Kursarbeit
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Die moderne japanische Stadt ist durch das Gegenüber von sehr großen und sehr kleinen Strukturen gekennzeichnet, das zu einem Patchwork von ganz unterschiedlichen Vierteln führt.
Einerseits gibt es die großen, technisch hochentwickelten Geschäfts-, Einkaufs- und Verwaltungsgegenden wie Shinjuku oder Ebisu in Tokio, die bewußt geplant und architektonisch gestaltet sind. Das moderne Japan mit seiner global agierenden Wirtschaft zeigt sich hier in breiten, baumbestandenen Straßen, weiten öffentlichen Plätzen, Fußgängerbrücken, gepflegten Grünflächen und städtischem Mobiliar. Die Entwicklung dieser Gegenden, die an die wichtigen Infrastrukturlinien und besonders Tokios Eisenbahnring, die "Yamanote\"-Linie angeschlossen sind, ist seit langem ein Hauptanliegen von zentral geplanten Regierungsprogrammen, Stadtentwicklungsplänen und architektonischen Entwürfen. Ebenfalls an der "Yamanote\"-Linie liegen die quirligen Einkaufsgegenden Shibuya und Ikebukuro, die aus dem Wettbewerb privater Investoren entstanden sind. Architektonische Vielfalt, das Gewirr von Reklameschildern und Bildschirmen sowie die Mischung von Gebäuden unterschiedlichster Dimensionen und Typologie lassen oft vergessen, daß es sich auch hier um überregionale Zentren mit großflächigem Grundbesitz handelt.
Andererseits finden sich zwischen und neben diesen Zentren traditionelle Nachbarschaften: niedrige, oft hölzerne Einfamilienbauten oder kleine Mietshäuser mit winzigen Gärten reihen sich an engen, verschlungenen Wegen. Das Straßenbild wird durch Topfpflanzen und Blumen, überirdische elektrische Leitungen und Pfeiler bestimmt. Schulen und Kindergärten sind häufig zu Fuß oder Fahrrad zu erreichen. Im Mittelpunkt der kleinen Wohngebiete finden sich meist Einkaufsstraßen mit kleinen Läden und Restaurants sowie vereinzelten Werkstätten wie etwa Tatami- oder Tofu-Herstellern. Convenience stores ergänzen das Angebot. Lokale Polizeistationen, sogenannte koban, tragen zur öffentlichen Sicherheit bei, und die dort tätigen Beamten sind wichtige Helfer bei der Orientierung im Straßengewirr japanischer Städte. Nicht so sehr die bauliche Gestaltung, sondern die traditionellen Nachbarschaftsorganisationen und das soziale Netzwerk prägen den Charakter dieser Gegenden.
Die offensichtliche Kluft zwischen diesen beiden Ausprägungen der Stadt hinsichtlich ihrer Modernisierung und ihres Standards ist das Ergebnis der Prioritäten, die von der japanischen Regierung über viele Jahrzehnte gesetzt wurden. Industrialisierung und wirtschaftliche Entwicklung, der Bau von nationalen Infrastrukturen und Geschäftszentren sowie die Gestaltung der Hauptstadt als politisches und wirtschaftliches Zentrum waren die wesentlichen Ziele der Regierung. Die städtebauliche und architektonische Gestaltung der traditionellen Nachbarschaften wurde lange Zeit vernachlässigt.
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