Sullas Gewaltakte und die Prokriptionen
Sulla erkannte, daß der römische Staat nicht durch eine Waffenruhe und Rückkehr zur ursprünglichen Verfassung zu retten sei. Rachedürstig war er entschlossen, eine radikale Restauration eines Staates herbeizuführen, der für seine Gegner keinen Platz mehr bot. Er wollte die physische Vernichtung seiner Feinde, besonders in den Reihen des von ihm als eigentliche Belastung des Staates angesehenen Rittertums, das bis zuletzt dem Sulpicius Rufus seinen Beistand versichert und aus den Ereignissen der letzten zehn Jahre ökonomischen Profit geschlagen hatte.
Die nächsten sieben Monate waren erfüllt vom Geschrei der Opfer von Sullas Gewaltherrschaft. Er ließ die Gebeine des Marius ausgraben und in den Anio streuen, machte alle Verfügungen Marius´ rückgängig und entfernte Bilder oder Säulen mit dessen Ruhmestaten aus Rom. Tausende seiner Feinde, ausschließlich Aristokraten und Ritter, fielen den Proskriptionen zum Opfer, einem Edikt, das jeden von ihnen in Form öffentlicher Listen zu einem Vogelfreien erklärte und dem Dolche eines Mörders reiche Beute versprach. Dieses Verfahren war an sich zwar tief aus dem Schatten der Rechtlosigkeit herausgetreten, doch heiligt der Zweck bekanntlich die Mittel. Die Güter der Ermordeten oder Verbannten wurden an Sullas Anhänger versteigert, deren Söhne und Enkel von allen Ämtern ausgeschlossen. Gleiches galt sogar für die im Kampf gefallenen Gegner Sullas. Durch gelegentliche Erweiterungen der Listen herrschte darüber hinaus eine ständige Existenzangst in den führenden Kreisen Roms. Sulla bezweckte eine gründliche Verschiebung in der herrschenden Oberschicht des römischen Volkes zu seinen Gunsten, um seine Erlasse auf Dauer zu etablieren. In den ca. 10000 Sklaven der Proskribierten, die gänzlich als seine persönlichen Freigelassenen galten und die von ihm adoptiert und mit dem Gentilnamen der \"Cornelier\" versehen wurden, fand er neben seinen Günstlingen und Veteranen eine weitere, treue Klientel.
Während in Rom nur die Oberschicht Sullas Rachezorn zu spüren bekam, mußte das geringe Volk Italiens, im Bereich der ehemaligen Bündner, ein noch viel schwereres Joch ertragen. Die Italiker wurden von Sulla trotz Anerkennung ihrer neuerworbenen Rechte wie auswärtige Feinde behandelt, nie gesehene Massenabschlachtungen, Vertreibungen und Grenzverschiebungen mußte Italiens blutdurchtränkte Erde erblicken. Die Samniten wurden vollends ausgerottet und weite Landstriche Italiens derart verwüstet, daß sie sich nicht mehr zu erholen imstande zeigten. Diese Bestialitäten erwiesen sich jedoch für Sullas Position in mancher Hinsicht als vorteilhaft, er konnte nun ungehindert seine ungefähr 100.000 Veteranen auf italischem Boden ansiedeln, befriedigte damit ihre elementaren Erwartungen an ihren Feldherrn und besaß in ihnen ein großes Reservoir von Anhängern und ständig verfügbaren Kampfgenossen, die, über ganz Italien verteilt, zusätzlich eine ausgezeichnete \"Wächterfunktion\" über die Italiker besaßen. Dabei bediente er sich auch des Gedankengutes der Gracchen, wenn er untersagte, die zugewiesenen Parzellen eigenmächtig zu veräußern.
Die Diktatur Sullas
Diese Situation der uneingeschränkten Gewaltherrschaft konnte aber bei einem so stark in Rechtsformen denkenden, auf eine lange republikanische Tradition zurückblickenden Volk wie dem römischen nicht lange aufrechterhalten werden. Deshalb bemühte sich Sulla um eine nachträgliche Legitimation seines Tuns. Er erkannte die Bedeutung einer formellen, rechtlichen Basis seiner nach Kriegsrecht erworbenen Macht, um ein dauerhaft zuverlässiges Funktionieren der neuen Ordnung zu gewährleisten. Da beide Konsuln im Bürgerkrieg gefallen waren, ließ er den Senat verfassungsgemäß einen Interrex bestimmen. Die Wahl fiel auf den princeps senatus L. Valerius Flaccus, dem gescheiterten Vermittler zwischen Sulla und den Popularen zur Zeit Cinnas. Ihn überzeugte Sulla von der Wichtigkeit eines Diktators für das Staatswohl anstelle von den üblichen, neuen Konsulwahlen unter seiner Aufsicht. So wurde Sulla durch ein von Flaccus eingebrachtes Gesetz zum dictator legibus scribundis et rei publicae constituendae (Diktator zur Abfassung von Gesetzen und zur Ordnung des Gemeinwesens) ohne zeitliche Begrenzung, alle rechtliche Gewalt wurde auf Sulla übertragen und seine gesamten Handlungen und Verfügungen nachträglich als rechtskräftig anerkannt. Unmittelbar darauf setzte Sulla Flaccus als magister equitum ein und gab überraschend die Erlaubnis zu Konsulwahlen. Es wird deutlich, daß Sullas Diktatur nicht derjenigen der ursprünglichen republikanischen Verfassung entsprach, vielmehr übernahm er nur die äußere Form der früheren Diktatur, beispielsweise die Ernennung durch einen Interrex.
Sulla baute daraufhin mit tief konservativer Einstellung die römische Verfassung mit der Ambition um, das den Staat tragende aristokratische Herrschaftsinstrument wiederherzustellen und zu erhalten. Dabei wollte er die Verfassung für zukünftige Angriffe stabiler gestalten und bewirkte unter anderem eine entscheidende Schwächung des Volkstribunats, welches für ihn die Wurzel allen Übels darstellte. Einem Volkstribunen war fürderhin jede weitere Betätigung in einem kurulischen Amte versagt, was bedeutete, daß die Bekleidung dieses Amtes eine zukünftige politische Karriere zerstörte. Auch die unvermeidlich engen Bindungen der römischen Kommandeure zu ihren Heeren und die damit einhergehende Revolutionsgefahr unterband er durch die Verfügung, daß die Magistrate cum imperio während ihrer regulären Amtszeit Italien nicht verlassen durften und somit keinen Kontakt zu einem Heer bekamen. Nach dem Amtsjahr sollten sie als Promagistrate in die Provinzen abkommandiert werden, die sie unter Strafe nicht mit einem Heer verlassen durften. Um die Zahl der Magistrate den Provinzen anzugleichen, erhöhte er die Zahl der Prätoren auf acht. Weiterhin reformierte Sulla beispielsweise das Strafrecht durch Vermehrung der stehenden Gerichtshöfe und erließ Gesetze zur Verbesserung der Sitten sowie gegen Ehebruch und Verschwendungssucht.
Sullas Etablierung der Reformen und sein letztes Jahr
Sullas diktatorische Gesetzgebung fand im wesentlichen im Jahr 81 statt. Um die reformierte Verfassung mitsamt den staatlichen Mechanismen in Gang zu setzen, erkannte Sulla klug und umsichtig, daß er sich von seiner Machtposition nach Vollendung seines Werkes allmählich lösen mußte, um der republikanischen Ordnung ihre Eigendynamik in nun neuen (alten?) Bahnen wiederzugeben. Im Jahre 80 bekleidete er zusammen mit Q. Caecilius Metellus Pius das Konsulat und ein Jahr später legte er jegliche staatliche Würde, namentlich seine Diktatur, nieder.
Das Privatleben auf seinem cumanischen Landgut bot Sulla zahlreiche Reize, ähnlich denen seiner Jugend, und er brauchte mögliche Repressalien seiner Gegner aufgrund seiner gewaltigen Klientel nicht zu fürchten. Als er im folgenden Jahr (78) starb, geleiteten ihn seine ehemaligen Soldaten in Reih und Glied, wie sie unter ihm gedient hatten, zur letzten Ruhestätte. Sulla, der große, vom Glück verwöhnte römische Staatsmann und Feldherr, konnte die Früchte seiner Bemühungen nicht mehr miterleben. In der Nachwelt aber verankerte sich die Erinnerung an seine unermeßlich grausamen Taten tiefer als seine Verdienste um den römischen Staat.
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