3.1 Einführung
Der Begriff \\\"Klassik\\\" weist auf die literaturgeschichtliche Periode von 1786 bis 1832 in Deutschland hin (laut Buch jedoch von 1770 bis 1830 als eine in sich zusammenhängende geistesgeschichtliche Einheit). Die Einteilung der Klassik in einen bestimmten Zeitraum des 18. und 19.Jhd. bringt Schwierigkeiten mit sich, da die einzelnen Perioden wie Sturm und Drang, Klassik und Romantik sich aus einer geschichtlichen Folge entwickelt haben und somit miteinander verknüpft sind und zu einer Epoche gehören. Der Begriff der Klassik ist weiter ein Ausdruck für eine große künstlerische Leistung, die zeitlos gültig ist. In der Klassik war man darum bemüht, etwas vollendet Musterhaftes oder Vorbildliches dichterisch darzustellen. Im Mittelpunkt stand der Mensch (als von Gott geschaffenes höchstes natürliches Lebewesen (\\\"schöne Seele\\\")), mit einem großen Spektrum an Gefühl, Sinnlichkeit, Trieben und Sittlichkeit. Es galt den Menschen und das Menschliche in seiner Vollendung und Abgründigkeit vollkommen darzustellen. Die Klassik erhielt dadurch ihre Geschlossenheit und Zeitlosigkeit. Es bedurfte großer Genialität, den hohen Ansprüchen der Dichtkunst zu genügen. Die zwei Männer, die die Voraussetzung dafür hatten, drückten der Zeit ihren Stempel auf. Die Männer waren:
Johann Wolfgang Goethe, dem die Genialität nachgesagt wird und der den \\\"Kopf\\\" und die \\\"Hand\\\" dieses Zeitalters darstellte.
Friedrich Schiller, der von Natur aus nicht mit einer derartigen Genialität wie Goethe ausgestattet war, sondern statt dessen das \\\"Herz\\\" in die Klassik brachte.
Beide führten das fort, was von anderen in der vorangegangenen Epoche schon erarbeitet worden war: den Entwicklungsgedanken Lessings, den Schöpfungsglauben Klopstocks, das Harmoniestreben Wielands, den Irrationalismus Hamanns, das Schönheitsideal Winckelmanns und das Humanitätsbewußtsein Herders. Ein Vorbild fanden sie auch in der französischen Klassik, bei der die Literatur durch die Verbindung von \\\"höfischen\\\" und \\\"bürgerlichen Idealen\\\" geprägt war.
3.2. Hauptelemente der literaturgeschichtlichen Epoche
Um die Hauptelemente der literaturgeschichtlichen Epoche darzustellen, bedarf es lediglich einer Untersuchung der Literatur Schillers und Goethes, denn sie leiteten mit ihrer Literatur erst die Klassik in Deutschland ein (oft wird diese Epoche auch als \\\"Goethezeit\\\" bezeichnet, da er mit seinem Genie ganz besonders an der Ausprägung der deutschen Klassik beteiligt war). Dabei muß man jedoch die Schillerschen und Goetheschen Hauptelemente voneinander trennen, da beide mit verschiedenen Intentionen an ihre Werke gingen.
3.2.1. Die Hauptelemente der Literatur Johann Wolfgang Goethes
In seiner dichterischen Freiheit war Goethe das Vorbild der Stürmer und Dränger gewesen. Persönliche Erlebnisse, wie die Berufung nach Weimar oder die Begegnungen mit der Frau von Stein, leiteten die Wende zur Klassik ein. Beeinflußt durch die Philosophie und Ethik Spinozas, kam es zu besonderen Elementen in der Goetheschen Literatur:
Die Forderung der \\\"Klarheit des Intellekts\\\", das heißt die Forderung eines vollendeten Menschen, dessen Handeln durch Vernunft bestimmt ist. Dieser Mensch zeichnet sich dadurch aus, daß er intelligent ist, über Allgemeinwissen verfügt und sich seiner Situation (irdisches Leben) bewußt ist. Der Zustand des modernen Menschen ist im Vergleich mit dem griechischen oder antiken Menschen unzureichend, deshalb die Forderung des Rückblicks auf Leistungen der Antike.
Wechselverhältnis zwischen Typus und Metamorphose.
Mit Typus ist hier ein Grundzustand, etwas Gleichbleibendes gemeint. Die Metamorphose ist die Wandlung oder Veränderung des Grundzustandes. Diese Veränderung umfaßt sowohl gesell-schaftliche als auch menschliche Veränderungen (Veränderungen des Charakters).
Gesetz und Dämon
Mit Dämon ist hier die Vielfältigkeit des menschlichen Charakters gemeint, der von dämonischen, übersinnlichen Kräften bestimmt wird. Dieser Vielfältigkeit (gute und böse Eigenschaften) werden durch das Gesetz (Gesellschaftsordnung, Religion) Verhaltensregeln vorgegeben.
Gesetz und Natur
Die Natur des Menschen sind seine natürlichen, amoralischen Triebe, denen durch bestimmte Gesetze Einhalt geboten wird.
Das Leitbild des schönen Menschen
organische, physische Schönheit:
Diese Schönheit umfaßt die äußere Form des Menschen, die Proportionen seines Körpers.
moralische Schönheit: Diese Schönheit erfaßt das Innere eines Menschen, sein Verständnis von Sittlichkeit und Moral.
selbsterworbene Schönheit:
Diese Schönheit ist der Ausdruck innerer Freude und Wohl-wollens. Sie ist die Wirkung und der Ausdruck moralischer Ideen.
Schönheit ist Freiheit in der Erscheinung:
Der Mensch, der handelt, muß etwas ohne Zwang ausüben oder vollführen. Die Handlung muß als selbstverständlich von ihm verspürt werden.Der Mann ist schön durch Freiheit in der Stärke, das Weib durch Freiheit in der Schwäche.
Schönheit der Sprache:
Der Mensch muß eine schöne Sprache haben (Dichtkunst)
Schönheit der Natur:
Die äußere Form der Natur und ihr Inneres, das sich frei entfalten kann, werden als schön verstanden. Die klassische Schönheit ist das sich selbst Bedeutende und das sich selber Deutende. Ein Mensch, der diese Punkte in sich vereint, ist das Leitbild eines schönen Menschen.
Harmonie
Der Mensch als ausgeglichene Persönlichkeit, die es schafft, Gefühl, Verstand, Geist und Natur in Einklang zu bringen.
Humanität (= Menschlichkeit)
Der Mensch als vernunftbegabtes Wesen ist zur Einsicht fähig und damit in der Lage, sich zu vervollkommnen. Sein Handeln ist bestimmt durch sein Menschsein; deswegen ist er für sein Handeln selbst verantwortlich. Das Zusammenleben mit anderen Menschen fordert ein sittliches Handeln, Wahrhaftigkeit und Gewissenhaftigkeit.Die Normen, die dadurch aufgestellt werden, besitzen zeitlose Gültigkeit.
Die Antike als Vorbild und Leitbild der Dichtkunst
(Aus \\\"Gespräch über das Antike\\\" von Johann Wolfgang Goethe)
Das antike Tragische ist das menschlich Tragierte, es eignet sich von daher, den Menschen in seiner Vollendung und Abgründigkeit zu beschreiben. Das Antike ist bedingt (wahrscheinlich, menschlich). Das antike Magische hat Stil, das Moderne nicht. Das Antike ist plastisch (Ideale Form zur Darstellung des Menschen). Alle empirische Poesie, die griechische oder antike, ist charakteristisch und individuell, eignet sich daher zur Darstellung von zeitlosen Normen in Verknüpfung mit dem Menschen. Die Poesie ohne Charakter ist nicht empirisch darzustellen, deswegen muß alles, was ums imponieren soll, Charakter haben, wie das erhöhte Griechentum.
3.2.2. Die Hauptelemente der Literatur Friedrich Schillers:
Schillers klassisches Dichtertum wurde durch schwere finanzielle Nöte und sein Ringen um seine Existenz eingeleitet. Von daher ist auch zu erklären, warum er sich in einigen Punkten von Goethe unterscheidet.
Ringen mit dem Schicksal
Der Mensch ist der Spielball in den Händen der übernatürlichen Kräfte, die sein Dasein bestimmen.
Dualistisches Weltbild
Der Mensch zwischen Idee und Leben, Hoffnung und Angst, Leben und Tod, Freiheit und Zwang, Glück und Leid, Frieden und Krieg, Form und Stoff, Kunst und Wirklichkeit, insgesamt als das Zusammenwirken von Gegensätzen.
Dialektisches Weltbild
Tragödie als Theodizee
Obwohl der Mensch den übernatürlichen Mächten nicht gewachsen ist und an ihnen scheitert (Tragödie), bewahrt das Innere (geistiges Ideal) ihn vorm Untergang. Das Geistige verläßt den physischen Körper und wird dadurch erhöht. Der Mensch scheitert nicht, sondern er trotzt seinem Schicksal und siegt über die übernatürlichen Kräfte, da diese nur seinem physischen Körper beeinflussen können.
Erhabenheit oder die Überwindung der Schuld
Der Mensch verfügt über ein Äußeres (Taten, Triebe, Begebenheiten, Aussehen, Handlungen) und über ein Inneres (geistiges Ideal). Das Zusammenwirken beider gibt dem Menschen seine Individualität. Das Äußere ist den über-natürlichen Mächten unterworfen. Der Sinn dieser Zerstörungen der Natur und den Katastrophen (Verhängnis des Menschen) ist es, den Durchbruch des reinen Geistes im Menschen zu veranlassen, wobei der Geist sich zur Idee der Freiheit erheben mag. Es ist ein Schritt aus der Welt der Erscheinungen heraus in die Ideenwelt, aus dem Bedingten (dem Wahrscheinlichen, Realen, Menschlichen) ins Unbedingte (Totalität, Freiheit, Abstraktheit). Der physische und der moralische Mensch scheiden voneinander, wobei der Mensch mit seiner Vernunft und ihren Ideen das Unbedingte zwar ungefähr vor Augen hat, es jedoch mit seinem Verstand und seinen Begriffen nicht erfassen kann. Die Erhabenheit ist die Überwindung des sinnlichen, physischen Todes, wobei das geistige Ideal erhöht wird und über die übernatürlichen Kräfte siegt.
In vielen Punkten stehen sich Goethe und Schiller nahe, in einigen jedoch trennen sich ihre Wege. Jeder für sich folgt seiner Intention.
3.3. Literaturkritik an Goethe und Schiller
3.3.1. Joseph von Eichendorff \\\"Über Goethe\\\"
Goethes Poesie ist eine Naturpoesie in höherem Sinne, sie gibt plastische Vollendung und sinnliche Genüge, ihre Harmonie ist ihre Schönheit, ihre Schönheit ist ihre Religion. Die Poesie wächst durch Metamorphose bis zur natürlichen Symbolik des Höchsten (Mystik: Die Darstellung der Natur in ihrer Vielfaltigkeit und Vollendung ist nur durch Mystik möglich).
3.3.2. Adam Müller \\\"Über Schiller\\\"
Schillers Werke streben nach der Höhe.
Goethes Werke streben nach der Mitte.
Während Goethe als Genie \\\"Kopf und Hand\\\" der Klassik bildet, bringt Schiller das \\\"Herz\\\" vielseitig in Betrachtungen ein. Bei ihm stehen Personen, endliche Gestalten im Mittelpunkt der Handlung, die das Ewige ausdrücken.Seine trübe Sentimentalität haucht alle Orakel der Schönheit, die von seinem Munde ausgehen, wieder aus.Er hat eine bestimmte Sache, eine fixierte Allegorie der Liebe, des Glaubens, der Religion vor Augen und drückt sie durch immer abstrakter, idealistisch werdende Begebenheiten und Helden aus, weil er sie in höhere Regionen tragen will. Dadurch jedoch versteinerten sich die Werke zu unvollendeten Palästen.
3.4. Form des Dramas in der Klassik
Das Drama ist in 5 Akte gegliedert. Die Handlung führt straff zu einem Höhepunkt (meistens im 3. Akt) und kommt von dort zu einem versöhnlichen Schluß oder zur Katastrophe. Die Personenzahl der Darsteller ist beschränkt, der Schauplatz wechselt weniger. Die Zeit läuft kontinuierlich ab. Die Sprache der Darsteller ist als elaborierter Code zu bezeichnen. In den einzelnen Akten wechseln sich Dialoge und Monologe ab, wobei in den Monologen der Charakter der darstellenden Person am besten ersichtlich wird. Die Sprachform ist der Blankvers, wobei entweder auf antike Verse zurückgegriffen wird (z.B. Pentameter, Hexameter), oder auf die einfache deutsche Reimstrophe.
Insgesamt kann man sagen, daß die Form des Dramas in der Klassik ziemlich streng ist; dies beruht jedoch auf dem Willen der Schriftsteller, ästhetisch anspruchsvolle und zeitlose Kunstwerke zu schaffen.
|