als Nation im Ausland - Italien, Amerika, überall! - nachgerade - mit Recht! Das ist das Entscheidende - entgegengebracht wird, weil wir uns dieses Regime dieses Mannes [Wilhelms II.] gefallen lassen, ist nachgerade ein Machtfaktor von ertstklassiger 'weltpolitischer' Bedeutung für uns geworden ... Wir werden 'isoliert', eil dieser Mann uns in dieser Weise regiert und wir es erdulden und beschönigen. Kein Mann und keine Partei, die in irgendeinem Sinn demokratische und zugleich nationalpolitische Ideale pflegt, darf die Verantwortung fürt dieses Regime, dessen Fortdauer unsere ganze Weltstellung mehr bedroht als alle Kolonialprobleme irgendwelcher Art, auf sich nehmen."
Daß Österreich die ehedem türkischen Provinzen Bosnien und Herzegowina erst "verwaltete" und dann annektierte Die Annexion der bis 1878 türkischen Provinzen Bosnien und Herzegowina, die seit dem Berliner Kongreß von 1878 und in dessen Auftrag von Wien "verwaltet" worden waren, durch Österreich-Ungarn im Jahre 1908, erbitterte Serbien, das nun einer bosnisch irredentistischen Bewegung als Basis diente. Da Rußland durch eine Kriegsdrohung Berlins zur Anerkennung der Annexion gebracht wurde, richtete sich die russische öffentliche Meinung auch gegen Deutschland. Rußland war, wie auch England und Frankreich, irritiert durch die deutsche Türkeipolitik, den Bau der Bagdadbahn und die Aufrüstung der türkischen Armee, da diese Politik ein vitales Interesse Rußlands an der freien Ausfuhr von Getreide durch die Dardanellen bedrohte.
Wie die österreichische Führung im Balkankrieg 1912 bereit war, Krieg mit Rußland in Kauf zu nehmen, ... Die unerwartete und rasche Niederlage der türkischen Armee im Ersten Balkankrieg im Oktober 1912, in dem die Türkei durch Serbien, Montenegro, Griechenland und Bulgarien aus ihren europäischen Besitzungen vertrieben wurde, löste die letzte große Kriegskrise vor dem Ersten Weltkrieg aus. Denn Österreich-Ungarn betrachtete eine Festsetzung Serbiens an der Adria (zwischen den österreichischen Kriegshäfen Pola und Cattaro, heute Pula und Kotor) als eine Verletzung seiner vitalen Interessen und wollte militärisch eingreifen, selbst auf die Gefahr eines Krieges mit Rußland hin. Der Krieg wurde durch das Zusammenspiel Englands und Deutschlands auf der Londoner Botschafterkonferenz vermieden, die im Dezember 1912 u.a. durch die Gründung des Staates Albanien zugunsten Wiens entschied.
... von deutscher Seiter aber zurückgepfiffen wurde, ... Während der Balkankriege (November/Dezember 1912 und im Februar und Juli 1913) hielt Berlin die Wiener Regierung nachdrücklich von einem militärischen Vorgehen gegen Serbien zurück, weil dies unvermeidlich die Intervention Rußlands nach sich gezogen und so den Weltkrieg verursacht haben würde. Der deutsche Kanzler Bethmann Hollweg beschwor deshalb im Februar 1913 den österreichisch-ungarischen Außenminister Berchtold dahin, sorgfältig die Konsequenzen eines österreichischen Krieges gegen Serbien und Montenegro zu überdenken. Eine "objektive Prüfung" der Situation müsse zu dem Ergebnis kommen, "daß es für Rußland bei seinen traditionellen Beziehungen zu den Balkanstaaten beinahe unmöglich ist, ohne einen ungeheuren Verlust an Prestige einem militärischen Vorgehen Österreich-Ungarns gegen Serbien tatenlos zuzusehen". Konnte Bethmann Hollweg dies im Juli 1914 vergessen haben?
... weil das militärische Versagen des türkischen Verbündeten erst eine Vergrößerung der deutschen Landarmee zu erfordern schien Der Schock über den (wenigstens zeitweisen) Ausfall der als Bundesgenossen betrachteten Türkei und über die Vergrößerung Serbiens, das im Falle eines großen Krieges österreichisch-ungarische Truppen binden würde, führte zu der massiven Heeresvermehrung von 1913, die wiederum französische und russische Heeresvermehrungen nach sich zog. Die letztere ließ eine zahlenmäßige Unterlegenheit der beiden kontinentalen Nachbarstaaten Deutschland und Österreich-Ungarn für die Zeit um 1916/17 erwarten.
Während der Diskussionen über das Ausmaß der deutschen Heeresvermehrungen wurde der Gegensatz der "Slawen und Germanen" das zentrale Propagandaschlagwort. Wilhelm II. und Moltke sprachen vom "Entscheidungs¬kampf" zwischen den "Slawen und den Teutonen". Demgegenüber bedeuteten die dynastischen Verbindungen mit deutschen Fürstenhäusern nicht mehr viel.
Daß sich die Sozialdemokratie 1913 mit Friedrich Ebert einen staatstreuen, biederen Vorsitzenden erwählt hatte Nur die Sozialdemokratie hätte als stärkste Partei zusammen mit den Gewerkschaften den Plänen des Militärs und des Großkapitals noch entgegentreten können.
Karl Liebknecht hatte 1907 "Militarismus und Antimilitarismus" veröffentlicht und dafür Festungshaft bekommen.
Nach dem Tod August Bebels (1913) wurde aber nicht Karl Liebknecht, sondern Parteisekretär Friedrich Ebert zum Vorsitzenden gewählt, das äußere Zeichen dafür, daß die Sozialdemokratie inzwischen auf einen staatstreuen Kurs eingeschwenkt war.
Seit September 1913, als die Vergrößerung der deutschen Armee wirksam zu werden begann, fand eine Wende im Denken der deutschen politischen und militärischen Führung statt.
Wie schon im November 1913 Wilhelm und sein Generalstabschef Moltke versuchten, einen freien Durchmarsch durch Belgien auszuhandeln Im November 1913 versuchten Kaiser Wilhelm und Moltke den König der Belgier, Albert, zu überreden, im Falle eines Krieges den deutschen Truppen freien Durchmarsch durch sein Land zu gestatten. Denn der "Krieg mit Frankreich ist unvermeidlich und nahe bevorstehend", sagte der Kaiser. Und Moltke wiederholte: "Der Krieg mit Frankreich ist unvermeidlich", und, mehr noch fügte er hinzu, "viel näher als Sie glauben".
Bethmann Hollweg verfolgte sein Ziel, eine Annäherung zwischen Berlin und London zustande bringen und eine Trennung Großbritanniens von der Triple-Entente zu erreichen, durch monatelange geduldige Verhandlungen mit der britischen Regierung über koloniale und Nahost-Fragen, in denen er auch Nachteile für Deutschland in Kauf nahm, wie die deutsche Wirtschaft kritisierte.
Die serbische Frage, die für Österreich-Ungarn die alles überragende war, war für Berlin nur von zweitrangiger Bedeutung und nur das Mittel, um Rußland in den Konflikt zwischen Wien und Belgrad hineinzuziehen und damit den großen Krieg mit Rußland und Frankreich auszulösen. Eben das aber hoffte Wien mit Hilfe Berlins zu vermeiden. Bethmann Hollweg war dabei sicher, die Neutralität Großbritanniens erreichen zu können, wenn er Rußland als den "Angreifer" und Deutschland als die "angegrif¬fene Partei" hinstellen würde.
Wie sich mit dem Attentat von Sarajewo der deutschen Regierung ein willkommener Kriegsanlaß bot, ... Nach Sarajewo war die Regierung in Wien in zwei Gruppen gespalten, die Militärs und die Zivilisten. Deshalb war sie zögernd und schwankend, was zu tun sei. Die Entscheidung zu handeln kam von deutscher Seite. Unmittelbar in der Woche nach Sarajewo begann deutscher Druck mit drohenden Untertönen in Wien dahingehend zu wirken, daß man den günstigen Moment für eine "Aktion" gegen Serbien nutzen solle.
... denn
. Frankreich und Rußland seien "noch nicht fertig",
. England werde neutral bleiben und ... Am 12. Juli schrieb Szögyény, Wiens langjähriger Botschafter in Berlin, daß das "absolute" Drängen des Kaisers und des Reichskanzlers auf den Krieg gegen Serbien sich auf zwei Überzeugungen gründe: erstens, daß Rußland und Frankreich "noch nicht fertig" seien, und daß Großbritannien "zu diesem Zeitpunkt nicht in einen Krieg intervenieren werde, der über einen Balkan-Staat ausbricht, selbst wenn dies zu einem Konflikt mit Rußland, möglicherweise auch mit Frankreich führen würde". und er faßte zusammen: "Im allgemeinen also erscheint es von all diesem, daß die politische Konstellation so vorteilhaft für uns ist, wie sie nur sein könnte", und deshalb würde dieser Moment von Deutschland jetzt benutzt werden.
Josef Baernreither, früherer Handelsminister in Österreich, machte im Dezember 1914 die folgende Eintragung über die Julikrise in sein Tagebuch:
. ... Österreich werde sicher mitmachen "In Deutschland bestand die Befürchtung, daß wir nicht mitgehen würden, wenn uns der Anlaß des Krieges ferner liegen würde, [...] Deshalb ergriff Deutschland nach dem Mord von Sarajewo die Gelegenheit beim Schopfe und benutzte den Anlaß, der sich auf der österreichischen Seite ergeben hatte. Das ist die Geschichte des Krieges."
Daß die Österreicher den Serben ein unannehmbares Ultimatum stellten Nach dem von vornherein als unannehmbar konzipierten Ultimatum an Serbien vom 23. Juli änderte sich die Atmosphäre in Europa, die bis dahin für Österreich günstig war, drastisch.
Admiral von Müller, der Chef des deutschen Kaiserlichen Marinekabinetts, notierte in seinem Tagebuch: "Unsere Politik muß es sein, ruhig zu bleiben, Rußland ins Unrecht setzen, und dann nicht sich vor dem Krieg scheuen."
Aus den Eintragungen für Juli und August 1914 im Tagebuch Kurt Riezlers, des persönlichen Sekretärs Bethmann Hollwegs, geht hervor, daß der Kanzler in diesen kritischen Tagen "kriegswillig" und "kriegslustig" gewesen sei und den Krieg mit Rußland "herbeigesehnt" habe.
Wie der deutsche Kaiser nach der serbischen Antwort auf das Ultimatum umfiel, aber schnell wieder auf Kriegslinie gebracht wurde Am 28. Juli "fiel" der Kaiser "um", als er aussprach, daß die serbische Antwort auf das österreichische Ultimatum ausreichend sei, und seinen "Halt-in-Belgrad"-Vorschlag machte. Doch schon am nächsten Tag wurde er, auch mit Hilfe der Kaiserin und des Kronprinzen, wieder auf die pro-Kriegs-Linie gebracht.
In einem Schreiben des Berliner Polizeipräsidenten an den preußischen Innenminister vom 28. Juli 1914 heißt es:
Wie die sozialdemokratische Basis protestierte ... "Zu den Protestversammlungen der Sozialdemokratie war der Zuzug namentlich im Norden und Osten der Stadt außerordentlich stark. ... Nach Schluß versuchten die Teilnehmer aller Veranstaltungen , in großen, meist nach Tausenden zählenden Ansammlungen nach dem Stadtinnern zu dringen, und es gelang zum Teil erst unter Waffenanwendung, ... die Massen zu zerstreuen ..."
... und ihre Führung den Machthabern auf den Leim ging, ... Eine Mehrheit in Partei- und Gewerkschaftsführung war aber bereits für den Krieg. Den Zuammenprall der Standpunkte gibt ein Wortwechsel zwischen dem gemäßigten Linken Hugo Haase und Friedrich Ebert, in dem es um die von der Regierung geforderten Kriegskredite geht, wieder:
Haase: "Du willst dem Deutschland der Hohenzollern und der perußischen Junker die Kredite bewilligen?"
Ebert: "Nein, diesem Deutschland nicht. Aber dem Deutschland der schaffenden Arbeit, des sozialen und kulturellen Aufstiegs der Massen. Dieses gilt es zu retten!"
Haase: "Wir, die 'Rotten der Menschen, die nicht wert sind, den Namen Deutsche zu tragen' [Zitat Wilhelms II. Über die Sozialdemokraten], wir, die 'vaterlandslosen Gesellen' Wilhelms, die wir nicht einmal eines gerechten Wahlrechts ... würdig sind - wir sollten ... Nein!"
Ebert: "Wir zeigen durch die Tat, daß wir nicht diese Menschen sind. Es handelt sich um das Wohl des ganzen Volkes. Wir dürfen das Vaterland, wenn es in Not ist, nicht verlassen. Es gilt, Kinder und Frauen zu schützen ..."
Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion beschloß auf Antrag Eberts gegen eine starke Minderheit von Gegnern einer solchen Politik, der kaiserlichen Regierung alle geforderten Kriegskredite zu bewilligen. Die Fraktion stimmte dann so ab, wie es die Mehrheit gefordert hatte. Nur Karl Liebknecht stimmte - als einziger Abgeordneter des Reichstags - dagegen.
Die für den Fall der Mobilmachung geplante Verhaftung der sozialdemokratischen Führung erübrigte sich.
Ein gewisser Adolf H. sah die Sache später anders:
"Wenn an der Front die Besten fielen, dann konnte man zu Hause wenigstens das Ungeziefer vertilgen.
Statt dessen aber streckte Seine Majestät der Kaiser selbst den alten Verbrechern die Hand entgegen und gab den hinterlistigen Meuchelmördern der Nation damit Schonung und Möglichkeit der inneren Fassung."
... nicht aber die Briten Der Kanzler hatte nun seinen wichtigsten Beitrag zu dem bevorstehenden kontinentalen Krieg zu leisten, nämlich die britische Neutralität durch einen förmlichen Vertrag zu sichern. London wies den Vorschlag für einen Neutralitätsvertrag zurück. Großbritannien könne kein Zuschauer bleiben, falls Deutschland Frankreich angreifen sollte. Als dann am Mittag des 31. Juli die Nachricht von der russischen Generalmobilmachung offiziell bestätigt wurde, proklamierte man sofort den "Zustand drohender Kriegsgefahr" in Berlin, auf den binnen 24 Stunden die Mobilmachung folgen mußte.
In seiner Instruktion an Tschirschky, den deutschen Botschafter in Wien, betonte der Kanzler mit Nachdruck: "Deutschland müsse den Eindruck erwecken, als sei es in den Krieg gezwungen worden." Am 1. August, dem Tag, an dem Berlin Krieg an Rußland erklärte, schrieb Admiral von Müller in sein Tagebuch: "Stimmung glänzend. Die Regierung hat eine glückliche Hand gehabt, uns als die angegriffenen hinzustellen." Dies überzeugte den Sozialdemokraten Friedrich Ebert, nicht aber Großbritannien.
Am 30. Juli hatten Besprechungen zwischen Wien, St. Petersburg und Paris über eine angemessene "Lektion" begonnen, die Serbien zu erteilen wäre, wurden aber am 31. Juli durch die blitzartigen Entscheidungen Berlins abgebrochen.
Bezeichnenderweise erklärte Wien erst am 6. August den Krieg an Rußland und das erst nach dringenden deutschen Mahnungen. Diese Verzögerung beunruhigte Berlin: Wenn Österreich ausgeschieden wäre, so wäre Deutschland nicht in der Lage gewesen, den Krieg zu führen. Denn der Angriff auf Frankreich wäre unmöglich gewesen, wenn die österreichisch-ungarische Armee nicht fünf von sieben russischen Armeen auf sich gezogen hätte, um sie sechs Wochen lang zu binden, bis die deutsche Armee von Frankreich nach Rußland geworfen werden konnte.
Die Erfindung eines französischen Bombardements von Eisenbahnlinien in der Nähe von Karlsruhe und Nürnberg sollte die deutsche Kriegserklärung an Frankreich vom 3. August rechtfertigen. In einer Reichstagsrede unternahm Bethmann Hollweg am 4. August 1914 einen letzten Versuch, die britische Neutralität doch noch durch Konzessionen zu gewinnen, die er für die Kriegführung zur See gegen Frankreich anbot. Gleichzeitig bezichtigte er Rußland, für den Krieg verantwortlich zu sein: "Rußland hat den Feuerbrand in unser Haus geworfen. Ein Krieg mit Rußland und Frankreich ist uns aufgezwungen worden!"
Aber die britische Regierung akzeptierte diesen erneuten Vorschlag für einen Neutralitätsvertrag nicht. Sie ließ durch ihren Botschafter Goschen erklären, daß sie sich als im Kriegszustand mit Deutschland befindlich betrachte, wenn Deutschland seine Truppen nicht aus Belgien - sie waren dort am Morgen des 4. August einmarschiert - vor Mitternacht des 4. August zurückziehen würde. Das tat Deutschland nicht.
Was sich die deutsche Führung vom Ersten Weltkrieg erwartete Kriegszieldenkschrift des deutschen Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg (Auszug):
"Sicherung des Deutschen Reiches nach West und Ost auf erdenkliche Zeit. Zu diesem Zweck muß Frankreich so geschwächt werden, daß es als Großmacht nicht neu erstehen kann, Rußland von der deutschen Grenze nach Möglichkeit abgedrängt und seine Herrschaft über die nichtrussischen Vasallenvölker gebrochen werden ...
1. Frankreich. Von den militärischen Stellen zu beurteilen, ob die Abtretung von Belfort, des Westabhangs der Vogesen, die Schleifung der Festungen und die Abtretung des Küstenstriches von Dünkirchen bis Boulogne zu fordern ist.
In jedem Falle abzutreten, weil für die Erzgewinnung unserer Industrie nötig, das Erzbecken von Briey.
Ferner eine in Raten zahlbare Kriegsentschädigung; sie muß so hoch sein, daß Frankreich nicht imstande ist, in den nächsten achtzehn bis zwanzig Jahren erhebliche Mittel für Rüstung anzuwenden.
Des weiteren: ein Handelsvertrag, der Frankreich in wirtschaftliche Abhängigkeit von Deutschland bringt, es zu unserem Exportland macht und es ermöglicht, den englischen Handel in Frankreich auszuschalten. Dieser Handelsvertrag muß uns finanzielle und industrielle Bewegungsfreiheit in Frankreich schaffen - so, daß deutsche Unternehmungen nicht mehr anders als französische behandelt werden können.
2. Belgien. Angliederung von Lüttich und Verviers an Preußen, eines Grenzstriches der Provinz Luxemburg an Luxemburg.
Zweifelhaft bleibt, ob Antwerpen mit einer Verbindung nach Lüttich gleichfalls zu annektieren ist.
Gleichviel, jedenfalls muß Belgien, wenn es auch als Staat äußerlich bestehen bleibt, zu einem Vasallenstaat herabsinken, in etwa militärisch wichtigen Hafenplätzen ein Besatzungsrecht zugestehen, seine Küste militärisch zur Verfügung stellen, wirtschaftlich zu einer deutschen Provinz werden. Bei einer solchen Lösung, die die Vorteile der Annexion, nicht aber ihre innerpolitisch nicht zu beseitigenden Nachteile hat, kann franz. Flandern mit Dünkirchen, Calais und Boulogne, mit größtenteils flämischer Bevölkerung diesem unveränderten Belgien ohne Gefahr angegliedert werden ...
3. Luxemburg. Wird deutscher Bundesstaat und erhält einen Streifen aus der jetzt belgischen Provinz Luxemburg und eventuell die Ecke von Longwy.
4. Es ist zu erreichen die Gründung eines mitteleuropäischen Wirtschaftsverbandes durch gemeinsame Zollabmachungen, unter Einschluß von Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Österreich-Ungarn, Polen und eventuell Italien, Schweden und Norwegen. Dieser Verband, wohl ohne gemeinsame konstitutionelle Spitze, unter äußerlicher Gleichberechtigung seiner Mitglieder, aber tatsächlich unter deutscher Führung, muß die wirtschaftliche Vorherrschaft Deutschlands über Mitteleuropa stabilisieren.
5. Die Frage der kolonialen Erwerbungen, unter denen in erster Linie die Schaffung eines zusammenhängenden mittelafrikanischen Kolonialreichs anzustreben ist, desgleichen die Rußland gegenüber zu erreichenden Ziele werden später geprüft ...
6. Holland. Es wird zu erwägen sein, durch welche Mittel und Maßnahmen Holland in ein engeres Verhältnis zu dem Deutschen Reich gebracht werden kann.
Dies engere Verhältnis müßte ... Holland ... äußerlich unabhängig belassen, innerlich aber in Abhängigkeit von uns bringen. Vielleicht ein die Kolonien einschließendes Schutz- und Trutzbündnis, jedenfalls enger Zollanschluß, eventuell die Abtretung von Antwerpen an Holland gegen das Zugeständnis eines deutschen Besatzungsrechts für die Befestigung Antwerpens wie für die Scheldemündung wäre zu erwägen ..."
Was sich die österreichischen Machthaber - außer der Züchtigung Serbiens - vom Krieg erwarteten Die Machthaber Österreich-Ungarns planten die Annexion Nordwestserbiens und Montenegros, den Russen gedachte man drei Viertel Russisch-Polens sowie Teile Podoliens und Wolhyniens abzunehmen.
Nochmals die Chronologie:
28. Juni Ermordung Franz Ferdinands
23. Juli Ultimatum Österreichs an Serbien
28. Juli Österreichische Kriegserklärung an Serbien
30. Juli Russische Mobilmachung
1. August Deutsche Kriegserklärung an Rußland
3. August Deutsche Kriegserklärung an Frankreich
Einmarsch in Belgien
4. August Kriegseintritt Englands
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