Die antike Piraterie galt keineswegs nur als deutlich abzugrenzender Akt des Raubens, der \"gewaltsamen Wegnahme\", vielmehr eröffnet sich dem Historiker ein in seinen Konturen sehr unscharfes und vielschichtiges Phänomen, dessen Ganzes erst aus einer Betrachtung seiner ökonomischen, politischen, sozialen, juristischen und ideologischen Teile ersichtlich wird. Schon in den Schriften des Thukydides wird das Widersprüchliche in der antiken Position zum Seeraub klar erkennbar (Thuk. 1, 5):
Denn die ältesten Hellenen und auch die Barbaren an den Küsten des Festlandes und die die Inseln bewohnten, hatten kaum begonnen, mit Schiffen zueinander hinüberzufahren, als sie sich auch schon auf den Seeraub verlegten, wobei gerade die tüchtigsten Männer sie anführten, zu eignem Gewinn und um Nahrung für die Schwachen; sie überfielen unbefestigte Städte und offne Siedlungen und lebten so fast ganz vom Raub. Dies Werk brachte noch keine Schande, eher sogar Ruhm; das zeigen heute noch manche Stämme auf dem Festland, wo es ehrenvoll ist, sich darin auszuzeichnen, und die älteren Dichter, bei denen die Frage an Landende immer gleich lautet, ob sie Seeräuber seien, ohne daß die Befragten beleidigt wären oder, wer sich so erkundigt, in diesem Tun etwas Böses sähe.
Piraterie war also nicht nur das Handwerk gewalttätiger Räuber, sondern durchaus ein Betätigungsfeld, auf dem tüchtige Männer Ruhm erlangen und für sich und andere Reichtümer und Nahrung erbeuten konnten. Die Bezeichnung ´Seeräuber´ erweckte weder im Befragten noch im Fragenden unangenehme Assoziationen.
Wenngleich auch Raub und Seeräuberei in Form trivialen Besitzerwerbs in der gesamten Antike diskreditiert und häufig mit physischer Gewalt bekämpft wurde, so sind doch neben diesen Tendenzen der Ausgrenzung zahlreiche zur gesellschaftlichen Integration der Piraterie zu erkennen. Das zeigt sich im ökonomischen Bereich besonders daran, daß die Piraterie zwar einerseits ein Hemmnis des Handelns und Reisens bedeutete, andererseits aber selbst wirtschaftlich starke Positionen, z.B. beim Sklavenhandel, übernahm. Auch im militärischen Sektor verhielt es sich ähnlich, Piratenbekämpfung und Anheuerung derselben als Söldner in den eigenen Truppen gingen Hand in Hand. Selbst die diskreditierte Form des reinen Besitzerwerbs erfuhr unter bestimmten gesellschaftlich-kulturellen Gesichtspunkten eine allgemeine Billigung, beispielsweise als staatlich autorisierte Kampftaktik oder als rechtlich begründete Selbsthilfe. Es wird also offensichtlich, daß die Interpretation eines seeräuberischen Aktes in der Antike stets von kulturspezifischen Konventionen abhing. Oft genug war jedoch eine ´räuberische Lebensweise´ lediglich eine Form des Widerstandes gegen fremde Okkupatoren und ein Akt der Selbstbereicherung, denn die Piratenschiffe wurden zumeist von wohlhabenden Geschäftsleuten und Abenteurern zu ihrem eigenen Nutzen ausgerüstet.
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