Der lange Weg des Jassir Arafat Jassir Arafat hat einen Traum. Doch angesichts der ins Stocken geratenen Verhandlungen über ein endgültiges Friedensabkommen zwischen Israelis und Palästinensern macht sich dieser eher wie eine leise Drohung an seine Partner aus: \"Die Unruhen gehen solange weiter, bis ein palästinensisches Mädchen oder ein Junge die palästinensische Flagge über Jerusalem, der Hauptstadt Palästinas, hissen wird.\" ________________________________________ Die Fakten jedoch, um die es im Streit zwischen den beiden Seiten geht, sind damit klar definiert: Land für Frieden, Schaffung eines palästinensischen Staates und der endgültige Status von Jerusalem. Unklar ist nur weiterhin, welche Städte und Dörfer, welche Siedlungen und teilweise gar welche Straßen von der einen oder anderen Seite zu verwalten sind. Dabei geht es nur vordergründig um Prozentzahlen der Territorien, um Sicherheitsinteressen und -garantien. Grundsätzlich allerdings geht es auch darum, den jahrhundertealten Streit um das Heilige Land zum ersten Mal einvernehmlich und nicht mit Hilfe kriegerischer Mittel zu regeln, ein Klima zu schaffen, dass es beiden Völkern erlaubt in friedlicher Eintracht nebeneinander zu leben.
Richtiggehend getrennt werden können die beiden Staaten ohnehin nicht. Dazu sind die Verknüpfungen viel zu eng, das Land viel zu klein. Da stehen sich die Interessen von Siedlern und Religiösen, von Geschäftsleuten und Arbeitern, von Soldaten und Sicherheitspolitikern gegenüber. Allein wirtschaftlich wird sich keiner der beiden Staaten ohne den anderen wirklich durchsetzen können, Tausende von Palästinensern arbeiten in Israel - ohne sie würde auch diese recht fortschrittliche Volkswirtschaft zusammenbrechen. Und somit bleibt die Aufgabe für die Verhandlungsführer beider Seiten ihre konfliktbereiten Landsleute zurückzuhalten und gemeinsam die rechtlichen Schritte für die Zukunft einzuleiten. Während in der Demokratie Israel die Premierminister in den vergangenen Jahren seit Begin des Osloer Friedensprozesses 1993 gewechselt haben, steht auf palästinensischer Seite ein Mann, der seit den sechziger Jahren eine bedeutende Rolle spielt: Jassir Arafat.
Der Aufstieg Der 1929 wahrscheinlich im Gazastreifen geborene Arafat begann seine politische Laufbahn mit 23 Jahren als Präsident der palästinensischen Studentenvereinigung in Kairo. Im zweiten arabisch-israelischen Krieg von 1956 war er Leutnant der ägyptischen Armee, bevor er bis 1965 in Kuwait mit einer Baufirma wohl eine beträchtliche Menge Geld verdiente. 1959 gründete er im Alter von 30 Jahren seine ihm bis heute treu ergebene Kampfgruppe Al-Fatah. Im Gegensatz zu anderen palästinensischen Gruppen, die sich zumeist linksrevolutionär gaben wie die PFLP von Georges Habasch oder panarabisch orientiert waren, erklärte sich die Fatah als national-palästinensisch und begann Mitte der sechziger Jahre vom Libanon aus mit dem bewaffneten Kampf gegen den Erzfeind Israel. Der junge Mann mit dem Decknamen Abu Ammar wurde zum weltweit bekannten Terroristen. Innerhalb kurzer Zeit gewann die Fatah so viel Einfluss, dass sie 1969 in die erst fünf Jahre zuvor gegründete Palästinensische Befreiungsorganisation PLO aufgenommen und Arafat zum Vorsitzenden des Exekutivrats gewählt wurde.
Doch gleich seine ersten Bemühungen im neuen Amt scheiterten. Zu auffällig waren seine Vorbereitungen, mit denen die PLO 1970 die Macht in Jordanien übernehmen wollte, dass König Hussein die Palästinenser im \"Schwarzen September\" aus seinem Land jagte, Teile der PLO durch die jordanische Armee zerrieben wurden. Das neue Hauptquartier wurde im Libanon installiert. Da jedoch die Höhen und Tiefen im Leben des Jassir Arafat eng beieinander liegen, ging es bald schon wieder aufwärts. Nachdem die PLO von der arabischen Gipfelkonferenz 1974 als einzige legitime Vertreterin des palästinensischen Volkes deklariert wurde, hielt Arafat noch im selben Jahr mit Kuffiya, der arabischen Kopfbedeckung, und umgeschnallter Pistole vor der UN-Hauptversammlung eine emotionale Rede. Die ersten Schritte zu einer politischen Lösung waren getan, Arafats Ruf in der Welt verbesserte sich.
Vom Falken zur Taube Obgleich ihm oftmals und von vielen Seiten nach dem Leben getrachtet wurde, wuchs Arafats Rolle. Als Israel 1982 in den Libanon einmarschierte, war es dem Eingreifen der USA, ein Jahr später gegen den Aufstand abtrünniger Fatah-Kämpfer auch dem der Franzosen zu verdanken, dass Arafat das Land lebend verlassen konnte. 1985 scheiterte ein israelischer Luftangriff in Tunis, weil der Überlebenskünstler nach langen Gesprächen in der Villa seines Stellvertreters nächtigte und nicht in den Gebäuden des PLO-Hauptquartiers. Jahrelang ließ sich Arafat auch nachts noch mit dem Auto an andere Orte bringen, selten schlief er zweimal am selben Ort. Die Wende in den Friedensbemühungen vollzog sich in der zweiten Hälfte 1988. Gut ein Jahr nach dem Beginn der Intifada, dem ersten Aufstand steinewerfender Jugendlicher, beschloss der Palästinensische Nationalrat die UN-Resolutionen 242 und 338 zu akzeptieren und dem Terrorismus abzuschwören.
Dies kam de facto einer Anerkennung der Existenz Israels gleich. Im Dezember 1988 vertagte sich die UN-Vollversammlung mit großer Mehrheit nach Genf, da Arafat durch Ronald Reagans letzen Außenminister ein Einreiseverbot für die USA erhalten hatte. Zwei Tage nach diesem diplomatischen Sieg Arafats zeigten sich die USA bereit, einen \"gehaltvollen Dialog\" zu eröffnen. Dabei wurde Arafat als Präsident eines \"Staates Palästina\" vom Weltsicherheitsrat anerkannt, bis es zu einer demokratischen Entscheidung des palästinensischen Volkes gekommen sei. Der Friedensprozess Zwar gefährdete Arafat seine politische Zukunft wieder einmal, als er sich Anfang der neunziger Jahre im zweiten Golfkrieg offen auf Seiten Saddam Husseins stellte, doch bereits im September 1991 zeigte er sich als zuverlässiger Ansprechpartner für den Friedensprozess als er seiner PLO die Teilnahme an der Nahostkonferenz in Madrid abrang, damals noch in einer gemischten Delegation mit Jordanien. Weitere zwei Jahre sollte es dauern, bis Israel die PLO und Arafat tatsächlich anerkannten, doch dann ging alles sehr schnell.
Im September 1993 kam es zu dem historischen Händedruck zwischen den beiden von Scharfmachern zu Partnern gewandelten Jizchak Rabin und Jassir Arafat vor dem weißen Haus in Washington, ein Jahr später erhielten sie zusammen mit Shimon Peres den Friedensnobelpreis. Ebenso rasant sollte der Aufbau der Wirtschaft vonstatten gehen. Die Golfstaaten hatten bereits eine Milliarde Mark zugesagt, die westlichen Staaten eine ähnlich hohe Summe. Zudem sollten einzelne Staaten \"Wirtschaftspatenschaften\" übernehmen, Deutschland etwa den Aufbau eines Handelsnetzes, Frankreich das Verkehrswesen betreuen. Eine durchaus neue und aussichtsreiche Variante. Doch seither erhielt die so rasch beginnende Versöhnung etliche Dämpfer.
Zwar ist inzwischen eine palästinensische Selbstverwaltung, die Nationalbehörde PNA, eingerichtet und in den ersten demokratischen Wahlen zeigten sich die Palästinenser ihrer neuen Chance durchaus bewusst. 1995 jedoch wurde Rabin von einem fanatischen Thorastudenten ermordet, sein konservativer Nachfolger Netanjahu baute neue Siedlungen und die Delegationen begannen, sich um Prozentzahlen des Rückzuges, um die genauen Daten, die immer wieder verschoben wurden, und die Kontrolle über Straßenkreuzungen zu streiten. Der große Traum des Jassir Arafat aber blieb erhalten. Lange genug waren die Palästinenser ein Volk ohne eigenes Territorium, zum großen Teil weit verstreut als Flüchtlinge bei den arabischen Nachbarn oder unter israelischer Kontrolle mit nur mangelhaften Rechten und miserablen Zukunftschancen ausgestattet. Die Proklamation eines eigenständigen Staates hat Arafat bisher mehrfach verschoben, wohl stets in der Gewissheit, dass sich ihm dadurch weiterer Verhandlungsspielraum bot. Denn ebenso wichtig ist ihm die Frage nach dem endgültigen Status von Jerusalem.
Der gesamten arabischen Welt hat er die Kontrolle über eine der heiligsten Stätten des Islam versprochen - und dieses Ziel, die palästinensische Hauptstadt Al-Quds samt Tempelberg und der Al-Aksa-Moschee, ist nun greifbar nah. Nur die Klagemauer führt noch zu israelischen Bedenken. Es bleiben die Heerscharen palästinensischer Flüchtlinge im Libanon, in Jordanien und anderen Staaten, die Israel nicht aufnehmen will und Arafat zumindest noch nicht in sein kleines und wirtschaftlich äußerst instabiles Palästina aufnehmen kann. Wahrscheinlich werden sie weiterhin Opfer dieses Konfliktes bleiben. Doch auch das Problem des Terrorismus ist weiterhin nicht gebannt. Neue Gegner haben sich herausgebildet, auf arabischer Seite die Terrorgruppen der Hamas und des islamischen Dschihad, auf israelischer orthodoxe und rechtsradikaler Juden.
Arafat selber ist schon oft nur knapp mit seinem Leben davon gekommen, hat vielfache Terroranschläge und politische Niederlagen überlebt. Und doch hat er die Hoffnung, eines Tages friedlich im Bett zu sterben. Bleibt die Frage, ob das Bett in Jerusalem oder Jericho stehen wird. Denn auch weiterhin besteht die Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten. Die Konflikte der Zukunft werden nicht mehr \"zwischen Juden und Arabern ausgefochten\", sagt der israelische Schriftsteller Amos Oz. \"Statt dessen geht es jetzt um den Kampf gegen die gewalttätigen Eiferer auf beiden Seiten.
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