Die ersten Stunden und Tage der Zweiten Republik waren noch vom Kanonendonner und den letzten Widerständen der Deutschen Wehrmacht überschattet, denn der Krieg war auf österreichischem Boden noch nicht zu Ende. Der "Führer und Reichskanzler" Adolf Hitler schrie noch immer seine Durchhalteparolen in den Äther, die nationalsozialistischen Machtmaschinerie füsilierte noch ihre letzten Opfer, als am 27. April 1945 die Provisorische Regierung der Republik Österreich zu arbeiten begann.
Österreich gab es also wieder - doch wie sah es aus? Schier unübersehbare Schuttberge in den Städten, nur wenigen befahrbare Bahnkilometer - falls Kohle und Lokomotiven überhaupt vorhanden waren - ruinierte Straßen und Brücken, eine kaum funktionierende Strom- und Gasversorgung und eine unvorstellbare Lebensmittelknappheit beherrschten die Szene. Nur ganz wenige Landstriche, - meist die hochgelegenen und abgeschiedenen, übrigens immer schon ärmeren Gebirgstäler - waren von Kriegsschäden teilweise kaum betroffen.
Gemäß den Beschlüssen, die von den Alliierten im Februar 1945 in Jalta gefasst worden waren, wurden in Österreich vier Besatzungszonen eingerichtet. Oberösterreich nördlich der Donau mit Niederösterreich und Burgenland gehörte zur sowjetischen Zone, der Süden Oberösterreichs sowie Salzburg standen unter amerikanischer Verwaltung, die britische Zone umfasste Steiermark, Kärnten und Osttirol, die Franzosen verwalteten Tirol und Vorarlberg. Wien wurde in vier Zonen geteilt.
Die Bildung einer provisorischen Regierung unter dem 74jährigen Karl Renner erfolgte im sowjetisch besetzten Ostteil Österreichs. Schon 1918 war Renner als aktiver und verantwortlicher Politiker ein Mann der ersten Stunde gewesen. Fast gleichzeitig meldeten drei politische Parteien ein Mitspracherecht an: Die dem christlichsozialen Gedankengut verwandte ÖVP, geläutert um die Torheit des autoritären Ständestaates; die sozialistische SPÖ, ohne radikalen Flügel und die kommunistische KPÖ, die sich von der sowjetischen Besatzungsmacht gestützt fühlte. Die Erfahrungen der Kriegsjahre, der Gefängnisse und Konzentrationslager hatten eine Annäherung und Zusammenarbeit der Politiker unterschiedlicher politischer Richtungen möglich gemacht.
Am 20.Oktober 1945 wurde die Provisorische Regierung auch von den drei westlichen Besatzungsmächten anerkannt, sodass die Einheit Österreichs nicht gefährdet war. Über ein halbes Jahr verging allerdings, ehe die Österreicher in Ost und West zusammenkamen. Bei der ersten Nationalratswahl am 25.November 1945 zeigte sich, dass auch das Volk die Zusammenarbeit der beiden Großparteien ÖVP und SPÖ wünschte. Karl Renner wurde zum Bundespräsidenten gewählt. Als der erste Bundeskanzler, Leopold Figl, in seiner ersten Weihnachtsrede den Österreichern nichts versprach, weil er nichts versprechen konnte, aber um den Glauben an Österreich bat, verstand ihn das ausgehungerte, frierende und so mancher Besatzungswillkür ausgelieferte Volk.
Nahezu unvorstellbare Schwierigkeiten wurden in den ersten Jahren überwunden. Ruinen und Schuttberge wurden abgetragen und mit oft primitivsten Behelfen Werkstätten und Fabriken wieder Betrieb genommen. Die Besatzungsmächte unterstützten zwar den Aufbauwillen, beeinträchtigten aber andererseits die Durchführung durch ihre Bevormundung und Uneinigkeit. So wurde der Aufbau langsam, aber nach langer Zeit "erfolgreich" abgeschlossen. Das Ende der Besatzungszeit war eine dringende Notwendigkeit- mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages am 15.5. 1955 war auch dies erreicht.
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