Zusammenfassend lässt sich sagen, dass im Falle des heiligen Franziskus die Wunder in den Legenden eine denkbar geringe Rolle spielen. Viel bedeutsamer ist die Beispielhaftigkeit des Lebens des Heiligen, der derart konsequent das Erbe Jesu Christi antrat, der sich in einer "Zeit der Stärke, Autorität und Macht" derart bewusst schwach, wehrlos und friedfertig zeigte und so zum Vorbild wurde.
Auch in Raoul Mansellis Standardwerk Franziskus: Der solidarische Bruder kommen die Wundertaten des Franziskus kaum zur Sprache. Er betont viel nachhaltiger das Charisma des Heiligen , die "persönliche Faszination, die von Franziskus ausging" , seine "Intensität der Menschlichkeit" , den Anstoß an die Gläubigen zur Buße und seine Rolle als "mitfühlender Vater unter seinen Söhnen" . Bemerkenswert scheint Manselli die Festigkeit in der Formulierung des eigenen Ideals und die Flexibilität bei dessen Anpassung an die jeweiligen Umstände, ohne dass dabei je die Grundelemente verfälscht wurden.
Werden Wunder in den ersten Legenden überhaupt erwähnt, dann äußerst zögerlich und nur um der, zumeist päpstlichen Tradition, ein Heiliger müsse doch Wundertaten vollbracht haben, genüge zu tun.
Dieser Usus hatte allerdings nicht lange Bestand, immer mehr wurde Franziskus als "gewöhnlicher Heiliger" angesehen, dessen Legende man einfach einen Wunderkatalog beifügen musste. In der Legenda Aurea fand diese Entwicklung ihren vorläufigen Höhepunkt; Franziskus wird wie jeder andere dargestellt, seine Legende ist eine Aneinanderreihung von Mirakelgeschichten. Man darf aber nicht glauben, dass diese der Beispielhaftigkeit des Lebens des Heiligen irgendeinen Abbruch taten. Sie wurden bloß als selbstverständlicher Bestandteil einer Heiligenlegende angesehen und nicht mehr, wie in den Anfängen, abgelehnt.
|