19. und frühes 20. Jh.
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Von Anbeginn hatten sich die Tibeter des Zugriffs der chinesischen Nachbarn zu erwehren, die 1720 schließlich doch erfolgreich Tibet zum chinesischen Protektorat erklären. Ab 1723 steht Tibet unter der "Schutzherrschaft" chinesischer Mandschu-Kaiser. Sie endete allerdings endgültig, als tibetische Soldaten 1912 Pekings Truppen aus Lhasa vertreiben. Der 13. Dalai Lama proklamiert 1913 die Unabhängigkeit Tibets.
Durch die Unabhängigkeit Tibets werden westliche Länder auf das Königreich aufmerksam. China zeigt intensive Interesse an Tibets Einverleibung, doch dies widerspricht den britischen Vorstellungen einer Sicherheitszone zwischen China und Indien.
1918 dringen chinesische Truppen bis nach Lhasa vor, werden aber von den tibetischen Truppen zum Rückzug gezwungen. 1933 stirbt der 13. Dalai Lama; während des 2. Weltkrieges verfolgt Tibet eine strikte Neutralitätspolitik. 1942 beginnt Tibet seine diplomatischen Bemühungen auszuweiten. Zuallererst mit der traditionell verbundenen Mongolei, begründet durch die engen spirituellen und historischen Bande.
Erst mit Hinweis der britischen Regierung auf den unabhängigen Status Tibets, beginnt sich die US-Regierung näher mit Tibet zu beschäftigen. Dennoch findet Chinas Forderung auf die Herrschaft Tibets bei der US-Regierung Anerkennung, um die guten Beziehungen zu China nicht zu untergraben. Eine tibetische Delegation übergibt der chinesischen Regierung den sogenannten "Neun-Punkte Plan" zum Aufbau politisch-diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Tibets Hoffnung ist es, eine freundschaftliche oder zumindest friedliche Beziehung mit China aufbauen zu können.
In China kündigen sich nach dem 2. Weltkrieg große Veränderungen an. So wendet man sich vom Konzept der nationalen territorialen Autonomie zugunsten der nationalen Minderheiten ab, und proklamiert von nun an die Unterordnung unter den chinesischen Gesamtstaat. 1949 schließlich erringen die Kommunisten die militärischen Oberhand über die nationalistische Regierung unter Tschiang Kai-Shek. "Nunmehr forderten die chinesischen Kommunisten von allen Nationalitäten strikte Unterordnung unter den Zentralstaat. In einer Anweisung des Zentralkomitees der kommunistischen Partei vom Oktober 1949 an ihr Nordwestbüro heißt es unmißverständlich: "(...) was die Frage der "Selbstbestimmung" der nationalen Minderheiten betrifft, so sollte diese heute nicht mehr betont werden.""
Als eines der vordringlichsten Ziele wird die "Rückkehr Tibets in den Schoß des Mutterlandes" definiert.
Vordringen chinesischer Truppen
Der 13. Dalai Lama versäumte, die Unabhängigkeit Tibets 1913 völkerrechtlich abzusichern. So marschiert 1950 die "Volksbefreiungsarmee" der Volksrepublik China bis Lhasa, um Tibet zurück zu erobern. Tibet wendet sich an die Regierung der US, Großbritannien und Indien, in der Hoffnung diese Großmächte würden zu Hilfe eilen. Doch keines dieser Länder will sich so kurz nach dem 2. Weltkrieg wieder auf ein militärisches Abenteuer einlassen.
Die USA und Indien, aber auch Tibet, verbindet in dieser Phase das gemeinsame Interesse, die kommunistischen Expansionsvorhaben zurückzudrängen. Es darf auch nicht außer Acht gelassen werden, daß 1950 die Kommunisten in Moskau die Kontrolle über Peking fest in ihren Händen halten. Die USA sehen in Tibet ab nun einen Partner im Kampf gegen den Kommunismus, doch bitten sie Tibet, zuerst Indien um Hilfe zu fragen, um Indiens Vormachtstellung in dieser Region nicht zu untergraben.
Als 1950 die PLA (People´s Liberation Army) in Tibet eindringt, sieht die tibetische Regierung nun seine letzte Hoffnung durch die Aufnahme in den Vereinigten Nationen. Doch als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinigten Nationen mit Vetorecht, ist es unmöglich gegen die Zustimmung Chinas ein positives Votum zu erreichen. Des weiteren steht auch Rußland einem möglichen Ansuchen mit demselben Mißtrauen gegenüber.
Am 25. August 1950 erklärt der chinesische Außenminister, jeden militärischen Konflikt in der Tibet-Frage vermeiden zu wollen und bittet aus diesem Grund eine tibetische Delegation um Aufnahme von direkten Gesprächen in Neu-Dheli. Als Verhandlungsbasis werden zwei Punkte als gegeben vorausgesetzt:
Die Anerkennung Tibets als Bestandteil der Volksrepublik China.
Das Überlassen der nationalen Verteidigung chinesischer Obsorge.
Noch bevor Tibet die negative Antwort seiner Regierung auf die chinesische Forderung überbringen kann, rücken bereits chinesische Truppen, auf tibetisches Territorium vor.
Indien richtet eine Protestnote an Peking, worin es Unverständnis für die Aggression Chinas äußert. Chinas Antwort auf das indische Protestschreiben ist klar und unmißverständlich: Man wirft Indien vor, Expansionspolitik betreiben zu wollen und warnt zugleich vor Einmischung innerer Angelegenheiten.
Das 17-Punkte-Abkommen
Unter der Drohung einer möglichen Invasion chinesischer Truppen in Lhasa unterzeichnet Tibet schließlich das sogenannte 17-Punkte-Abkommen. Am 23. Mai 1951 einigten sich die Vertreter der Zentralen Volksregierung und der Tibetischen Lokalregierung über Maßnahmen zur friedlichen Befreiung Tibets. Auf Basis dieses Abkommens verlor Tibet seinen Status als unabhängige Nation. Da dieses Abkommen vom Dalai Lama nicht mit der nötigen Vollmacht ausgestattet ist, wird das tibetische Siegel, welches eine formale Gültigkeitsvorraussetzung ist, einfach durch ein altes chinesisches ersetzt.
Anders die Darstellung von chinesischer Seite: "Am 24. Oktober 1951 sandte der Dalai Lama ein Telegramm an den Vorsitzenden Mao Zedong, in dem es unter anderem heißt: "Am 23. Mai 1951 haben die Vertreter der beiden Seiten auf der Grundlage der Freundschaft ein Abkommen über Maßnahmen zur friedlichen Befreiung Tibets unterzeichnet. Die Tibetische Lokalregierung , die tibetischen Mönche und Volksmassen unterstützten das Abkommen einstimmig und werden unter Führung des Vorsitzenden Mao Zedong und der Zentralen Volksregierung den in Tibet stationierten Truppen aktiv zu helfen, die Landesverteidigung zu verstärken, die imperialistischen Kräfte aus Tibet zu vertreiben und die territoriale Einheit und die Souveränität des Vaterlandes zu schützen."
Bis 1951 sind etwa 20.000 chinesische Soldaten in Tibet stationiert, um so die Kontrolle über das ganze Land zu erreichen. Bei erster Möglichkeit, nach seiner Flucht nach Indien, erklärt der Dalai Lama 1959 zum betreffenden "17-Punkte-Abkommen": "While I and my government did not voluntarily accept the Agreement, we were obliged to acquiesce in it and decided to abide by the terms and conditions in order to save my people and country from the danger of total destruction."
Unwirksame Staatsgebietsaneignung
Aus völkerrechtlicher Sicht erfüllt die Eingliederung Tibets in den chinesischen Staatenverband 1951 den Tatbestand der Annexion. Formell wurde im 17-Punkte-Abkommen das Verhältnis der Länder zueinander festgelegt, indem Tibet eine gewisse Autonomie zugesichert wird und China von nun an die auswärtigen Angelegenheiten und die militärische Hoheitsgewalt übernimmt. Doch beruht der Vertrag auf der militärischen Unterlegenheit Tibets und gegen dessen Willen.
Gemäß Artikel 52 der Wiener Konvention über das Recht der Verträge ist ein unter Zwang abgeschlossener Vertrag, der eine Besetzung bestätigt, nichtig.
Die Annexion stellt im heutigen gültigen Völkerrecht keinen wirksamen Gebietstitel mehr dar. Somit übt China heute ohne gültigen Gebietstitel die Gebietshoheit über Tibet aus.
Der tibetische Volksaufstand
China fordert unmißverständlich die totale Unterwerfung unter die kommunistische Politik. Tibet soll im Einklang mit den anderen Landesteilen an der modernen Entwicklung teilhaben. Dies soll in Umsetzung von Reformen auf Grundlage des 17-Pnkte.-Abkommens geschehen, womit man auch den Einfluß des Dalai Lama einzuschränken versucht. Mit Unterstützung der Sowjetunion und den osteuropäischen Staaten beschließt China 1953 den ersten Fünfjahresplan mit Schwerpunkt auf der Entwicklung der Schwerindustrie. Am Ende dieser Periode sind fast alle Betriebe verstaatlicht und die Bauern in Genossenschaften zusammengefaßt.
1958 will Mao Tse-tung innerhalb weniger Jahre die wirtschaftlich fortgeschrittenen Länder in der Pro-Kopf-Produktion einholen. Nun werden die Bauern in Volkskommunen zusammengefaßt und in besonders geförderten Industriebereichen eingesetzt. Dies hat zur Folge, daß viele Länder nicht mehr bestellt werden können und die Ernten verloren gehen. Eine schwere Hungersnot überfällt das Land, der Millionen zum Opfer fallen.
"Ihm, der in militärischen Kategorien dachte, der sich die chinesischen Volksbefreiungsarmee für seine Zukunftsmodelle auserkoren hatte, waren alle Kritiker seiner Vision Verräter, Feinde, die es auszuschalten galt. (...). Konfuzianismus galt als "reaktionär" und alle Religionen, etwa der das Mitgefühl betonende Buddhismus, waren bloß Opium für das Volk - Gift, wie sich Mao ausdrückte."
1954 ist der Aufbau des einheitlichen Verwaltungssystems beendet und China wird nunmehr in sechs große Verwaltungsregionen eingeteilt, die den militärischen Großbezirken entsprechen. Als einzig noch nicht eingegliederte Region bleibt Zentraltibet, in der 1958 noch immer neben der Volksbefreiungsarmee die Religion des Dalai Lama existiert.
Ab Mitte der fünfziger Jahre regt sich der Widerstand in den früheren tibetischen Ostprovinzen, die sich jetzt formell auf chinesischem Boden befinden. Der Dalai Lama beugt sich dem Druck der Volksbefreiungsarmee und entfernt antichinesische Minister aus seiner Regierung. Durch die Verstärkung der chinesischen Truppenkontinents kommt es zu einem Versorgungsengpaß , was die Anspannung in der Bevölkerung weiter steigen läßt.
1954 unterschreibt der Dalai Lama ein chinesisch-tibetisches Handelsabkommen, indem Tibet als "tibetisches Gebiet der Volksrepublik China" bezeichnet wird, ein außenpolitischer Erfolg Chinas. Peking versucht einerseits die tibetischen Gebiete durch materielle Entwicklung und Verbesserung der Infrastruktur und andererseits durch die schrittweise Einführung der kommunistisch-"demokratischen" Reform an sich zu binden.
Es folgt eine Ausradierung des tibetischen Wertsystems, indem der Dalai Lama, Buddha, der Buddhismus und die Mönchsgemeinde als heilig gelten. Bis zur chinesischen Invasion war dieses System nie in frage gestellt worden. Bald wird Lhasa das Zentrum des Widerstandes und noch mehr konzentriert sich alles Interesse auf die Person des Dalai Lama. Dieser versucht immer wieder, durch Zugeständnisse an die chinesische Regierung, Blutvergießen zu verhindern.
Der 10. März 1959 sollte schließlich ein schicksalhafter Tag in der Geschichte Tibets werden. An diesem Tag sollte der Dalai Lama einer Theatervorstellung im chinesischen Truppenlager beiwohnen. Die Vermutung einer geplanten Entführung durch die Chinesen, versetzte das tibetische Volk in helle Aufregung. Die Tibeter versuchen jeden weiteren Kontakt des Dalai Lama mit den Chinesen zu unterbinden und versammeln sich unterhalb des Potala-Palastes. Die Menschenmasse verlangte den sofortigen Abzug der chinesischen Truppen aus ganz Tibet. Der Dalai Lama wird gegen dessen Willen von den Aufständischen festgehalten, so verliert er und seine Regierung an diesem Tag die Autorität über das Volk.
Mit den ersten Granateneinschlägen am 18. März 1959 entschließt sich der Dalai Lama zur heimlichen Flucht nach Indien. Schon im Jahre 1959 also findet die gewährte Autonomie somit ihr abruptes Ende, als, nach der Flucht des Dalai Lama die tibetische Regierung aufgelöst und das Land verwaltungsgemäß in das chinesische System eingegliedert wird.
Folgen des Aufstandes
Schon auf der Flucht nach Indien werden dem Dalai Lama die traditionellen Symbole der Herrschaft überreicht und am 26. März 1959 unterzeichnet er eine Proklamation über die Einsetzung einer provisorischen Regierung des unabhängigen Tibets. Bis Ende 1959 sollten 17.000 Tibeter dem Dalai Lama ins Exil gefolgt sein.
Am 28. März 1959 wird die Auflösung der bestehenden Regierung und die Einsetzung einer neuen kommunistischen Regierung verkündet. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen stimmt 1961 einer von Irland, Malaysia, El Salvador und Thailand eingebrachten Resolution zu - gegen die Stimmen des kommunistischen Blocks - in der China aufgefordert wird, das tibetische Volk nicht weiter seiner grundlegenden Rechte zu berauben. Als auch eine zweite und dritte Resolution der UNO wirkungslos verhallte, stand die Tibet-Frage in der Volksversammlung nicht mehr auf der Tagesordnung.
Im Sommer und Herbst 1964 kommt es zu Studentenunruhen, in deren Folge der neuerrichtete Kulturpalast in Flammen aufgeht. Dies führt zur Zurücknahme der gemäßigteren Politik der letzten zwei Jahre.
Die Kulturrevolution
Die Zeit von 1966-1976, Zeit der "Kulturrevolution", war die schlimmste Zeit für die Bevölkerung Tibets. Die Kulturrevolution ist eng verbunden mit der Person Mao Tse-tung und seiner Vorstellung der klassenlosen Gesellschaft.
1958 propagiert Mao den "Großen Sprung nach vorne", was vorerst nur die Einführung des Kommunismus zur Folge hat. Dann geht man daran die Stahlproduktion zu steigern und die Landwirtschaft zu vernachlässigen. Mao bereitet einen Angriff auf den pragmatisch gesinnten Flügel der KP vor, die in seinen Augen seine Ideale zu verraten scheint. Mao schaltet die "Machthaber auf kapitalistischem Weg" aus. Intellektuelle werden als Klassenfeinde betrachtet, es kommt zu blutigen Gefechten und Kampftruppen bilden sich. Die Lage eskaliert und China steht vor einem Bürgerkrieg.
Mao und seine Weggefährten setzten den "Großen Sprung nach vorne" weiter fort, was China Mitte der 70er Jahre an den Rand eines Zusammenbruchs führt. Durch die Ansiedlung von Industrie, Straßenbauten, Bau von Staudämmen und eines Flughafens wird zwar die Infrastruktur verbessert, aber gleichzeitig die Landwirtschaft vernachlässigt.
Als am 25. August 1966 die Kulturrevolution ausbricht, richtet sich die Aggression der Chinesen, gemäß dem Auftrag Maos, gegen die alten Ideen, die alte Kultur, alte Traditionen und alte Sitten und Bräuche, vor allem die traditionell sehr einflußreichen Klöster stehen im Mittelpunkt des Zerstörungswahnes des Militärs.
Die Tibeter werden gezwungen ihre traditionelle Kleidung gegen eine chinesische zu wechseln. Sie werden angehalten, Loblieder auf Mao zu singen, ihre traditionellen Tänze müssen sie fortan gegen chinesische Folkloretänze tauschen. Männer wurden kastriert, um die tibetische Rasse auszurotten. Man hat die Tibeter mit Waffengewalt dazu gebracht, eigenhändig ihre Haustiere zu töten, was von Buddhisten wie Mord an einem Menschen empfunden wird. Tausende landeten als politische Gefangene in Gefängnissen. Dort sollten sie nach chinesischen Richtlinien erzogen werden. Wer sich dagegen aufbäumte, wurde gnadenlos hingerichtet. Mönche und Mönchsanwärter wurden dazu gezwungen, chinesische Frauen zu heiraten und mit ihnen Kinder zu zeugen. Mit dem Tod Maos 1976 geht die Kulturrevolution zu Ende und China erlebt eine Liberalisierung.
Seit 1987 werden systematische Kampagnen von Zwangssterilisationen und Zwangsabtreibung - bis zum 9. Monat - und Tötung Neugeborener durch Injektionen oder Verbrühen durchgeführt. Durch die "Kulturrevolution" verringerte sich die Zahl der Klöster und religiösen Stätten nach einer chinesischen Schätzung von 2463 im Jahr 1959 auf zehn im Jahr 1976. Als "Wiedergutmachung" begannen die Chinesen nach 1980 damit, viele der Klöster wieder zu errichten
Obwohl dem tibetischen Volk seit 1979 wieder größere Freiheiten eingeräumt werden und der Glaube die Verfolgung überlebt hat, besteht zwischen Tibetern und Chinesen immer noch ein gespanntes Verhältnis. Die Umsiedelungspolitik von Chinesen nach Tibet ließ die Tibeter zur Minorität im eigenen Land werden. Die Umwelt wird zunehmend durch Raubbau zerstört - Wälder werden abgeholzt, Mineralien abgebaut. Es werden Atomwaffentests durchgeführt und Atommüll abgelagert. Für die Tibeter ist ihr Land zu einem Gefängnis geworden.
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