Artikel: Arbeiter im I. Weltkrieg Die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg ist vor allem von unzähligen menschlichen Opfern und materiellen Entbehrungen, die er verursachte, geprägt worden. Gleichzeitig wird er aber auch als Wendepunkt in der europäischen Geschichte eingestuft weil er einen Bruch mit der Vergangenheit sowohl in der Geschichtsschreibung als auch durch die Reform der europäischen Arbeiterschaft verursachte. Die Regierungen der am Krieg teilnehmenden Länder haben schon bald nach Kriegsbeginn erkannt, dass sie ohne weitreichende Einbeziehung der Arbeiter in die Regierungsverantwortung (= Mitspracherecht in der Regierung) keine Chance hatten, die Moral der Arbeiter auf möglichst hohem Niveau zu halten, um auch die Rüstungsproduktion aufrecht zu erhalten, damit der Krieg erfolgreich zu Ende geführt werden konnte. Obwohl die deutsche Regierung - entgegen der englischen und französischen - niemals die Sozialdemokraten in das Kriegskabinett berufen hätte, haben die politische Führung und insbesondere das deutsche Oberkommando die Anerkennung und Unterstützung durch die Gewerkschaften für notwendig erachtet. Das ging soweit, dass sogar gerichtliche Verfahren gegen einzelne Gewerkschafstführer aufgehoben wurden.
Außerdem wurden sie von einer Rekrutierung an die Front ausgenommen. Mit Zustimmung der Gewerkschaften bekamen Frauen und Jugendliche oder auch ungelernte Arbeitskräfte für die Dauer des Krieges Arbeitsstellen zugewiesen die vorher nur Facharbeitern vorbehalten waren. Die Folgen des Krieges (z.B. Arbeitslosigkeit, weil die Produktion von Konsumgütern auf Kriegsgüter umgestellt wurde; Trennung der Familien von den männlichen Ernährern, Probleme von Kriegerwitwen, Kriegswaisen und Invaliden sowie Inflation und Nahrungsmangel) aber auch die Notwendigkeit, eine breite Unterstützung zu mobilisieren, machte den Ausbau der sozialen Wohlfahrtsleistung notwendig. Man baute die nationale Arbeitslosenunterstüzung aus, es wurde Kinder-, Miet- und Mutterschaftsgeld angeboten.
Kreigsversehrte erhielten ähnlich wie Arbeitslose staatl. Unterstützung. Schließlich sanken die Arbeitslosenzahlen wieder, weil vornehmlich im Maschinenbau und in der Rüstung die Produktion gesteigert werden musste. Obwohl sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt entspannte, verschärften sich andere wirstschaftliche Probleme, hier insbesondere die Lebensmittelversorgung. Die Rekrutierung von Landarbeitern und Bauern führte zu immer größeren Versorgungsengpässen. Verschärft wurde diese Situation durch aufgeblähte staatl.
Verwaltung, die zunehmend zur Entmachtung der bestehenden Regierungssysteme beitrug. Das führte dazu, dass z.B. die Kosten für Nahrungsmittel am Ende des Krieges 278% über denen von 1914 lagen. Selbstverstndlich litten nicht alle Teile der Arbeiterschaft im gleichen Maße, denn im Laufe des Krieges stieg der Unterschied zwischen den Löhnen der Arbeiter in kriegswichtigen Industrien und dem Rest immer weiter an. Die Nachfrage nach Facharbeitern in de Metallindustrie und im Maschinenbau führte zu einem immer höheren Anstieg der Löhne - wobei jedoch selbst dieser Anstieg mit den steigenden Preisen nicht Schritt halten konnte.
Des hattte zur Folge, dass die Rüstungsbetriebe ihre Arbeiter mit billigen Nahrungsmitteln versorgte, die auf dem Schwarzmarkt erstanden wurden. Die Unzufriedenheit der Arbeiterinnen und Arbeiter reduzierte sich jedoch nicht allein auf die Lohn- und Gehaltsfragen. Die Tatsache, dass die Unternehmer im Krieg große Gewinne gemacht hatten bzw. immer noch machten und die Arbeiter daran nicht teilhatten, verstärkte die Wahrnehmung der sozialen Ungerechtigkeit in den Reihen der Arbeiterschaft. Außerdem wurde von der Regierung die Arbeiterschutz-Gesetzgebung (Wochenarbeitszeiten etc.) aufgehoben um maximale Produktionsauslastung in den Rüstungsbetrieben zu gewährleisten.
Dies bedeutete für die Arbeiter eine Wochenarbeitszeit von 60 Stunden (zum Vergleich: heute Arbeitet eine Vollzeitarbeitskraf durchschnittlich 38 Std. pro Woche). Eine weitere Ursache für Klagen in der Arbeiterschaft waren Versuche, ihre Mobilität einzuschränken. Sie wurden immer unzufriedener, weil selbst ihre hohen Löhne rasch vom Anstieg der Inflations übertroffen wurde. Gleichzeitig sahen sie sich aufgrund ihrer Qualifikation und wegen des wachsenden Arbeitskräftemangels in einer starken Verhandlungsposition in den Arbeitskämpfen, die sich 1916 in Deutschland, Österreich, Frankreich aber auch in Rußland intensivierten und zuletzt in den Revolutionen von 1917/18 niederschlugen. Durch die Einführung neuer Technologien und einer neuen Arbeitsorganisation nach amerikanischem Modell führte die Entwicklung weg von kleinen Handwerkerfirmen hin zu großen, immer weiter expandierenden Firmen, die beträchtliche Zahlen angelernter Arbeiter einstellten.
Diese neuen Arbeiter wurden erst an ihrer Arbeitsstelle in ihre jeweiligen Aufgaben eingewiesen. Der massive Zustrom der "neuen" Arbeiter führte zu einer Fülle von Problemen für eine alternde Gewerkschaftgselite, die noch in den Traditionen des Handwerks aufgewachsen war und mit der Regierung kooperierte. Im Gegensatz dazu legten die "neuen" Arbeiter eine außerordentliche Protestbereitschaft an den Tag - sie bildeten nach Kriegsende den Kern der kommunistischen Parteien in Europa. Viele dieser "neuen"Arbeiter waren Jugendliche oder Frauen, die die älteren Männer ersetzten, die zur Front geschickt worden waren. Die Beschäftigung von Jugendlichen im Alter von 14-16 Jahren stieg in Deutschland um 59 % im Maschinenbau und ungefähr 10 % in allen übrigen Fabriken. Gleichzeitig kam es zu einem beträchtlichen Anstieg der Beschäftigung von Industriearbeiterinnen.
Auf je 100 Frauen in Lohnarbeit im Jahr 1914 kamen 150 Frauen vier Jahre später. In 24 Industriebranchen verdoppelten sich die Zahlen der Arbeiterinnen sogar. Es kam zu einer Neueinstellung von Arbeiterinnen in Industriebranchen, die vorher rein männlich besetzt waren. Vor dem Hintergrund dieser Gesamtentwicklung kam es zu immer größeren Feindseligkeiten in den Reihen der europäischen Arbeiterschaft. Immer auffälliger traten Frauen und Jugendliche als Teilnehmer an Nahrungsmittelunruhen und Hungerdemonstrationen hervor. Ungefähr 75 % der Streikenden waren Frauen, die Lohnerhöhungen aber auch ein Ende des Krieges forderten.
Grundsätzlich drehten sich die Mehrzahl der Streiks in Deutschland zwischen 1916 und 1918 um die Fragen der Nahrungsrationen und Löhne. Die tiefgreifenden Entbehrungen des Krieges haben ohne jeden Zweifel zur Unzufriedenheit der Arbeiterschaft beigetragen.
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