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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Martin luther (ca.1500 n.)



Martin Luther (ca.1500 n.) : Kriege sind eine Notwendigkeit. Ihre Abschaffung wäre utopisch. In der Situation allgemeinen Unfrie¬dens, in der Gewalt, Unterdrückung, Raub und Mord herrschen, stellt der kleine Unfrieden, d.h. ein kurzer Krieg zur Beseitigung solcher Zustände, das geringere Übel dar. Der Krieg dient zur Be¬strafung der Übeltäter. Er ist unter 2 Bedingungen gerechtfertigt:
einmal muss ein Verteidigungsfall vorliegen, zweitens müssen die Methoden der Kriegsführung - in der antiken Theorie ausdrücklich als irrelevant eingeschätzt - angemessen und gottesfürchtig sein. Auch der Verteidiger darf seinen Aggressionen nicht freien Lauf lassen; Luther strebt nur eine weitere, über die Antike hinausge¬hende Humanisierung des Krieges an. Mit der Betonung des rechten Verhaltens während des Krieges als eigenständige Bedingung schließt Luther eine Lücke, die die antike Theorie gelassen hat; dort ist die Frage der Rechtfertigung mit dem Aufzeigen gerechter Gründe und Absichten sowie einer formaljuristisch korrekten Eröff¬nung im wesentlichen beantwortet. Die Verfahrensweise im Kampf selbst unterliegt keinen weiteren Bestimmungen. Nach einer einmal festgestellten Berechtigung zur Kriegsaufnahme folgt die Kriegsführung selbst nur nach den Gesetzen der Taktik und Strategie. Selbst Augustinus vertritt diesen Standpunkt noch ausdrücklich. Der Ausgang des gerechten Krieges entspricht einem Gottesurteil. Luthers Gedanken entwickelten sich unter dem Eindruck der Bauernkriege mit ihren blutigen Ausschreitungen auf beiden Seiten.
* Neuzeitliche Positionen:
- In den Religionskriegen des 16. und 17.Jhdts. erwies sich das Definitionsmoment der causa iusta immer mehr als unpraktikabel und wurde deshalb aufgegeben. Beide Parteien waren überzeugt, die cau¬sa iusta auf ihrer Seite zu haben; gerade dieses Bewusstsein führte zu Ausschreitungen und Grausamkeiten. Nunmehr wird die Berechti¬gung des Krieges an der rechtmäßigen Autorität, der legitimen Absicht (pax) und dem modus debitus (Angemessenheit der Methode) ge¬messen.
- Die dt. Aufklärung und der dt. Idealismus (l8./19.Jhdt.) verur¬teilen den Krieg prinzipiell als den natürlichen Interessen des Menschen entgegenlaufend und der Vernunft widersprechend. Als ge¬rechtfertigt gilt nur der Verteidigungskrieg bzw. Befreiungskrieg gegen einen Eroberer (wie Napoleon). Herder (ca. 1800) glaubt wie Erasmus an die Kraft der moralischen Belehrung und die Möglichkeit einer Bewusstseinsänderung, die zur Abschaffung des Krieges führen könne. Ergebnis eines erneuten Humanisierungsprozesses sind die Prinzipien der Unterscheidung von Militär und Zivilbevölkerung, Schonung der Kriegsgefangenen, die Einrichtung des Roten Kreuzes.
- Der Marxismus/Leninismus beurteilt die Berechtigung des Krieges vom Klassenstandpunkt aus; er unterscheidet zwischen progressiven/ gerechten und reaktionären/ ungerechten Kriegen. Berechtigt sind die Kriege der Unterdrückten gegen die unterdrückende Klasse, Befreiungskriege gegen imperialistische Ausbeutung und Kriege zur Sicherung der sog. sozialistischen Errungenschaften. Erst in der klassenlosen Gesellschaft wird der Krieg überwunden sein.
- In der Gegenwart wird die Theorie des gerechten Krieges zuneh¬mend mit Skepsis betrachtet oder abgelehnt. Es scheint sich die Linie einer prinzipiellen Ächtung des Krieges wie sie Erasmus ver¬treten hat, durchzusetzen. Dafür kann man folgende Argumente an¬führen:

* Die Lehre vom gerechten Krieg eröffnet Manipulationsmöglichkei¬ten: Vortäuschung eines Verteidigungsfalls und anderer gerechter Kriegsgründe; gezielte Herbeiführung einer kriegsträchtigen Situa¬tion durch provokante Politik. In ideologisch überformten Gesell¬schaftssystemen erscheint die Gefahr unausweichlich, dass die in¬tentio recta mit den Zielen der herrschenden Ideologie z.B. Herr¬schaft der ,,überlegenen\" Rasse, Ausbreitung des Sozialismus, Er¬richtung eines islamischen Gottesstaates gleichgesetzt wird.
* Angesichts der Kriegsverbrechen ist der optimistische Glaube an eine Humanisierung des Krieges durch gesetzliche und moralische Festlegungen ad absurdum geführt worden. Der Krieg unterliegt offenbar einer Eigengesetzlichkeit, die sich gegenüber allen juri¬stischen, moralischen und humanitären Erwägungen durchsetzt.
* Die Eigengesetzlichkeit des Krieges bringt einen sittlichen Ver¬fall der kriegsführenden Parteien mit sich. Offensichtlich setzt der Krieg das sittliche Empfinden außer Kraft.
* Die Aufrechterhaltung der Idee des gerechten Krieges führt zu gewaltigen Rüstungsanstrengungen. Das durch die Hochrüstung er¬zielte labile Gleichgewicht des Schreckens, die sog. pax atomica, könnte durch politische Entwicklungen (Aufkommen von Diktatoren) zerstört werden und in einer Weltkatastrophe enden. Angesichts der modernen Waffensysteme ist kein Krieg denkbar, in dem nicht auch die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen würde.
* Völlig konträr zum bellum iustum ist die Idee des totalen Krie¬ges, in dem die gesamte Volkswirtschaft auf den Krieg ausgerichtet ist und die Zivilbevölkerung zu Kriegszwecken eingesetzt wird. Ge¬rechte Kriege im Sinn der Theorie zielen nur ab auf die Zerstörung der feindlichen Streitkräfte und die politische Niederwerfung des Gegners. Ein totaler Krieg widerspricht dem Prinzip der Bestrafung der Schuldigen bei gleichzeitiger Schonung der Unschuldigen.
* Die Intention der pax iusta ist in der Gegenwart nicht mehr durch Kriege zu verwirklichen. Jeder Krieg bringt die Gefahr einer Ausweitung zum Atomkrieg mit sich, dessen Ausgang nicht die pax, sondern die Vernichtung der Menschheit wäre.
* Der Gedanke des Erasmus, dass Kriege ungeeignet sind als Mittel zur Wiederherstellung des Friedens, wozu sie der Theorie ent¬sprechend dienen sollen, hat sich in der Geschichte bewahrheitet. Durch Kriege, auch wenn sie durch Verträge beendet werden, entste¬hen Situationen neuen, oft weltweiten Unfriedens. Das Prinzip der Kriegskette, demzufolge ein Krieg weitere kriegsähnliche Situatio¬nen und tatsächliche Kriege nach sich zieht, das bereits in der Antike (Polybios) erkannt und von Erasmus aufgegriffen wurde, hat angesichts der heutigen internationalen Verflechtungen und der da¬durch gegebenen größeren Konfliktmöglichkeiten eine besondere Bri¬sanz.

 
 

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