Die deutsche Revolution von 1848 stand in einem größeren europäischen Gesamtzusammenhang. Mehrere Faktoren wirkten zusammen, als das Europa des Wiener Kongresses erschüttert wurde:
. die unerfüllten Wünsche des Bürgertums nach Beteiligung an der politischen Macht
. die fehlende nationale Selbstbestimmung in einigen Ländern Europas
. die Strukturprobleme der vor- und frühindustriellen Wirtschaft
. die Missernten der Jahre 1845/46
Die Dramatik des Jahres 1848 setzte zunächst in Frankreich ein:
Es herrschte eine große Unzufriedenheit mit der Politik des "Bürgerkönigs" Louis Philippe sowie der Bevorzugung des Großbürgertums durch die Verfassung.
Als in Paris Regierungstruppen auf Demonstranten schossen, gingen die Bürger, voran Arbeiter und Studenten, zum Aufstand über.
Die Republik wurde proklamiert, der König floh nach England.
Dieser gewaltsame Sturz eines Monarchen erregte ungeheures Aufsehen in Europa.
Die Fürsten der Mittel- und Kleinstaaten beugen sich den Märzforderungen
Die Nachrichten aus Paris bildeten den Anstoß für die Revolution in Deutschland., die besonders in den Mittel- und Kleinstaaten des Dt. Bundes an Boden gewann.
In Süd- und Westdeutschland protestierten und plünderten Bauern, die sich gegen überkommende Privilegien der adeligen Grundherren richteten.
Fast gleichzeitig wurde die politische Stimmung auch in den Städten angeheizt. Von Südwestdeutschland aus, einem Zentrum liberaler und demokratischer Kräfte, erfasste die bürgerliche Bewegung schnell die Staaten des Deutschen Bundes.
Das Zurückweichen der alten Gewalten vor der bürgerlichen Protestbewegung wurde begeistert gefeiert.
Vor den Thronen selbst machte die Revolution jedoch Halt, die wenigen Radikalen wollten ihre Ziele auf dem Wege der Verständigung erreichen. Sie begnügten sich damit, den Fürsten Zugeständnisse im Sinne der Märzforderungen abzuringen (Entlassung alter Minister, an deren Stelle Männer liberaler Gesinnung berufen wurden).
Der Erfolg oder Mißerfolg der Revolution war jedoch davon abhängig, ob der Liberalismus sich auch in den Hochburgen des Deutschen Bundes Österreich und Preußen durchsetzen würde.
Die Revolution siegt in Wien und Berlin
In Wien demonstrierten die politisch aktiven Studenten zusammen mit Bildungsbürgern, Handwerkern und Bewohnern der Elendsquartiere gegen das vorkonstitutionelle, reformfeindliche Regierungssystem. Metternich wurde zum Rücktritt gedrängt und floh nach London. Trotz einiger Zugeständnisse seitens des Hofes radikalisierte sich die Bewegung. Wien blieb durch einen radikalen "Sicherheitsausschuss" in der Hand der Aufständischen.
Wie in Wien nahm auch die Revolution in Berlin gewaltsame Formen an. Als der preußische Herrscher seine Truppen aus Berlin zurückzog, waren über 230 Tote zu betrauern.
In beiden Städten wurde nun eine Bürgerwehr aufgestellt, die Regierung ausgewechselt und nach allgemeinem und gleichem Stimmrecht eine Nationalversammlung gewählt.
Sie sollte über eine neue Verfassung für das Land beraten.
Der preußische König verkündete die Bereitschaft Preußens, die "Vereinigung der deutschen Fürsten und Völker" in die Hand zu nehmen.
Die Nationalversammlung im Widerstreit unterschiedlicher Vorstellungen
Wahl und Zusammensetzung der deutschen NV
Die Wahlen zur NV wurden aufgrund gleichen Stimmrechts für alle "selbständigen" Männer durchgeführt. Jeder Bundesstaat konnte festsetzen, wer als unselbständig galt.
Bei den Wahlen vom 1. Mai 1848 gab es noch keine politischen Parteien, es wurden lediglich Abgeordnete und Stellvertreter gewählt. Bevorzugt waren dies Angehörige des Bildungsbürgertums (die Anführer der liberalen Bewegung).
Arbeiter waren in der Nationalversammlung nicht vertreten !!
Die erste gewählte Volksvertretung trat am 18. Mai in der Frankfurter Paulskirche zusammen
Ziele der "Rechten" und der "Linken"
Mit der Nationalversammlung begann auch das moderne Parteiwesen in Deutschland, denn Abgeordnete ähnlicher Sichtweisen schlossen sich in Fraktionen zusammen, die nach den jeweiligen Tagungsorten benannt waren.
. Die Grundhaltung der konservativen, christlichen Rechten (Café Milani) waren antizentralistisch. Die Selbständigkeit der monarchisch regierten Einzelstaaten sollte so wenig wie möglich eingeschränkt sein, das föderative Element gestärkt werden.
. Die Demokraten, links vom Parlamentspräsidenten sitzend, wünschten umgekehrt eine starke Zentralgewalt. Alle Bürger sollten rechtlich und politisch gleichgestellt sein. Die äußerste Linke im "Donnersberg" wollte ihre Ziele durch neue revolutionäre Aktionen durchsetzen, während die gemäßigten Demokraten ("Deutscher Hof") den gesetzlichen Weg nicht verlassen und die unteren Schichten in den neuen Staat integrieren wollten.
Die liberale Mitte
"Linke" und "Rechte" vertraten jeweils nur eine Minderheit der Abgeordneten.
Die liberale Mitte, das "Zentrum", mit den meisten Abgeordneten. Die als "Linke im Frack" bezeichnete "Westendhall"-Fraktion befürwortete ebenfalls das allgemeine und gleiche Wahlrecht, waren auch bereit, die konstitutionelle Monarchie zu tolerieren.
Die Verfassungsgestaltung der NV wurde am meisten von den gemäßigten Liberalen des "rechten Zentrums" geprägt. Die "Casino-Partei" war die größte Fraktion in der NV, sie trat für einen zentralistischen Bundesstaat ein und plädierte für die Beschränkung der Monarchenmacht durch die Verfassung.
Das Parlament sollte sich auf gesetzgebende Aufgaben beschränken und nicht in die Exekutive eingreifen. Das Wahlrecht sollte nur in der Hand besitzender oder gebildeter Bürger liegen.
Jedoch verbargen sich hinter ihren Vorstellungen auch gesellschaftspolitische Ängste, denn die Fraktion kämpfte zwar gegen staatliche Repression und Reaktion, befürchtete aber zugleich eine Gefährdung der bürgerlichen Gesellschaftsordnung durch eine revolutionäre Systemveränderung. Dies wurde noch durch die ersten Anzeichen von Arbeiterbewegungen verstärkt.
Die Grundrechte des deutschen Volkes
Nach dem Zusammentritt der NV standen zunächst die Grundrechte im Mittelpunkt- eine Konsequenz aus den Erfahrungen der Rechtsunsicherheit im Vormärz. Hier herrschte weitgehend Einigkeit:
Sie dienten als gesamtstaatliche Sicherung der individuellen Freiheit gegen einen Obrigkeitsstaat und den Feudalismus.
Wo sollen Deutschlands Grenzen verlaufen ?
Die Mehrheit der Abgeordneten wollte kein Gebiet des Dt. Bundes von 1815 aufgeben. Andere Nichtmitgliederstaaten wollte man ins Staatsgebiet aufnehmen, so daß deutsche und nichtdeutsche Bewegungen in vielen Gebieten aufeinanderprallten.
Das schwierigste Problem bei der territorialen Organisation des neuen Staates war das Verhältnis zu Österreich:
. Für eine kleindeutsche Lösung war lediglich eine kleine Gruppe preußenfreundlich gesinnter Volksvertreter (Ausschluß aller im Habsburger Reich lebenden Deutschen)
. Die großdeutsche Lösung schloß lediglich deutschsprachliche Teile Österreich ins Staatsgebiet ein.
. Die großösterreiche Lösung schloß ganz Österreich ein, was aber zur Folge hatte, daß wieder kein geeinigtes Deutschland entstände. Mit dieser Lösung wäre wieder ein kleiner Schritt in Richtung europäischer Friedenssicherung getan.
Die Paulskirche beschloß im Herbst 1848, nur die zum Deutschen Bunde gehörigen deutschen und böhmischen Länder Österreichs in den neuen Staat aufzunehmen. Diese Lösung stellte natürlich die bisherige Existenzgrundlage in Frage.
Österreichs Ministerpräsident Fürst Schwarzenberg forderte in einem Ultimatum die uneingeschränkte Zugehörigkeit Österreichs.
Enttäuscht von diesem Ultimatum schwenkte der Großteil der Paulskirche ins Lager der kleindeutschen Lösung.
Weiterhin wurde beschlossen, daß das Hohenzollernsche Erbkaisertum seine Legitimation und seinen Ursprung einer Entscheidung der souveränen Nation verdankte.
Die Reichsverfassung
Der Gesamtstaat sollte starke Kompetenzen erhalten. Neben der Außenpolitik sollten auch die Organisation des Militärs, die Post, die Eisenbahn sowie das Währungswesen in der Hand des Reiches liegen.
Das föderalistische Element sollte zudem durch ein Zweikammersystem in der Legislative, dem "Staatenhaus" und dem "Volkshaus" berücksichtigt werden.
. Im Staatenhaus konnten die Einzelstaaten ihre föderalistischen Interessen vertreten.
. Das Volkshaus repräsentierte die Gesamtnation. Nach dem allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Stimmrecht wurden die Abgeordneten vom Volk gewählt. Dieses demokratische Zugeständnis hatten die gemäßigten Liberalen machen müssen, um von den Linken genügend Stimmen für das Erbkaisertum zu erhalten.
Das konstitutionelle Regierungssystem im Verfassungsentwurf
Der Verfassungsentwurf sah die konstitutionelle Monarchie vor, der Kaiser stand an der Spitze der Exekutive und ernannte die Reichsregierung.
Politische Entscheidungen des Kaisers bedurften jedoch der Gegenzeichnung durch ein Regierungsmitglied, das der Volksvertretung gegenüber die Verantwortung übernahm.
Der Reichstag besaß das Gesetzgebungs- und das für die Kontrolle der Exekutive wichtige Budgetrecht. Staatshaushalt und alle Gesetze kamen nur dann zustande, wenn eine Mehrheit in beiden Kammern zustimmte.
Der Kaiser hatte gegen Reichstagsbeschlüsse, zwar das aufhebende Vetorecht (suspensives Vetorecht), doch konnte der Reichstag in zwei weiteren Sitzungsperioden seinen Beschluss wiederholen und damit rechtskräftig machen.
Der Kaiser hatte wiederum das entscheidende politische Druckmittel in der Hand: Er hatte das Recht, das Volkshaus vorzeitig aufzulösen.
Das Werk der Paulskirche ging aus einem Kompromiss unterschiedlicher politischer Interessen (unitarisch-föderalistisch; monarchisch- demokratisch) hervor, wirkte in sich aber genügend praktikabel.
Erfolge der Gegenrevolution
Die oktroyierte (vom König erlassene) Verfassung Preußens
Die Gegenrevolution in Preußen verlief weitgehend unblutig. Nach Straßenkämpfen im Oktober 1848 wurde ein streng konservatives Ministerium eingesetzt, die Nationalversammlung verlegt und später aufgelöst. Der König selbst erließ daraufhin eine Verfassung für sein Land.
Es war keine Verfassung von unten (von Volksvertretern erarbeitet), sondern eine von oben erlassene. Liberalen Forderungen kam es überraschend weit entgegen, denn die Grundrechte sicherten die persönliche Freiheit des Staatsbürgers.
Die Kritikpunkte jedoch bestanden
. im Dreiklassenwahlrecht, einem undemokratischen Wahlrecht, bei dem die Besitzverhältnisse des Einzelnen direkt Einfluß auf seine politische Repräsentanz nahmen
. im öffentlichen Wahlrecht, das die Möglichkeit der Beeinflussung der Bürger stark erhöhte
. in der fehlenden Kontrolle der Exekutive (Budgetrecht)
Das Ende der Nationalversammlung
Mit dem Sieg der Reaktion in Wien und Berlin hatten sich im März 1849 die alten Potentaten wieder gefaßt.
Zahlreiche Königreiche beharrten auf einer mit den fürstlichen Regierungen vereinbarte Verfassung.
Am 3. April 1849 lehnte der preußische König die Kaiserkrone ab, was gleichzeitig das Scheitern des deutschen Nationalstaats bedeutete.
Bürgerliche Aufstände, die der Verteidigung der Verfassung galten, wurden von preußischen Truppen niedergeschlagen.
Österreich hatte seine Abgeordneten seit der kleindeutschen Lösung aus der NV zurückgezogen. Preußen antwortete mit dem Aufruf zur "Reichsverfassungskampagne" mit dem selben Schritt. Ohne die beiden großen Stützen hatte das Parlament zu bestehen aufgehört.
Ursachen für das Scheitern der Paulskirche
. Staatenbund/ fehlendes politisches Zentrum
. Fehlender Informationsfluß zwischen NV und Volk
. Rasches Entstehen der Gegenkräfte in Österreich und Preußen
. Monarchistisches Legitimitätsdenken des preuß. Königs (Ablehnung der Kaiserkrone)
. Gemäßigte Liberale setzen sich durch: Fürsten werden nicht abgesetzt, es rollten keine Köpfe der alten Herrscher
. Spaltung der revolutionären Ideen im Laufe der Debatten der Paulskirche
. Viel zu lange Ausarbeitung der Verfassung (halbes Jahr); genug Zeit für Fürsten, sich wieder zusammenzuschließen.
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