Die große Verfassungskrise der 1890er Jahre, gekennzeichnet durch die Diskussion um das >persönliche Regiment< Wilhelms II., verwies auf jenen unbewältigten gesellschaftlichen Wandlungsprozeß, den der Übergang vom Agrar- zum Industriestaat hervorrief. Ein konstruktiver Ansatz zu innerer Entspannung lag anfangs in dem >Neuen Kurs< der Innenpolitik (Fortsetzung staatl. Sozialpolitik zur Lösung der sozialen Frage). Dieser Kurs konnte sich auf Dauer jedoch nicht durchsetzen; während sich in Preußen die konservativen Mehrheiten (Sammlungspolitik J. von Miquels) durchsetzen konnten, mußten im Reich die Kräfte des allg.
Wahlrechts (Zentrum, Aufstieg der Sozialdemokratie) berücksichtigt werden. Die Reformansätze des Reichskanzlers T. von Bethmann Hollweg kamen jedoch zu spät. Die weltpolitische Gruppierung wurde seit der Jahrhundertwende vor allem durch die Einbeziehung Großbritanniens und Deutschlands (dt.-brit. Flottenrivalität) in zwei gegensätzliche Lager gekennzeichnet: Entente cordiale (später Tripelentente) bzw.
Zweibund (der Dreibund wurde durch die stille Teilhaberschaft Italiens an der Tripelentente zur hohlen Form). Die Marokkokrisen 1905 und 1911 zeigten die Isolierung der deutschen Diplomatie. Aus der bosnischen Annexionskrise (1908/09) und den Balkankriegen entstand (1912/13) die Krisensituation, aus der nach dem Mord von Sarajevo der 1. Weltkrieg (1914-18) ausgelöst wurde. Während die parlamentarische Linke seit 1916 die Beendigung des Krieges verlangte und, gestützt auf Forderungen der alliierten Kriegsgegner, auf Einlösung des Versprechens verfassungspolitischer >Neuorientierung< pochte, sahen die Gruppierungen der Rechten bis in das Zentrum hinein im Anschluß an die halbdiktatorische 3. Oberste Heeresleitung (Hindenburg, Ludendorff) die Alternative zum Kurs innerer Reform.
Erst die Stoßwellen revolutionärer Explosionen 1918 veränderten die innere Kräfteverteilung in Deutschland. Die Ausweglosigkeit der militärischen Lage, verbunden mit den Friedensversprechungen der Vierzehn Punkte des amerikanischen Präsidenten Wodrow Wilson, führte Ende Sept. 1918 zur Bildung einer erstmals aus Parlamentariern bestehenden Regierung unter Prinz Max von Baden, deren Hauptaufgabe die Beendigung des Krieges wurde. Die Novemberrevolution war Ergebnis des Zusammenbruchs und beschleunigte nur in geringem Maß dessen Verlauf. Doch täuschte das Bild einer Revolution: Auf der Grundlage gegenseitiger Absicherung mit der Armee schaltete der Rat der Volksbeauftragten die mit ihm konkurrierende politische Willensbildung des Systems der Arbeiter-und-Soldaten-Räte aus. In den Wahlen zur in Weimar tagenden Nationalversammlung erhielten die Partner der Weimarer Koalition eine 3/4-Mehrheit und konnten weitgehend die Kompromißstruktur der Weimarer Reichsverfassung (11.
8. 1919) festlegen.
|