Die Sozialdemokratische Partei Österreichs war eine demokratische Massenpartei von überaus hohem und dichtem Organisationsgrad. Im Jahre 1929, dem Höhepunkt des 1918 begonnenen Aufstiegs, zählte die SDAP 713.834 Mitglieder, was sie auch in absoluten Zahlen gesehen zur größten sozialdemokratischen Partei Europas machte. Dabei war die Mitgliederzahl in Wien mit rund 400.000 mit Abstand am höchsten, was auf das Konto der wiener Landesorgansisation ging, die sich stolz als "größte Parteiorganisation der Welt" bezeichnen konnte. Während die Landesparteien in den Bundesländern ab 1921 einen leichten Rückgang an Mitgliedern zu verzeichnen hatten, konnte die wiener Partei ihre Mitgliederzahl in diesem Zeitraum verdoppeln. Die Arbeiterschaft bildete die Kerntruppe der SDAP. In Wien waren von 100 Arbeitern 47 in der Partei organisiert, in den klassischen Hochburgen der SDAP (Favoriten, Brigittenau, Simmering, Ottakring, Floridsdorf) dürfte die Zahl noch weit höher gelegen sein. Auch die Zahl der politisch organisierten Frauen lag mit 38% aller Mitglieder deutlich über anderen Parteien.
Bei den Wahlen in Wien lag die Partei immer nahe, der zweidrittel Mehrheit, in manchen Bezirken erreichte sie unter der Arbeiterschaft Spitzenergebnisse von über 90%. Dabei lag die imponierende Stärke der Sozialdemokraten in Österreich gegenüber den sozialistischen Parteien in anderen europäischen Ländern vor allem daran, daß es hier gelungen war, die verschiedenen ideologischen Strömungen zu vereinen. So konnte sich die 1918 gegründete KPÖ niemals über eine unbedeutende Sekte hinaus entwickeln.
Mit der wachsenden Größe der Partei stieg auch die Notwendigkeit einer effizienten Verwaltung und Disziplinierung. Einen wichtigen Teil dieser Arbeit übernahmen die sogenannten Vertrauensmänner, ehrenamtliche, sowohl männliche als auch weibliche, Mitarbeiter, die im engsten Kontakt mit den Parteimitgliedern standen und die Politik vor Ort umsetzten. Auch weitete die Partei ihre Kontrolle durch die Gründung zahlreicher Sport- Kultur- und sonstiger Vereine auf das Privatleben ihrer Mitglieder aus und entwickelte sich damit immer mehr zu einer gegenkulturellen Bewegung.
Im Gegensatz zu vielen anderen sozialistischen Strömungen in Europa lehnten die Gründerväter des "Austromarxismus" Max Adler, Karl Renner und Rudolf Hilferding in ihren Ansichten jegliche Gewalt bei der Machtergreifung des Proletariats ab und blieben dem Weg der demokratischen, graduellen Machtergreifung treu, in der Überzeugung, daß der Staatsapparat nach den Bedürfnissen der Arbeiterschaft umgestaltet werden könne und die Arbeiterschaft langsam Schlüsselstellen in Politik und Wirtschaft übernehmen könnte, wenn nur das Wachstum sowohl der Partei als auch der kapitalistischen Marktwirtschaft anhielte. Sie waren der Überzeugung, die Staatsmacht sollte auf friedlichen weg in Kooperation mit der industriellen Bürokratie und der Bauernschaft erlangt werden. So stellte das (allerdings gescheiterte) Agrarprogram von 1925 die Eröffnung eines für die europäische Sozialdemokratie völlig neues Arbeitsfeld dar. Im Linzer Parteiprogramm von 1926 wurde festgelegt, daß die Macht im Staate unter voller Aufrechterhaltung der bürgerlichen Freiheiten, der Freiheit der Versammlung, der Meinung, des Wortes und der Schrift erobert werden müsse. Die Partei legte sich allerdings bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1934 auf einen strikten Oppositionskurs fest und forderte in ihrer Außenpolitik bis zur Machtergreifung Hitlers 1933 einen Anschluß an Deutschland.
Die Österreichische Sozialdemokratie hatte sich seit ihren Anfängen nicht nur als politische sondern auch als kulturelle Bewegung gesehen, was mit der Verwandlung in eine Massenpartei notwendigerweise weiter forciert wurde. Es entstanden zahlreiche Vereine und Bunde, die die Mitglieder emotional noch stärker an die Partei binden sollte. Sie sahen die Veränderung der Gesellschaft eng gebunden an eine Veränderung des Individuums in "sozialistisch-solidarischem" Sinn gebunden. Zur Schaffung eines "neuen Menschen" wurde ein überaus dichtes und vielfältiges Netz an Neben- Vorfeld- und Kulturorganisationen, ein Staat im Staat. Die wichtigsten dieser Verbände waren die Arbeiterjugendbewegung, die Naturfreunde und die freie Schule. Bei den nicht nur uneigennützigen Motiven, die hinter diesen Verbänden standen, darf man allerdings nicht vergessen, daß sie vielen Menschen erstmals den Zugang zu Beschäftigungen und Vergnügungen bedeuteten, die bis dahin nur der Oberschicht vorbehalten waren und die für sie Sicherheit, Selbstbewußtsein und Zukunftsgewißheit bedeuteten.
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