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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Privatssphre vor ffentlicher verpflichtung?



Mit den liberalen Rechten der Vertragsfreiheit, Vereins- und Verbandsfreiheit, Rede- und Pressefreiheit werden viele Formen gesellschaftlicher Beziehungen erst mglich ge¬macht. Die persnlichen Rechte dienen der Entfaltung der Talente (es ist Aufgabe des Staates, diese zu frdern) und nicht der Schaffung von Egoismen; eines dem einzelnen vorbehaltenden Raumes.(Vgl. S.387f.) Auch Liberale kennen Tugenden (Vernnftigkeit, Toleranz, Ablehnung kriegerischer Tugenden) und Pflichten (Kindererziehung, Loyalitt gegenber den Gesetzen), soda gesellschaftliche Pflichten und politische Freiheit durch¬aus miteinander vereinbar sind.(Vgl. S.391f.)
Dem Vorwurf der konomisierung des geistigen Lebens und der Entfesselung des wirtschaftlichen Egoismusses hlt Holmes die historische Erfahrung entgegen, nach der das beste Mittel gegen die Probleme des Mangels ein reguliertes Privateigentum und der Handel ist.(Vgl. S.370)
Dennoch ist eine Gleichsetzung von Liberalismus mit einem \"Extrem-Individualismus\" falsch. Holmes verneint, da Freiheit bedeute, alle erdenklichen Bedrfnisse zu erfllen. Es gibt einen Primat der moralischen Normen ber subjektive Neigungen. \"Die Liberalen vertraten keinen zgellosen Selbstgenu.\"(S.400)

Obwohl dem Staat seitens der Liberalen immer Zweifel entgegengebracht werden (ihm also quasi systemimmanent immer zuzutrauen sein mu, seine Macht zu mibrauchen und daher auf Kontrollmechanismen Wert zu legen ist ) schreiben sie ihm auf der anderen Seite wichtige Aufgaben zu. Er ist fr die Infrastruktur und das Bildungswesen, fr Ar¬menfrsorge und den Justizapparat zustndig. Der liberal orientierte Staat setzt vor allem ein einheitliches Rechtssystem und eine einzige Norm der Gerechtigkeit durch.(Vgl. S.351)
Da der Liberalismus in den Augen seiner Kritiker die allgemeinen Ziele, die die Men¬schen verfolgen sollten, niedriger hngt, hat damit zu tun, da er sich vorrangig der Vor¬aussetzungen der Verfolgung der Ziele (d.h. Frieden, Gerechtigkeit, Wohlfahrt etc.) ver¬schrieben hat. Individuen und Untergruppen knnen sich dann um die \"erhabenen\" Ziele kmmern.(Vgl. S.378; siehe hier auch Anmerkung 8)
Auch der Vorwurf moralischen Skeptizismusses geht ins Leere. Das Recht eines jeden, seine moralische Wahrheit zu suchen korrespondiert mit einer Selbstdisziplinierung auf¬grund des Respektes vor dem anderen. Auch die Organisation der Machtkontrolle mittels Gewaltenteilung ist letztlich moralisch, da sie darauf abstellt, mavolle und gerechte Ge¬setze hervorzubringen.(Vgl. S.411) Der Staat schafft berdies mit dem Rechtssystem eine einheitliche gesellschaftliche Norm. Alle Liberalen ordnen das Eigeninteresse einer verbin¬denen und einklagbaren Norm der Gerechtigkeit unter. Daher sind Liberale keine radika¬len Subjektivisten.(Vgl. S.407f. und S.410) Das Verbot, sich selbst von den Gesetzen aus¬zunehmen ist das zentrale Gebot liberaler Theorie. \"Der Ausschlu von ererbten Herr¬schaftsmonopolen ist zugleich eine Besttigung der Chancengleichheit:\"(S.411) Fr den liberal Denkenden ist wichtig, da der Stand, in dem man hineingeboren wird, nicht der Schlssel zum Leben ist.(Vgl. S.340)



3. Diskussion

Holmes versteht den Liberalismus als Produkt von Lsungsvorschlgen auf konkrete geschichtliche Probleme (Brgerkrieg, berwindung der Monarchie). Die Strkung des Individuums ist als Abwehrstrategie gegen einen willkrlich handelnden Staat zu begrei¬fen. Dieser wiederum hat sich nicht mehr einzumischen als unbedingt erforderlich (zu schnell wrde er sonst in die Schutzbereiche der persnlichen Rechte eingreifen). Der Staat hat ganz im Gegenteil dafr zu sorgen, da diese persnlichen Rechte gewhrleistet sind (einklagbare Norm der Gerechtigkeit). Er ist dafr verantwortlich, da die Spielregeln fr das friedliche Zusammenleben eingehalten werden. Der Gesellschaft selbst wird aufge¬tragen, sich um die politischen Ziele zu kmmern. Der Liberalismus stellt gewissermaen nur den Rahmen dar, den Pinsel fr das zu zeichnende Bild liegt in der Hand des Volkes (bzw. seiner Reprsentanten). Auch knnen und sollen an diesem Bild immer wieder n¬derungen vorgenommen werden. Der Liberalismus schlgt lediglich die (aus seiner Sicht) optimale Verfatheit zur Erreichung politischer Ziele vor, nicht diese selbst. Genau hier greift nun der Antliberalismus an. Er beklagt die Ziellosigkeit liberaler Gesellschaften und ihr Unvermgen, dem einzelnen darin einzuweisen, was \"Gutes Leben\" heit. Der Libera¬lismus hinterlt nichtzuletzt aufgrund seines Zweifels gegenber der Religion eine Orien¬tierungslosigkeit und ein moralisches Loch. Der Entwurzelung der Menschen folgt kein Umtopfen sondern der alleinige Hinweis darauf, da jeder fr sich die Wahrheit finden mu.
Es stellt sich daher die Frage, wieviel Lenkung der Mensch (durch wen) zu erfahren hat. Besonders interessant sind hier die Einstellungen von de Maistre und Strauss, die sich bewut fr Mythen z.B. der Religion (Strauss) oder Lgen und Dogmen (de Maistre) aus¬sprechen, um soziale Stabilitt zu gewhrleisten und eine \"massenhafte Enthem¬mung\"(Strauss) zu verhindern.(S.o.)
Wie sehr ist der Mensch in der Lage, auf sich selbst gestellt vernnftig und \"sinnerfllt\" zu leben? Braucht er ein von auen vorgegebenes Ziel?
Die liberale Antwort auf die Frage ist mittelbar: Da die Lenkung von auen in der Re¬gel immer frher oder spter zu Mibrauch von Macht fhrt und die Rechte des einzelnen entweder historisch noch gar nicht entwickelt waren oder eben mit Fen getreten wer¬den, bedarf es der Strkung der Einzelperson gegenber dem Staat. Mit anderen Worten: Der Liberalismus sagt nicht, da der Mensch keine Orientierung brauche, er hlt aufgrund der Erfahrungen Kirche und Staat fr nur sehr bedingt geeignet, die Funktion des Orien¬tierungsgebenden einzunehmen. Er strkt im Gegenzug lieber die Rechte des einzelnen, um ihn gegenber Angriffen von auen zu immunisieren. Darberhinaus hat der Liberalis¬mus die Erfahrung umgesetzt, da \"die eine Wahrheit\" immer gefhrlich ist. Sie sagen daher (und fordern jeden entsprechend dazu auf, kritisch zu sein), da keiner sagen kann, im Besitz der Wahrheit zu sein. Im Grunde ist der Liberalismus um das Wohl der Men¬schen besorgt und schliet daraus Schlsse, die jedem zu diesem Wohl verhelfen sollen.
Fhrt nun die Strkung der persnlichen Rechte und die Ausrichtung der Staatsorgani¬sation auf das Individuum zu einer Atomisierung der Gesellschaft? Der Vorwurf der Anti¬liberalen lautet, da mit der Grndung eines liberalen Staates der Zusammenhalt der Ge¬meinschaft veschwindet. Es gibt kein gemeinsames Ziel mehr, der \"idyllische Konsens\" wird durch einen \"endlosen Disput\" ersetzt.(Alasdair MacIntyre; s.o.) Hier hat Holmes sicherlich recht, wenn er den Antiliberalen vorwirft, die Vergangenheit zur Sttzung ihrer Thesen gnadenlos schnzureden. Denn der Liberalismus ist wie gesagt auch die Reaktion auf - wie ich meine - schlechtere, rechtlosere Zeiten. Andererseits sind Ziele, auf die ge¬meinschaftlich eingeschworen wird, hufig als \"besser-nicht-zu-verfolgen\" einzustufen. Auch das ist wiederum ein Grund, warum Liberale die Tugend der Vernunft hoch ein¬schtzen. Ein jeder mu selbstndig berdenken, was fr ein Ziel ihn da angeboten wird; ein kollektiv-bedingungsloses Folgen kann zwar Gemeinschaftssinn stiften, aber in der Konsequenz auch zutiefst unmenschlich sein. Das Hervorheben der Gemeinschaft auf Kosten des Individuums brgt daher immer die Gefahr in sich, da Vernunft auf der Strecke bleibt. Es sieht daher ganz so aus, als sei ein Verlust an Gemeinschaftsgefhl (wie er den Kommunitaristen vorschwebt) auch ein wenig der Preis fr einen weniger unver¬nnftigen Umgang unter den Menschen insgesamt.

Andererseits bleibt es durchaus schwammig, inwieweit der Liberalismus das Allgemein¬wohl zu frdern gedenkt. Zwar listet Holmes als eine der Voraussetzungen fr die Verfol¬gung politischer Ziele die Wohlfahrt auf. Gerechtigkeit und Selbstbestimmung sieht der Liberalismus als Beitrag zum Allgemeinwohl an. Nur ist das natrlich ein eher schmaler Begriff von Allgemeinwohl, und Holmes gibt auch zu, da der Wert eines Individuums nicht daran gemessen wird, ob er etwas zum allgemeinen Wohl beitrgt. Auch die angege¬benen Tugenden und gesellschaftlichen Pflichten umfassen nichts, was wesentlich ber das eigene Wohl (und im Falle der Kindererziehung) das der Familie hinausgeht. Wenn aber keine moralische Verpflichtung besteht, z.B. ehrenamtlich \"Gutes zu tun\" und dem Staat aufgegeben wird, sich auf den Kern seiner Aufgaben zu beschrnken, so kann hier leicht eine Lcke entstehen.

Wenn Liberalismus von der Idee her nicht \"Extrem-Individualismus\" bedeutet, so mu man doch fragen, ob er ihn nicht erst ermglicht. Holmes weist an mehrern Stellen seines Buches darauf hin, da man den Liberalismus als politische Theorie und die liberalen Ge¬sellschaften im Konkreten bei der Diskussion auseinanderhalten mu. So kann man durch¬aus die einzelnen westlichen Gesellschaften fr ihren Umgang mit dem Liberalismus kriti¬sieren (Hedonismus etc.). Nur ist das der Fall, kann man wiederum fragen, ob der Mensch geeignet ist, mit ihm umzugehen, seine Freiheit vernnftig zu gebrauchen. Gibt es einen Automatismus, der dem Menschen gegebene Freiheit immer zu Zgellosigkeit verleitet? Die Alternative wre aber, zu bevormunden. Die einzige Mglichkeit scheint daher weiter¬hin zu sein z.B. mittels Aufklrung und \"Appellen an die Vernunft\", \"das Beste aus der Freiheit zu machen\". Eine Zwischenlsung erscheint schwer vorstellbar: Entweder ich ver¬traue in die Vernunft des einzelnen bzw. darauf, da sich diese irgendwann durchsetzen kann, oder ich bergebe die moralische Lenkung einer ueren Instanz (die im brigen \"wissen\" mte, was denn der rechte Weg ist), mit dem beraus hohen Risiko, da diese ihre Macht mibraucht. (Liberale wrden vermutlich sagen, da sie allein deswegen ihre Macht mibraucht, da sie zur Begrndung derselben den Anspruch haben mu, im Besitz der Wahrheit zu sein, diesem Anspruch aber niemand gerecht werden kann.)

 
 

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