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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Ursachen und ausbruch des krieges



2.1 Der äußere Anlass: Die Julikrise 1914

Unmittelbarer Auslöser des 1. Weltkrieges war die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Gemahlin am 28. Juni 1914 in Sarajevo durch den Studenten Gavrilo Princip. Die politischen Motive des Attentats hingen mit dem ungelösten Nationalitätenproblem des österreich-ungarischen Vielvölkerstaates zusammen: Dort lebte neben den privilegierten und staatstragenden österreichischen und ungarischen Bevölkerungsschichten eine Vielzahl von Slawen, die ihre nationale Befreiung und Autonomie anstrebten. Vor allem die im Süden der Monarchie lebenden Serben, Kroaten und Slowenen forderten seit Anfang des Jahrhunderts, frei und unabhängig über ihre Existenz entscheiden zu können (siehe Balkankriege). Durch die zunehmend slawenfeindliche Politik vor allem Ungarns, das um seine Vorrangstellung in der Doppelmonarchie fürchtete, wurden die Slawen in ihren separatistischen Bestrebungen zusätzlich bestärkt, zumal sie sich der Unterstützung des Königreiches Serbien gewiss sein konnten. Dieses nämlich stand an der Spitze einer großserbischen Bewegung, die sich die Vereinigung aller Südslawen zu einem serbischen Großreich zum Ziel gesetzt hatte und sich dabei auf die Rückendeckung Russlands verlassen konnte, welches seinerseits als Schutzmacht des Panslawismus seine Einflusssphären auf dem Balkan vergrößern wollte, nicht zuletzt um endlich einen ungehinderten Zugang zum Mittelmeer zu erhalten. Diese zentrifugalen Kräfte stellten eine existentielle Bedrohung für die Habsburgermonarchie dar. Um ihr entgegenzuwirken, entwickelte Erzherzog Franz Ferdinand einen Plan, der den bisherigen Dualismus Österreich-Ungarn im Habsburgerreich zu einem Trialismus Österreich-Ungarn-Südslawien erweitern sollte und den einzelnen slawischen Bevölkerungsgruppen Gleichberechtigung und weitgehende innere Autonomie einräumte. Nur so, glaubte er, konnten sie überhaupt noch im Reichsverband gehalten und der Fortbestand des Vielvölkerstaats gesichert werden. Eine Umsetzung dieser Idee des Ausgleichs aber hätte die Ziele des Panslawismus gefährdet und die Hoffnungen auf ein großserbisches Reich zerstört. Um dem "Trias-Plan" seine Integrationsfigur zu entziehen, beschloss die von Serbien aus operierende, radikal-nationalistische Geheimorganisation Schwarze Hand, den Thronfolger zu ermorden.

Die europäische Öffentlichkeit war von diesem Verbrechen schockiert. Praktisch alle Kabinette waren der Auffassung, dass Serbien der K.-u.-K.-Monarchie Genugtuung schuldig sei, denn eine zumindest indirekte Verantwortung der serbischen Regierung für das Attentat schien durch deren Duldung eines ganzen Netzes großserbischer Geheimorganisationen außer Frage zu stehen.

Dieses für sie so günstige Klima wollte die Donaumonarchie nutzen, um mit einer harten militärischen Strafaktion Serbien (der russische "Brückenkopf" auf dem Balkan) "als politischen Machtfaktor auszuschalten", wie Kaiser Franz Joseph in einem Brief an Wilhelm II. vom 5. Juli 1914 schrieb. Ein möglichst lokal begrenzter Konflikt in Südosteuropa, in dem Serbien zu einem abhängigen Staat herabgedrückt und so das Nationalitätenproblem ein für alle Mal gelöst werden sollte, war das machtpolitische Ziel der österreichischen Regierung, die damit auch das Risiko eines europäischen Krieges einkalkulierte. Denn Serbien konnte sich der Unterstützung Russlands sicher sein, und hinter Russland standen seit Gründung der Tripelentente (1907) Großbritannien und Frankreich.

Das Deutsche Reich stand bedingungslos hinter einer österreichischen Militäraktion gegen Serbien und ließ Franz Joseph über den deutschen Botschafter in Wien zusichern, dass der deutsche Kaiser "im Einklang mit seinen Bündnisverpflichtungen und seiner alten Freundschaft treu an der Seite Österreich-Ungarns stehen" werde. Bei der Erteilung dieser vorbehaltlosen Rückendeckung spielte auch eine Rolle, dass das sich von den übrigen europäischen Mächten "eingekreist" fühlende Deutsche Reich nicht auch noch seinen letzten Bundesgenossen verlieren wollte. Mit dieser "Blankovollmacht" im Rücken richtete die österreichische Regierung schließlich am 23. Juli 1914 ein äußerst hartes, auf 48 Stunden befristetes Ultimatum an Serbien, in dem sie u. a. die Unterdrückung jeglicher Aktionen und Propaganda gegen die territoriale Integrität der österreich-ungarischen Monarchie verlangte und eine gerichtliche Untersuchung des Attentats unter Mitwirkung österreich-ungarischer Beamter forderte.

Serbien akzeptierte das Ultimatum in fast allen Punkten und wies nur die Mitwirkung österreichischer Beamter bei den innerstaatlichen Untersuchungen zurück, da dies einen Eingriff in seine staatliche Souveränität bedeutet hätte. Die überraschend entgegenkommende serbische Antwortnote hatte einen Stimmungswandel in den Hauptstädten Europas zur Folge. Sogar Wilhelm II. betonte, dass damit "jeder Grund zum Krieg" entfalle. Noch einmal kam es zu diplomatischen Vermittlungsversuchen; ein Frieden schien nach wie vor möglich. Doch Österreich-Ungarn sah sein Vorhaben der inneren Stabilisierung durch Niederwerfung Serbiens aufgrund der internationalen Verständigungsinitiativen gefährdet und erklärte Serbien am 28. Juli 1914 den Krieg.

Damit wurde ein Räderwerk wechselseitiger Bündnisverpflichtungen und Mobilmachungen in Gang gesetzt: Am 30. Juli 1914 ordnete Zar Nikolaus II. die Gesamtmobilmachung in Russland an, worauf das Deutsche Reich einen Tag später mit einem auf zwölf Stunden befristeten Ultimatum reagierte, in welchem es die unverzügliche Einstellung der Mobilmachung gegen Deutschland und Österreich-Ungarn forderte. Da das Ultimatum unbeantwortet blieb, erklärte das Deutsche Reich am 1. August 1914 Russland den Krieg.

Nun kam es durch den Primat strategisch-militärischer Belange über jegliche politische Vernunft zur Eskalation: Da der deutsche Generalstab keinen Aufmarsch- und Kriegsplan für einen Einfrontenkampf gegen Russland ausgearbeitet hatte, war Deutschland gezwungen, im Konfliktfall nach dem einzigen existierenden Feldzugsplan (Schlieffenplan) vorzugehen. Dieser noch vom einstigen Generalstabschef Alfred Graf von Schlieffen entworfene Plan, seit 1905 nur mehr geringfügig überarbeitet, war lediglich für einen drohenden Zweifrontenkrieg gegen Frankreich und Russland konzipiert und sollte den Krieg in zwei Phasen zerlegen.

Zunächst wollte der Generalstab Frankreich im Zuge einer "Niederwerfungsstrategie" innerhalb von etwa sechs Wochen besiegen, um anschließend - noch vor der endgültig abgeschlossenen Mobilmachung Russlands - alle Truppen an die Ostfront zu werfen und den Krieg mit einem Sieg über Russland zu beenden. Am 3. August erklärte Deutschland Frankreich den Krieg. Um einen schnellen Sieg über Frankreich zu ermöglichen, sah der Schlieffenplan vor, die praktisch unüberwindbaren Befestigungen an der französischen Ostgrenze mit einem Einmarsch in das neutrale Belgien zu umgehen, dem französischen Heer von Nordwesten her in den Rücken zu fallen und es in einer Schwenkbewegung gegen die Moselfestungen, das Jura-Gebirge und die Schweizer Grenze zu drücken, um es dort in einer Umfassungsschlacht zu vernichten.

Der völkerrechtswidrige Einmarsch in Belgien musste unweigerlich Großbritannien in den Krieg ziehen, das nicht nur das europäische Gleichgewicht und damit seine eigenen Sicherheitsinteressen bedroht sah, sondern auch als Garantiemacht der belgischen Neutralität seit dem Londoner Protokoll von 1831 zum Eingreifen verpflichtet war. Am 4. August erging ein britisches Ultimatum an das Deutsche Reich, in dem der sofortige Rückzug aus Belgien verlangt wurde; um Mitternacht folgte die britische Kriegserklärung an das Deutsche Reich.

Damit war aus der Julikrise auf dem Balkan ein europäischer Großkonflikt und schließlich ein Weltkrieg geworden, in dessen Verlauf den vier Mittelmächten (Deutsches Reich, Österreich-Ungarn, Türkei und Bulgarien) 28 alliierte bzw. assoziierte Mächte (darunter Großbritannien, Frankreich, Russland, Italien, Japan und die USA) auf beinahe allen Kontinenten und großen Meeren gegenüberstanden.

2.2 Die inneren Ursachen: Imperialismus, Nationalismus, Militarismus

Die Julikrise war jedoch nur der letzte Funke gewesen, der den seit längerer Zeit schwelenden Konflikt in Europa zur Explosion gebracht hatte. Die eigentlichen Ursachen des Krieges liegen tiefer und reichen zurück ins ausgehende 19. Jahrhundert mit seinen imperialistischen Spannungen zwischen den europäischen Mächten, mit den sich damals allmählich formierenden starren Bündnissystemen, mit dem forcierten Wettrüsten (insbesondere zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich), mit der Dominanz von Chauvinismus und Militarismus und mit dem schonungslosen Konkurrenzkampf der Industrienationen um Marktanteile und Einflusssphären auf der ganzen Welt. So gab es im Vorfeld des 1. Weltkrieges immer wieder Krisen und Interessengegensätze zwischen den Großmächten, die nicht selten an den Rand eines Krieges führten und eine spannungsgeladene Atmosphäre über Europa schufen.

Das Deutsche Reich, die "verspätete Nation", wurde erst 1871 als letzter der europäischen Nationalstaaten gegründet. Es entwickelte sich schnell zum zweitgrößten Industriestaat der Erde. Aufgrund des Vorsprungs der übrigen Mächte in der Kolonialpolitik strebte es ab etwa 1890 ebenfalls intensiv nach einem "Platz an der Sonne" (also nach Kolonien in Übersee) und dem Status einer Weltmacht. Das oft kriegerische und anmaßende Auftreten Kaiser Wilhelms II. verstimmte vor allem Frankreich und Russland so nachhaltig, dass diese bereits 1894 ein Defensivbündnis gegen Deutschland schlossen. Damit war jene Zangenkonstellation eingetreten, die Bismarck - dem die Gefahr der ungünstigen geographischen Mittellage Deutschlands stets bewusst war - immer hatte verhindern wollen. Als sich das Deutsche Reich mit seinem Ausbau der Kriegsflotte zusätzlich noch die Feindschaft der traditionellen Seemacht England zuzog, war es endgültig isoliert. Deutschland fühlte sich "eingekreist", dabei hatte es sich durch aggressive und ungeschickte Machtpolitik selbst "ausgekreist".

In Frankreich beherrschte seit der Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 ein nie überwundenes Revanchedenken die Politik, die sich weigerte, den Status quo in Europa hinzunehmen (besonders in der Elsass-Lothringen-Frage), und stets auf eine Schwächung des deutschen Rivalen hinzielte.

Im Verhältnis zwischen Österreich-Ungarn und Russland prallte das Interesse eines Vielvölkerstaates mit der Idee des Panslawismus zusammen: Beides machtpolitische Konzepte, um den jeweiligen Einfluss auf dem Balkan zu vergrößern.

Großbritannien wiederum war daran interessiert, den deutschen Anspruch auf Weltgeltung einzudämmen; ein Sieg über das Deutsche Reich in einem Krieg war geeignet, endgültig die Gefahr einer mit England rivalisierenden Kriegsflotte zu bannen.

Gemeinsam war allen Regierungen ein Hang zu nationaler Prestigepolitik, was die Bemühungen um Frieden und Verständigung zunehmend erschwerte, da diese als Schwäche ausgelegt werden konnten. Hinzu kam ein innenpolitisches Nachgeben gegenüber chauvinistischen Strömungen und nationalistischen Verbänden sowie der Glaube, die bestehenden Spannungen in Europa ließen sich nur noch durch einen militärischen Konflikt lösen.

Gleichwohl gelang es allen Regierungen, ihre Völker von der eigenen Unschuld am Kriegsausbruch zu überzeugen: Serbien wies auf seine Kooperationsbereitschaft bei der Erfüllung des Ultimatums hin, Österreich-Ungarn warf Serbien panslawistische Umtriebe vor, die die Existenz des Habsburgerreiches gefährdeten; Russland erklärte, es habe nicht zulassen können, dass das slawische Brudervolk der Serben angegriffen und zu einem abhängigen Staat herabgedrückt werde. Deutschland warf Frankreich Revanchegelüste, England wirtschaftlichen Konkurrenzneid und Russland Kriegstreiberei vor (russische Gesamtmobilmachung). Frankreich und Großbritannien bezichtigten Deutschland eines aggressiven Hegemoniestrebens über Europa, welches sich während der Marokkokrisen 1905/06 und 1911, in der bosnischen Annexionskrise von 1908, der Julikrise sowie den Kriegserklärungen an Russland und Frankreich sowie der völkerrechtswidrigen Neutralitätsverletzung Belgiens überdeutlich gezeigt habe.

 
 

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