Die erste Veränderung ergab sich aus der Umwandlung des Judentums in eine Rasse. Bisher hatte man es allgemein als eine Religion angesehen. Unter dem Einfluß des Ariertums betrachtete man die Juden nunmehr als Semiten und Angehörige einer minderen Rasse. Die Bekehrung zum Christentum wusch sie also nicht mehr rein.. Die Juden waren mit ursprünglichen Makel gezeichnet.
Eine der Wurzeln des Antisemitismus ist der erwachende Sozialismus, der den industriellen Kapitalismus mit dem Judentum identifiziert. Es entstand eine enge Verbindung zwischen Judentum und Kapitalismus. Die Ablehnung der modernen Welt war nicht der einzige Gedanke, den man damals entwickelte. Der Jude bekam eine Art bedrohlichen Charakter. Der französische Antisemitismus wollte den demütigenden Verlust Elsaß-Lothringen kompensieren. Eine Reaktion der Sieger wie der Besiegten, prangerte den Juden als fremdartig und vaterlandslos an. Der Mythos bewirkte, daß die Trennung zwischen Ariern und Juden auch in der Politik zum Tragen kam.
Die Juden konnten niemals zu wirklichen Bürgern ihres Wohnlandes werden. Diese Situation führte zum Konflikt, da die arische Partei mit allen Mitteln versuchte, ihre beherrschende Rolle zu bewahren. Drumont in Frankreich und Stoecker in Deutschland bedienten sich beim Vergleich von jüdischem und arischem Geist vornehmlich psychologischer Kriterien. Um die Mischehen waren wilde Phantasievorstellungen entstanden und die Idee der sexuellen Beschmutzung durch den Juden, von einem Virus, das er und seine Nachkommen beherbergten, das nicht auszurotten war und das insgeheim die christliche Gesellschaft durchsetzte, war geboren.
Vor diesen Ideologien entstanden in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts in Frankreich, Deutschland und Österreich-Ungarn politisch einflußreiche antisemitische Bewegungen. Anlaß war die geringfügige Krise, die man aber den Machenschaften jüdischer Finanzmänner zuschrieb. Der Franzose Drumont gründete eine Zeitschrift, die die Juden und das Judentum unablässig angriff. In Frankreich erlebte der Antisemitismus durch die Affäre Dreyfus seinen Aufschwung. 1894 wurde Alfred Dreyfus, ein Offizier jüdisch-elsässischer Abstammung, verhaftet und wegen Spionage zugunsten Deutschlands zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt. Die Rechte machte sich das sofort zunutze und entfesselte eine heftige antijüdische Kampagne.
Deutschland erwies sich als besonders fruchtbar für antisemitisches Gedankengut. Die bekanntesten Anhänger waren Richard Wagner, der Sozialist Dühring, der Pfarrer Stoecker und der Historiker von Treitschke, der den Satz sprach: "Die Juden sind unser Unheil". Im Jahre 1880 brachte eine Unterschriftensammlung zur Einführung von Maßnahmen gegen die Juden 200.000 Unterschriften zusammen.
Der Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland war sehr groß. Einigkeit gab es nur in der Tatsache, daß man die Juden als Schädlinge ansah. Eine Gruppe deutscher Gelehrter, vor allem der Historiker Mommsen, protestierte öffentlich gegen die antisemitischen Kampagnen, und Nietzsche verspottete sie seinerseits. Europa war von Hirngespinsten durchlaufen und erklärte seinen geistigen Bankrott. Wie kam es zu Ausschwitz und zur Ausrottung von sechs Millionen Menschen? Antwort geben die Folgen des Ersten Weltkriegs und der russischen Revolution, ebenso wie die Entstehung totalitärer Regierungen mit antisemitischer Gesetzgebung.
Die russische Revolution
In neutralen Staaten, die die Alliierten unterstützten waren die Juden zahlreich. Die russische Revolution entfesselte eine antisemitische Kampagne. Die zaristische Regierung wurde im März 1917 gestürzt, und durch eine gemäßigte Regierung ersetzt, die ihrerseits durch einen bolschewistischen Staatsstreich im Oktober 1917 gestürzt wurde. Unter den Bolschewiken befanden sich viele Juden: Trotzkij, Zinowiew, Kamenew, Uritzkij . . . Auch in den Begründern und Führern der kommunistischen Parteien im Westen sehr viele Juden: Rosa Luxemburg, Kurt Eisner, Paul Levy in Deutschland, Bela Kuhn in Ungarn. Trotzkij wurde von Lenin beauftragt, den Waffenstillstand mit Deutschland auszuhandeln.
Als Lenin aus der Schweiz mit deutscher Hilfe nach Rußland zurückgekehrt war, glaubte man, daß die russische Revolution ein Ergebnis einer jüdisch-bolschewistisch-deutschen Verschwörung ist, die den Alliierten den Todesstoß versetzen sollte. Im Mittelpunkt standen die gefälschten "Protokolle der Weisen von Zion". Dieses von Orchana, der zaristischen Geheimpolizei gefälschte Buch war angeblich ein Bericht über die Debatten einer geheimnisvollen jüdischen Weltregierung, deren Absicht es war, sich die christlichen Völker zu unterwerfen. Wie der Kapitalismus ein teuflisches Werk reicher jüdischer Bankiers. Diese Verschwörung bedrohte die ganze Welt, und nur der Kampf gegen die Juden konnte diese Bedrohung tilgen.
Die totalitären Bewegungen
Faschismus und Nazismus waren der Wendepunkt in der Geschichte des Antisemitismus. Nach dem Marsch der Schwarzhemden auf Rom im Jahre 1923 ergriff Mussolini die Macht. Zu Beginn war er keineswegs rassistisch. Erst nach dem deutsch-italienischen Pakt von 1938 erließ Mussolini Rassengesetze, die den Nürnberger Gesetzen nachgebildet waren. Die Lage in Deutschland war anders. Die Weimarer Republik mußte bedingungslos kapitulieren. Der Vertrag von Versailles beraubte es Elsaß-Lothringen im Westen und ein Teil im Osten mußte an Polen abgetreten werden. Deutschland wurde gedemütigt und auf die Stufe einer zweitrangigen Macht zurückgestellt.
Wie war dieser Zusammenbruch zu erklären? Die Antwort war parat: durch einen Dolchstoß. Zusammen mit den Bolschewiken und den Alliierten hatten die Juden ein riesiges Komplott gegen Deutschland geschmiedet, indem sie im Hinterland die Moral untergruben und pazifistische Ideen verbreiteten und sogar die Niederlage und die Zerstückelung des Reiches in Kauf nahmen. Der Jude Rathenau, Außenminister der Regierung, die das "Diktat" von Versailles unterschrieb wurde 1922 ermordet, und Deutschland erlebte eine antijüdische Kampagne durch den künftigen Naziführer Julius Streicher.
Der in Österreich geborene Adolf Hitler stand unter dem Einfluß des antisemitischen Bürgermeisters von Wien Lueger. Sein Antisemitismus war keineswegs eine Erfindung, sondern von den Phantastereien seines Idols Richard Wagner und Chamberlains inspiriert. Für Hitler waren, wie es das 1925 erschienene Buch "Mein Kampf" beweist, die Juden nicht zu assimilieren. Durch Mischung mit der arischen Rasse befleckten sie diese. Vor allem aber hatten sie den teuflischen Plan gegen die Welt geschmiedet.
Die 1929 ausgebrochene Krise mit Millionen von Arbeitslosen führte zum Triumph der Nazis. Nach seiner Ernennung zum Reichskanzler 1933 unterdrückte Hitler die Demokratie und führte die blutige Diktatur ein. Am 7. April 1933 wurden die Juden von öffentlichen Ämtern und vom Anwaltsstand ausgeschlossen. Die ersten Konzentrationslager wurden errichtet und nahmen Sozialdemokraten, Juden Liberale und Kommunisten auf. 1935 wurden die "Nichtarier" geächtet, Mischehen verboten und die Juden sozusagen von allen Berufen ausgeschlossen. Im Alltag wurden sie Quälereien ausgesetzt.
Die Ermordung eines Attachés der deutschen Gesandtschaft, von Rath, durch den polnischen Juden Grynszpan war der Anlaß zur "Kristallnacht in Deutschland (9./10. November 1938), bei der Synagogen, jüdische Läden und Wohnhäuser zerstört und Tausende von Juden verhaftet wurden. Allmählich wurde der Plan Hitlers sichtbar, den er 1939 ankündigte: "Wenn es dem internationalen Judentum gelingt, die Völker in Europa oder anderswo in einen Weltkrieg zu stürzen, wäre das Ergebnis nicht die Bolschwisierung Europas und der Sieg des Judentums, sondern die Ausrottung der jüdischen Rasse in Europa . . . "
Der Nazi-Genozid
Der Blitzsieg der Truppen von 1939/40 unterwarf die meisten westlichen Länder und Polen der Naziherrschaft. So kam fast die gesamte jüdische Bevölkerung Europas unter den Stiefel der Nazi. Die Juden mußten sich registrieren lassen, und in der besetzten Zone von Juni 1942 an den gelben Stern tragen. Die deutschen Juden wurden nach Polen verschleppt und in unmenschlichen Ghettos (Lodz, Bialystok, Warschau, Wilna) zum langsamen Tod verurteilt.
Zunächst noch unkoordiniert und unsystematisch, wurde bei der Wannsee-Konferenz jedoch die physische Ausrottung aller Juden beschlossen. Diese Aufgabe wurde dem berüchtigten Eichmann übertragen. Die Länder in denen Widerstand herrschte waren selten. In den Niederlanden folgte auf die ersten Deportationen ein Generalstreik der Hafenarbeiter, in Dänemark drohte der König Christian X. den gelben Stern zu tragen, wenn seine jüdischen Untertanen dazu gezwungen würden.
Aber es gab noch andere Gruppen von Europäern, welche Hitler vollständig zu vernichten befahl: die Zigeuner. Zwar gab es keine Rassentheorie, dieses Volk stammt sogar aus Indien und ist somit "arisch", aber waren die Zigeuner unerwünscht. Die Anzahl der umgebrachten Zigeuner, läßt sich nicht genau angeben, Schätzungen bewegen sich um 200.000. Die der jüdischen Opfer war etwa dreißig mal so groß.
Das rassistische Reich
Das rassische Reich sollte gut die Hälfte des Kontinents erreichen. Wie wären die Rassen behandelt worden? Man unterschied zwischen germanischen, slawischen und lateinischen Völkern. Die erstgenannten galten als "Herrenrasse". Die "verwandten" Völker standen den Deutschen um nichts nach, wurden allerdings als Verräter und Verjudet behandelt, weil sie dem Kniefall vor dem Führer verweigerten. Das deutsche Wachstum sollte mit verschiedenen Mitteln gefördert werden. Diese waren etwa Geburtenprämien, Familienzulagen, Vergünstigungen für vielköpfige Familien.
Die slawischen Untermenschen sollten Zwangsarbeiter werden, die niedrigste Arbeiten zu verrichten hatten und strenger demographischer Kontrolle unterworfen werden. Die Schulbildung müsse auf Lesen und Schreiben beschränkt bleiben, schließlich wollte man nicht riskieren, daß man Elemente fördert die zum Widerstand verleiten. |