3.1 Ein Volk "artfremden" Blutes
Die Sinti und Roma waren ein Nomadenvolk, dessen ursprüngliche Heimat wahrscheinlich Nordindien war. Durch zunehmende blutige Auseinandersetzungen und Massaker im 9. und den folgenden Jahrhunderten war dieses Volk gezwungen, aus dem Nahen Osten in das westliche Europa zu siedeln.
Die Sinti und Roma wurden auch als Zigeuner bezeichnet. Diesen Namen erhielten sie von den Griechen, die sie nach einer ketzerischen Sekte benannten "atsangani", da die Sinti und Roma die Zukunft vorhersagen konnten. Über dieses Volk gab es viele Vorurteile, wie zum Beispiel: Unsauberkeit, Überträger von Seuchen und Krankheiten, Rituale mit Menschenopfern, ihre Sprache, die als Kauderwelsch und Gaunersprache galt. Diese, durch die Geschichte, langzeitlich geprägten Vorurteile und die daraus resultierende Intoleranz und Ablehnung der Völker gegenüber den Zigeunern, bereitete unter anderem ihren Weg in den Holocaust vor.
Seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten, wurden die Sinti und Roma nicht als Arier anerkannt, obwohl ihre Muttersprache eine indoarische Sprache ist. Um diese Behauptung untermauern zu können, wurden nationalsozialistische Roma-Forschungsinstitutionen zur Bekämpfung des "Zigeunerwesens" gegründet. Ihre Ziele bestanden darin, alle Sinti und Roma ausfindig zu machen und diese nach ihrer Abstammung zu klassifizieren (s. Anlagen Abb. 1), um jeden "stammechten Zigeuner" und "Zigeunermischling" in Deutschland aufzuspüren.
Durch die zunehmende Ausbreitung der Zigeuner in Deutschland, sahen die nationalsozialistischen Machthaber die Gefahr der Vermischung mit den Deutschen. Dem galt es vorzubeugen.
Im Jahre 1939 erschien ein Artikel in der NS-Parteikorrespondenz von Dr. Behrendt, einem Mitarbeiter der Roma - Forschungsinstitutionen. Er schrieb: "Die einzige Lösung ist die Ausmerzung. Ziel sollte daher die entschlossene Ausmerzung dieses minderwertigen Elements der Bevölkerung sein." 1
Das Schicksal der Sinti und Roma war nun eindeutig.
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1 Kenrick, Donald; Puxon, Grattan. Sinti und Roma die Vernichtung eines Volkes im NS-Staat; Graphische Werkstätten GmbH, Kassel 1981. S. 57
3.2 Der Völkermord
Seit 1933 durften die Zigeuner nicht am gesellschaftlichen und kulturellen Leben der deutschen Bevölkerung teilnehmen. Selbst die Nürnberger Rassengesetze von 1935, stellten schon die Sinti und Roma als "außereuropäische Fremdrasse" den Juden gleich. Obwohl sie in den Gesetzen nicht direkt erwähnt wurden, gehörten sie von Anfang an zu den Betroffenen, denn diese Verbote waren auch auf Zigeuner, "Neger" und "Bastarde" anzuwenden. Durch diese Gesetze verloren die Zigeuner in Deutschland ihre deutsche Staatsbürgerschaft und das Wahlrecht. Aber das wahrscheinlich schlimmste was sie verloren, waren ihre Familien, denn sie wurden einfach so, von heut auf morgen, auseinander gerissen. Kurz darauf rollten bereits die ersten Züge in die Todesfabriken (s. Anlagen Abb. 2).
Die Bevölkerung unternahm nichts - es gab keine annäherungsweise menschlichen Regungen. Vermutlich trug die ständige nationalsozialistische Hetzpropaganda dazu bei, dass keine Menschenseele gegen die Verschleppung der Sinti und Roma protestierte. Es galt jetzt das systematische Aufspüren der Zigeunerstämme und der Mischlingsgruppen vorzubereiten, um sie schneller erfassen zu können. Im Zuge dessen fanden überfallartige Fahndungstage statt. Die Zigeuner wurden reichsweit zusammen getrieben. Bereits 1936 erfolgte der erste größere Transport der Zigeuner in das Konzentrationslager Dachau. Damals sind 400 deutsche Sinti verschleppt worden. Im September 1939 setzten dann die Massendeportationen nach Polen ein. 30.000 Zigeuner wurden hierbei zunächst zusammengetrieben, gesammelt und dann anschließend in die Konzentrationslager deportiert. Kurz zuvor wurde ihnen von den örtlichen Polizeibeamten zur "Beruhigung" gesagt, dass jede Familie eine Kuh, ein Schwein, ein Pferd und dazu noch Land im Osten bekäme. In Wirklichkeit wurden sie enteignet und ausgeraubt.
In den Konzentrationslagern mussten die Sinti und Roma unter unmenschlichen Bedingungen leben: Es gab kaum zu essen, geschweige denn zu trinken. In den Baracken wurden mindestens doppelt so viele Menschen zusammengepfercht als es eigentlich der Fall sein sollte. An hygienischen Verhältnissen mangelte es fürchterlich, so dass das rasche und verheerende Ausbreiten von vielen Krankheiten und Seuchen, wie Typhusepidemien, Skorbut, Hungerdurchfall, Wasserkrebs, die Folge war. Hier schilderte eine Überlebende des KZ Auschwitz die allgemeinen Bedingungen im Lager: "Im Zigeunerlager waren große Baracken, die vorne und hinten ein Loch hatten, das war die Tür. Auf einzelnen Pritschen, großen Holzkisten, lagen fünf bis sechs Mann. Die sanitären Verhältnisse waren katastrophal [.] Die hygienischen Verhältnisse unbeschreibbar [.] Es war ein Morast mit Pferdeställen ohne Fenster [.] Die Menschen wateten bis an die Knöchel im Schlamm." 2 Sogar der Krankenbau wies die eben genannten Verhältnisse auf. Die Kranken lagen auf kleinen Pritschen in ihren Exkrementen, es gab nur winzige Lüftungsklappen und zugedeckt waren sie mit dünnen und dreckigen Stoff-Fetzen.
Unter diesen Bedingungen konnte kein Mensch leben. Bis zu 20 oder 30 Zigeuner starben am Tag. Auch Massenerschießungen waren keine Seltenheit. Selbst vor dem Mord an schwangeren Frauen, Babys und Kindern machten die Nationalsozialisten keinen Halt. Kinderleichen wurden an den Enden der Baracken gestapelt - dazwischen hausten Ratten.
Die Sinti und Roma starben in den Arbeits- und Vernichtungslagern infolge von Hunger, Krankheiten, Seuchen und Erschießungen sowie durch Massenvergasungen.
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