III. Die Verfassung
Die deutsche Demokratie sollte, vor allem durch die neue Reichsverfassung, die demokratischste der Welt sein. Die Verfassungsväter versuchten mit ihr die Erfüllung liberaler Freiheitsträume seit dem Scheitern der Paulskirchenverfassung von 1849 zu verwirklichen, und somit auch der Welt zu beweisen, dass die Deutschen mit ihrer Vergangenheit für immer gebrochen, und den Übergang von der Monarchie zur Demokratie geschafft haben. Man wollte hier zum ersten Mal in der deut-schen Geschichte den Grundsatz \"Die Staatsgewalt liegt beim Volk\" verwirklichen - das war der Leitgedanke der freistaatliche deutschen Verfassung von Weimar.
(1) Die Ausarbeitung
Die Verfassungsväter gingen vor allem mit den Erfahrungen aus der \"monarchisch -konstitutionellen Bismarck - Verfassung\" ans Werk eine Verfassung für einen neue Republik zu schaffen. Mit ihr sollte die Revolution, die seit Juli 1917 immer wieder stattgefunden hatte, ihr En-de finden. Jetzt musste der Sieg des Parlamentarismus über den monarchischen Obrigkeitssaat be-siegelt werden. Die Verwirklichung einer solchen Aufgabe lag seit des Frankfurter Paulskirchenparlaments von 1848/49 bei liberal gesinnten Professoren, und auch jetzt nahmen sie die Ausarbeitung in die Hand. Denker, wie Max Weber oder Robert Redslob nahmen an den Verfassungsberatungen teil, an ihrer Spitze allerdings stand Hugo Preuß: Er hatte bereits am 14. November 1918 den Artikel \"Volks-staat oder verkehrter Obrigkeitsstaat\" veröffentlicht, in dem er den Anspruch des Bürgertums auf politische Mitwirkung bei der Neugestaltung des Staates verkündete. Am Tag darauf wurde er von Ebert zum Staatssekretär des Innern ernannt und so mit der Aufgabe betreut, eine neu Reichsverfas-sung auszuarbeiten. Die Ausarbeitung erwies sich als überaus schwierig, da die unterschiedlichen Positionen der Partei-en oft nicht zu einem Kompromiss vereint werden konnten. So ist selbst zwischen dem ersten Ver-fassungsentwurf (20. Jan. 1919) und dem zweiten (März) eine Diskrepanz zu erkennen: Im ersten Entwurf ist vor allem die Abfolge der \"Kapitel\" erstaunlich: An erster Stelle stehen nicht die Grund- und Menschenrechte, wie sonst bei demokratisch- liberalen Verfassungen, sondern die Frage der Staatskonstruktion. Preuß will hier auf Anhieb ein altes Problem lösen - die Stellung Preußens innerhalb Deutschlands. Seiner Meinung nach muss Preußen als Herd der Reaktion besei-tigt werden
\"Preußen muss sterben, damit Deutschland leben kann\"
Stattdessen muss ein dezentralistischer Einheitsstaat geschaffen werden, was \"den Zerfall der histo-risch gewachsenen, aber auch von den Zufällen der fürstlichen Macht oder Heiratspolitik bestimm-ten Staaten\" bedeutet hätte [3; S.23] Hier aber war der Widerstand der Bürokraten der Einzelstaaten zu stark. Preuß wird angewiesen, einen neuen Verfassungsentwurf zu erarbeiten. - Die Auflösung Preußens wurde wieder einmal abgewendet. Die Verfassung wurde insgesamt von Februar bis Juli von der Nationalversammlung beraten, am 31. Juli ratifiziert, und am 11. August 1919 vom Reichspräsidenten unterzeichnet.
(2) Grundzüge
Die Verfassung gliedert sich in zwei Hauptteile:
Aufgaben und Aufbau des Reiches
Anders als im Bismarck - Reich waren die Kompetenzen des Reiches auf Kosten der Län-der ausgedehnt. Die Legislative setzte sich aus Reichstag und Reichsrat ,der Vertretung der Länder, zusammen. Die Stellung des Reichspräsidenten war so stark, dass er oft als \"ge-wählter Ersatzkaiser\" verspottet wurde. Das Verhältniswahlrecht, zu seiner Zeit als das de-mokratischste in Europa angesehen , wurde Ursache für eine starke Zersplitterung der Man-date.
Grundrechte- und Pflichten der Deutschen
Zentrale Verwaltungsprinzipien waren die Gewaltenteilung und die Grundrechte (erstmals Gleichstellung der Frauen). Das Prinzip der Volksouveränität wurde besonders stark be-rücksichtigt - in der Wahl des RP und in der Mitwirkung der Bevölkerung an der Politik durch Volksbegehren und Volksentscheide. Des weiteren wurde die Bismarcksche Sozial - gesetzgebung beträchtlich ausgebaut.
Als wichtigstes Merkmal der Verfassung lässt sich sagen, dass sie verschiedene Strukturelemente zusammenführte:
die repräsentative Demokratie mit Volksabstimmungen
die Präsidialdemokratie mit einem starken, direkt gewählten Präsidenten
Das einleitende Kapitel der Verfassung bezeichnet das Deutsche Reich als Republik in Form eines Bundesstaates mit den reichsfarben Schwarz-Rot-Gold, den Farben der Revolution von 1848. In diesem Punkt versucht Preuß einen klaren Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen. Aber auch das gelang nicht: Da die Parteien auf der Rechten die Revolutionsfarben vehement ablehnten, blieb die deutsche Handelsflagge Schwarz-Weiß-Rot mit einer Schwarz-Rot-Goldenen Gösch in der oberen linken Ecke. \"Indem die Farben der Vergangenheit neben den neuen bestehen bleiben, schafft man eine unheil-volle Symbolik - die Gleichberechtigung beider Farben wird in Zukunft als Gleichberechtigung der dahinterstehenden politischen Grundvorstellungen angesehen werden.\" [5; S.92]
(3) Verfassung im Detail
Beziehung zwischen Reich und Ländern
Das Reich wurde als Bundesstaat geschaffen, in dem der Grundsatz galt: \"Reichsrecht bricht Länderrecht\" Die untergeordnete Stellung der Länder zeigt sich besonders darin, dass sie nur durch den Reichsrat an der Gesetzgebung mitwirken konnten - allerdings nur inso-weit, dass sie Gesetze, die der RT, als Träger der Volksouveränität, beschlossen hatte, verzögern, aber nicht verhindern konnten. Das Eingriffsrecht der Länder in die Reichspolitik hat aber eigentlich keine Bedeutung, wenn man die Befugnis des RP gemäß Artikel 48 entgegensetzt, der ihn bevollmächtigt in den Ländern mit allen Mitteln, auch militärisch einzugreifen, wenn sie ihre Pflichten gegen das Reichsganze verletzen.
Grundrechte und gesellschaftliche Neuordnung
Der Katalog der \"Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen\" wurde in Anlehnung an die Paulskirchenverfassung mit aufgenommen. Er rückt jedoch in der Weimarer Verfassung ans Ende des Verfassungstextes und enthält ein \"buntes Gemisch alter und neuer Formulie-rungen\": Neben den klassischen liberalen Freiheitsrechten, wie der Gleichheit vor dem Ge-setz, der freien Meinungsäußerung oder der Versammlungs- und Pressefreiheit finden sich neue Ideen, wie der Schutz der Mutterschaft und der Jugend und nach Art. 157-165 die Möglichkeit der Enteignung zum Wohl der Allgemeinheit und der staatlichen Aufsicht über Nutzung von Energie und Rohstoffen. Doch waren die Grundrechte nicht \"unmittelbar einklagbares Recht\" und die Exekutive, Legislative und Jurisdiktion waren nicht an sie gebunden, Außerdem wurde die gesellschaftliche Umgestaltung nicht vollendet - Eingriffe in das bestehende soziale und wirtschaftliche Leben blieben aus, weil negative Folgen für die Produktivität befürchtet wurden.
Wahlsystem
\"Die Verfassung von Weimar enthält den liberalsten denkbaren Wahlmodus\", ein Verfah-ren, das sicherstellt, dass der Wählerwille so unverfälscht wie möglich abgebildet wird, und dass \"jede politische Meinung in der gleichen Relation ins Parlament gelangt, in der sie in der Bevölkerung vertreten ist. Man führte das absolute Verhältniswahlrecht ein (60.000 Stimmen = 1 Abgeordneter) und weitete auf Frauen aus. Die Nachteile dieses Wahlsystems lagen darin, dass...
Weltanschauungs- und Interessenparteien entstanden, \"die einem demokratischen Grundkonsens keine erhebliche Bedeutung zumessen\"
Die große Zahl von Parteien, bei denen es kaum möglich ist, sie in Regierungskoali-tion und Opposition zusammenzufassen. Die Bildung von regierungsfähigen Mehr-heiten wird schwieriger.
Allerdings misstrauen auch die Verfassungsväter der Regierungsfähigkeit der Parteien und forderten deshalb ein Gleichgewicht von gesetzgebender und ausführender Gewalt. Aus die-ser Überlegung heraus wurde auch die Position des Reichspräsidenten konzipiert.
Plebiszitäre Elemente
\"Die Reichsverfassung war geprägt von dem liberal-demokratischen Vertrauen in die Volkssouveränität und in die politische Vernunft der Bürger. Die Aufnahme ausgesprochen plebiszitärer Elemente in die Verfassung sollte die Ablösung des alten Obrigkeitsstaates verdeutlichen\", und war als Stärkung des Souveräns, des Wählers, gegenüber den Parteien gedacht. Neben dem Volksbegehren war die Wahl des RP durch die gesamte Bevölkerung ein sol-ches Element. Der Volkentscheid, wie er in Artikel 73 niedergelegt ist, stellt eine Element direkter Demokratie im Weimarer Staat dar. \"Die Hoffnung der Verfassungsväter auf ver-nünftige Mitsprache des mündigen Wahlvolkes bei der Gesetzesarbeit erfüllte sich jedoch nicht [...]. Stattdessen dienten sie durchweg als Hebel der Agitation gegen die Weimarer Verfassungsordnung und ihrer Vertreter.\" [5; S.99] So wird die Hypertrophie der plebiszitären Elemente zu einem negativen Teil der Verfas-sung.
Stellung des Reichspräsidenten
Die Position des RP wurde als Gegengewicht zu den Parteien konzipiert, mit Rechten, die denen des amerikanischen oder französischen Präsidenten entsprechen. \"Tatsächlich ist hier aber wohl eher das Vorbild des Kaisers psychologisch wirksam, gereinigt vom Autokratis-mus der Wilhelminischen Ära und gesalbt mit dem Öl des Volkswillen\" [5; S.97]. Da er direkt vom Volk gewählt wurde, besaß er die gleiche demokratische Legitimation wie der RT - tatsächlich war die des Staatsoberhaupts, wie Karl Marx schon bei Napoleon III. er-kannte noch höher:
Karl Marx:
\"Während die Stimmen [...] sich auf die 750 Mitglieder der NV zersplittern, konzentrieren sie sich dagegen hier auf ein Individuum.... Die erwählte NV steht in einem metaphysischen, aber der erwählte Präsident in einem persönlichen Verhältnis zur Nation.\"
Genauso stark wie seine Legitimation, waren seine Machtbefugnisse, die ihm oft den Titel \"Ersatzkaiser\" einbrachten:
Er ernannte den Reichskanzler und auf dessen Vorschlag die Reichsminister.
Er hatte das recht, unter Gegenzeichnung des RK den Reichstag fast beliebig (\"nur einmal aus dem gleichen Anlass\") aufzulösen - ein Recht, das nicht einmal dem US-Präsidenten gegenüber dem Kongress zusteht.
Er konnte jedes vom Parlament verabschiedete Gesetz, mit dem er nicht zufrieden war, einem Volksentscheid überantworten (nie praktiziert !).
Der Reichspräsident vertrat das Reich völkerrechtlich (Art. 45) und hatte den Ober-befehl über die Streitkräfte (Art. 47).
Für den Notfall besaß der RP nach Art. 48 außerordentliche Vollmachten - mit diesem Not-verordnungsrecht konnte er praktische den Ausnahmezustand ausrufen. Damit konnte er.....
Maßnahmen (auch militärische) gegen ein Land treffen, das gegen die Verfassung oder Gesetze verstoßen hat oder seine Pflichten nicht erfüllt hat.
Selbst Grundrechte außer Kraft setzen (Bsp.: Freiheit der Person, freie Meinungsäu-ßerung).
Ohne Mitwirkung des Reichstags gesetzliche Maßnahmen treffen.
Zwar konnte der RT mit einfacher Mehrheit die Aufhebung dieser Maßnahmen verlangen und es bedurften aller Anordnungen des RP der Gegenzeichnung durch den RK - da aber der Präsident erheblichen Einfluss auf die Regierungsbildung hatte, war ein Versagen dieser Kontrollinstanz nicht auszuschließen. Diese \"Diktaturgewalt\", die dem RP somit in die Hand gegeben wurde, rechtfertigten die Verfassungsväter mit den schwierigen politischen Verhältnissen der Nachkriegszeit - Demonstrationen, Aufstände, Putsche von Links und Rechts, und der mangelnden Kompro-missbereitschaft der Parteien: Artikel 48 kann als \"Reserveverfassung für schlechte Zeiten\" angesehen werden. Allerdings wird diese Notstandsverordnung im Lauf der Weimarer Re-publik noch anders missbraucht. So erklärt Ebert im Laufe seiner Präsidentschaft (- Jan. 1925) 135 Verordnungen nach Art. 48, darunter 44 zur Behebung wirtschaftlicher Notstän-de ! (Art. 48 war zwar nicht dafür gedacht, es widersprach aber auch nicht der Verfassung). Seit 1930 wurden dann immer umfangreichere Gesetzespakete als Notstandsverordnungen durchgesetzt - \"Das Parlament dankt seit 1930 praktisch ab [....]. Ob er will, oder nicht - der alte Obrigkeitsstaat wird erneut heraufbeschworen. Jetzt vereinigt der Reichspräsident die gesetzgebende mit der exekutiven Gewalt [...]\" [5; S.100].
Die Verfassung schuf einen starken Reichspräsidenten, der oft als \"Ersatzkaiser ver-spottet wurde, und als Garant gegen Bürgerkrieg und Revolution diente. Durch die Kombination der Artikel 48, 25 (Auflösung des RT) und Art. 53 (Ernen-nung / Entlassung des RK), die beide eigentlich als Eingriffsmöglichkeit bei Regie-rungsunfähigkeit gedacht waren, besaß der RP nahezu diktatorische Vollmachten
(4) Schwächen der WRV
Freiheit
Die Weimarer Verfassung sollte eine der freiheitlichsten dieser Welt sein, und wurde durch das friedliche Nebeneinander unterschiedlicher Ideen und Werte geschaffen: Alle Parteien der NV hat-ten die Chance, ihre hochgehaltenen Werte in der Verfassung zu verankern. Doch dieses Nebenein-ander unterschiedlicher Ansichten und die außerordentlichen Freiheiten brachten Probleme mit sich: Wie leicht es für einzelne Gruppen war, im Schutz der Verfassung daran zu arbeiten, die Verfassung selbst zu beseitigen - die Freiheit zu benutzen, um die Freiheit anzuschaffen - zeigte sich am Ende der Republik. Hier waren die Verfassungsväter zu blauäugig und zu optimistisch, aber sie waren eingenommen von dem alten Obrigkeitsstaat des Kaiserreichs, dessen politisches Machtsys-tem sich nicht verrücken ließ. Man vermied es, die Verfassung in irgendeiner Weise einzuschrän-ken - \"Die Weimarer Reichsverfassung soll nichts anderes sein, als eine Spielregel für den Kampf der verschiedenen Kräfte um die Macht. Sanktionen gegen Parteien, die sich nicht an die Spielre-geln hielten, sind ausgeschlossen.\" Auch fehlte eine mit dem heutigen Bundesverfassungsgericht vergleichbare Institution als Hüterin der Verfassung
Diskrepanz zwischen Verfassungsnorm und Wirklichkeit
Die Verfassungsväter übernahmen Teile aus der englischen Verfassung, dabei übersahen sie allerdings, dass sie sich nicht einfach übertragen lässt. Die englische Verfassung ist nicht aus einem starren System konzipiert worden, sondern entstand allmählich aus Konventionen und Bräuchen (Verfassung auch nicht schriftlich festgehalten). Wegen der anderen gesell-schaftlichen Situation in Deutschland, konnte sich hier auch kein Staatsbewusstsein ausbilden.
Durch das Bestreben eine möglichst freiheitliche und demokratische Verfassung zu schaf-fen, fanden repräsentative und plebiszitäre Elemente Eingang in das Regierungssystem - das Parlament sollte genau den Volkswillen widerspiegeln (vgl: Rousseau: volonté générale). Da hier eine Identität von Regierenden und Regierten gewahrt werden sollte, wurden die Möglichkeiten des Volksentscheides (Art. 73 + 75) und der Gesetzesinitiative durch das Volk (Art. 73,3) in die Verfassung aufgenommen. Doch diese Utopie, die Identität der Re-gierten und Regierenden - was ja sogar noch stärker ist, als der sonst nur geforderte Kon-sens - stand der politischen Realität gegenüber. Hier ist der Einzelne in seiner Entscheidung an verschieden Gruppen gebunden (Partei, Interessenverbände,...). Eben dies Parteien werden aber in der Verfassung mit keinem Wort erwähnt.
Der Reichstag hatte, obwohl ihm der Verfassung nach eine Führungsrolle zugedacht war, wenig Kompetenzen.
Das reine Verhältniswahlrecht ließ \"das Reich zu einem einzigen Wahlkörper werden, in dem die Wahlkreise praktisch keine Bedeutung mehr hatten.\" Die Folge des Wahlsystems war eine zunehmende Parteienzersplitterung.
(5) Gefahren für Weimar
Da die Demokratie in Weimar nicht das Ergebnis einer kontinuierlichen Entwicklung oder eines gesellschaftlichen oder politischen Konsens war, wurde sie von den Rechten als aufgezwungen verteufelt (\"Dolchstoßlegende\"), die Linken sahen die Idee der Räterepublik verraten. Dieses anti-demokratische Denken, stellte eine ernsthafte Gefahr für Weimar dar, musste man doch ständig die Gefahr von Rechts und Links fürchten. * Die Verfassungsväter sahen darin aber kein übermäßiges Problem - bei ihnen herrschte heilloser Optimismus.
Reichsinnenminister David:
Die Verfassung \"gibt ihnen (den Parteien) die Möglichkeit, auf legalem Wege die Umgestaltung in ihrem Sinne zu erreichen, vorausgesetzt, dass Sie die erforderliche Mehrheit des Volkes für ihre Anschauungen gewinnen. [...] Die Bahn ist frei für jede gesetzliche friedliche Entwicklung.\"
\"Auf den Ernstfall ihrer Existenz gestellt, wendet sich die Verfassung ohne normative Verankerung gegen sich selbst. So kann es dazu kommen, dass am 30. Januar 1933 Reichspräsident v. Hinden-burg den Führer der Nationalsozialisten zum Reichskanzler ernennt; niemand hält sich strikter an den Buchstaben der Verfassung als der greise Reichspräsident, und an dieser Ernennung ist tatsäch-lich nichts Verfassungswidriges, Adolf Hitlers Weg zur Macht ist legal.\" (5; S.104) Schon 3 Jahre zuvor sagte Hitler bei einer Befragung, wie er es mit dem Gesetz und Verfassung halte unter Eid aus, er habe Gewalt auf dem Weg zur Macht nicht nötig, da genügen zwei, drei Wahlen.
Hitler:
\"Die nationalsozialistische Bewegung wird in diesem Staat mit den verfassungsmäßigen Mitteln das Ziel zu erreichen suchen. [...] Wir werden auf diesem verfassungsmäßigen Wege die ausschlaggebenden Mehrheiten in den gesetzgebenden Körperschaften zu erlangen suchen, um in diesem Augenblick, wo uns das gelingt, den Staat in die Form gießen, die unseren Gedanken entspricht.\"
\"Die offene Ankündigung, den Staat und dessen Verfassungsordnung im Moment der Machtergrei-fung völlig umzustülpen, stört die Richter keineswegs, denn nichts davon ist verfassungswidrig. Die Weimarer Verfassung hilft mit ihrer bodenloser Liberalität ihren eigenen Verderbern.\" (ab * Kapitel zitiert aus 5; S.104 f )
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(6) Bonn ist nicht Weimar
Die Verfassungsväter des Grundgesetzes hatten aus den Fehlern der Weimarer Republik, aber vor allem aus den Zuständen während des 3. Reiches unter Hitler gelernt. Darum verbesserten sie viele Punkte der Verfassung, die sich in Weimar als negativ herausgestellt hatten.
Wahlrecht (Art.22)
\"Die Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl von den über 20 Jahre alten Männern und Frauen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt.\"
Der RT sollte unmittelbares Spiegelbild der Volksmeinung sein und den Wählerwillen un-verfälscht darstellen. Als Reaktion auf das 3-Klassenwahlrecht in Preußen führten die Ver-fassungsväter das Verhältniswahlrecht ein - zwar ging so keine Stimme verloren, doch er-forderte die Vielzahl von Parteien häufig wechselnde Koalitionen, so dass eine kontinuierli-che Politik kaum möglich war. Aus diesen Erfahrungen zog man bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes (GG) für die BRD die Konsequenz, eine Mindestgrenze für die Vertretung im Parlament vorzusehen - die 5% Klausel, sodass die BRD von der Parteizersplitterung verschont blieb.
Stellung des Präsidenten (Art. 41 + 48)
\"Der Reichspräsident wird vom ganzen deutschen Volk gewählt\"
In der BRD wird der RP nicht mehr direkt vom Volk gewählt, sondern von der Bundesver-sammlung: Die dadurch verminderte Legitimation zeigt sich auch in den Kompetenzen des Präsidenten - während er in Weimar durch Artikel 48 fast die Stellung eines Monarchen einnahm, beschränkt das GG den BP auf repräsentative Funktionen. Seine integrative, über-parteiliche Rolle wird besonders betont. Seine Amtszeit wurde außerdem auf insgesamt 10 Jahre (1x Wiederwahl) beschränkt. Auch die \"Notstandsverfassung\" (Art. 48) gibt es im GG überhaupt nicht mehr.
Misstrauensvotum (Art. 54)
\"Der Reichskanzler und die Reichsminister bedürfen zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Reichstages. Jeder von ihnen muss zurücktreten, wenn ihm der RT durch ausdrücklichen Beschluss sein Vertrauen entzieht.\"
In Weimar konnte jeder einzelne Minister jederzeit abgesetzt werden - und zwar durch de-struktives Misstrauensvotum. Nach dem GG kann nur der Kanzler, und dann auch nur bei gleichzeitiger Wahl eines Nachfolgers, gestürzt werden (konstruktives Misstrauensvotum).
Plebiszitäre Elemente (Art. 73)
\"Ein Volksentscheid ist herbeizuführen, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten das Begehren nach Vorlegung eines Gesetzes- entwurfs stellt.\"
Man hielt das Mitspracherecht des Volkes, des wahren Souveräns, für besonders wichtig und für eine besonders demokratische Bestimmung. Allerdings erhielt keiner, der auf diese Weise eingebrachten, Gesetzesentwürfe die erforderliche Mehrheit. Außerdem wurde die Möglichkeit der Volksentscheide zu \"hemmungsloser Agitation gegen die Republik missbraucht\". Daher sieht das GG diese Möglichkeit der Mitwirkung durch das Volk nicht mehr vor.(stattdessen Betonung des Repräsentativen)
Verfassungsschutz
Während in Weimar der Verfassungsschutz nur die Aufgabe hatte, die Freiheit der öffentli-chen Diskussion zu gewährleisten, nicht aber Teilnehmer von dieser Diskussion auszu-schließen oder gar die Verfassungsprinzipien gegen ihre Gegner zu verteidigen, hat er in der BRD diese Möglichkeiten. Darüber hinaus gibt es den Bundesgerichtshof als \"Hüterin\" der Verfassung. Die Bundesrepublik ist eine \"wehrhafte Demokratie\", in der nicht mehr nur der Einzelne vor dem Staat, sondern auch der Staat vor dem Einzelnen geschützt wird.
Menschenrechte
Während die Menschenrechte in Weimar am Ende der Verfassung standen, und abgeändert werden konnten, rückten sie im GG an den Anfang (Art. 1 - 20), und waren ab sofort nicht änderbar.
(7) Zusammenfassung
tragende Inhalte der Verfassung:
Bundesstaatlichkeit (\"Bundesrecht bricht Länderrecht\")
Menschen und Grundrechte
Gewaltenteilung
Reines Verhältniswahlrecht (inkl. Frauenwahlrecht) als bewusste Abgrenzung gegenüber der Kaiserzeit
Plebiszitäre Elemente (Betonung der Volkssouveränität)
Starke Stellung des RP
Negative Inhalte und Gefahren:
kein Bruch mit der Vergangenheit, sondern Kompromiss (Bürokratie, Militär)
starke Stellung des RP (Präsidialverfassungen ; Art. 48)
Schwacher RK (einfaches Misstrauensvotum)
Verhältniswahlrecht (Parteienzersplitterung)
Hypertrophie der plebiszitären Elemente
\"Verbesserungen\" in Bonn:
5% Klausel bei Wahlen
Präsident nur noch Repräsentant
Kein Art. 48
Menschenrechte am Anfang fest verankert und nicht änderbar
Nur noch konstruktive Misstrauen
Verfassungsschutz und Bundesverfassungsgericht als \"Hüterin\" der Verfassung
Weniger plebiszitäre Elemente
Die Verfassungsväter, von der Möglichkeit eine demokratische und freiheitliche Verfassung zu schaffen beflügelt, schufen mit der WRV vom 11. August 1919 eine der demokratischsten Verfassungen überhaupt: In keinem anderen Land ging die Macht so direkt vom Volk aus, und hatte das wahre Souverän so viele plebiszitäre Möglichkeiten. An die Stelle des Pseudo-Absolutismus des Bismarck-Systems setzte die Nationalverfassung eine durch und durch demokratische Verfassung. Doch unbegrenzte Freiheit, das hat die Geschichte der Weimarer Republik gezeigt, ist auch die Freiheit derjenigen, die die Verfassung und die Freiheit selbst zerstören wollen.
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